Wo gibt es Nachbesserungsbedarf?

Wo gibt es Nachbesserungsbedarf?

Mitte Januar 2017 haben 15.000 Studierende der Uni Freiburg eine E-Mail bekommen in der sie um die Teilnahme an der Umfrage „beeinträchtigt studieren – best2“ zur Situation Studierender mit Behinderung oder chronischer Erkrankung gebeten wurden. Wer daran teilnehmen kann, welche Hilfeleistungen die Uni für diese Studierenden anbietet und was sich in den letzten Jahren verändert hat, erklärt Beate Massell.

Frau Massell, Sie sind Beauftragte für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung an der Uni Freiburg und beraten diese Studierenden.

Es ist nicht nur die Beratungstätigkeit im Einzelfall. Als Beauftragte für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung bemühe ich mich auch auf struktureller Ebene um den Abbau von Barrieren und Benachteiligungen in der Uni. Das heißt, ich schaue beispielsweise auch danach, ob bei baulichen Veränderungen, die Bedürfnisse von Studierenden mit Behinderungen berücksichtigt werden und ob in den Prüfungsordnungen Nachteilsausgleiche verankert sind.

Ich bin so etwas wie eine Vermittlungsperson auch innerhalb der Uni. Es kommen durchaus Dozierende und Mitarbeitende der Prüfungsämter, die sagen: „Da hat sich jemand gemeldet der hat Erkrankung XYZ und beantragt einen Nachteilsausgleich, können Sie da mal Stellung zu nehmen?“ oder: „Müssen wir bei dem Studierenden mit Krankheitsbild ABC im Studienalltag etwas Besonderes beachten?“

Studierende können auch anonym meine Beratung in Anspruch nehmen. Aber auch wenn ich den Namen kenne, habe ich Schweigepflicht. Also würde ich zum Beispiel auch niemals einen Dozierenden ansprechen, wenn der oder die Studierende das nicht ausdrücklich möchte und mich von der Schweigepflicht entbindet. Die Schweigepflicht gilt auch den Eltern gegenüber.

Ich bin auch ein bisschen wie eine Beschwerdestelle. Immer wieder kommen Meldungen vom Campus wie: „Hier an der Rampe für Rollstuhlfahrer sind schon wieder Fahrräder angeschlossen“ oder: „Das Licht in den Toiletten ist zu kurz getaktet und geht zu früh aus und ich sitze plötzlich im Dunkeln.“ Darüber macht man sich oft gar keine Gedanken und geht davon aus, dass alles funktioniert. Deshalb ist es so wichtig, dass die Studierenden sich melden und vorbeikommen, anrufen oder eine E-Mail schreiben. Das sind oft Kleinigkeiten, aber wenn sich keiner darum kümmert dann bleibt es ewig so und wenn man davon betroffen ist ärgert man sich jeden Tag.

Welche Studierenden können sich an Sie wenden?

Zum einen Studierende mit Behinderungen aller Art – beispielsweise körperliche Beeinträchtigungen mit und ohne Mobilitätseinschränkungen, Hörschädigungen, Sehbeeinträchtigungen. Dabei muss die Behinderung nicht unbedingt vom Versorgungsamt festgestellt sein, es reicht die Einschätzung des Arztes.

Zum anderen Studierende mit chronischen Erkrankungen. Als chronisch gilt alles was monatelang anhält oder über einen langen Zeitraum immer wieder auftritt und schwer oder gar nicht vollständig heilbar ist. Zum Beispiel somatische, also körperliche Erkrankungen, wie entzündliche Darmerkrankungen, Krebs Rheuma, schwere Allergien. Außerdem können sich alle Studierenden mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Autismusspektrum und neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose, aber auch mit ADHS, Legasthenie und Dyskalkulie an mich wenden. Diese gelten auch als Behinderung, das wissen viele aber nicht.

Wichtig zu wissen ist, dass viele dieser Erkrankungen unsichtbare Behinderungen sind. Jeder der „Beauftragte für Studierende mit Behinderung“ hört, denkt das muss für jemanden im Rollstuhl oder mit Blindenstock sein. Aber die Allermeisten kommen wegen einer chronisch psychischen Erkrankung, Autismus oder chronisch somatischen Erkrankungen in die Sprechstunde.

Viele Studierende warten lange ab, weil sie Angst haben, sich durch den Besuch hier zu outen und stigmatisiert zu werden. Das Schöne ist aber, dass hier so viele Beratungsangebote im Haus sind, dass es überhaupt nicht auffällt, ob jemand zu mir kommt oder in die Studien- oder Stipendienberatung. Und, wie anfangs schon gesagt, die Beratung kann auch anonym erfolgen.

Was können sie für jemanden mit einer „unsichtbaren“ Erkrankung tun?

Zuerst einmal: Zuhören! Das ist oft sehr entlastend wenn die Studierenden merken, dass sie hier einfach herkommen können. Ich habe zehn Stunden in der Woche offene Sprechstunde. Die Studierenden merken: Da ist jemand der bewertet nicht, der hört sich das einfach mal an. Wir schauen dann gemeinsam, wie kann das Studium, wie kann der Workload oder der Stundenplan so verändert werden, dass es besser geht und wo kann ich mir Hilfe außerhalb holen, also zum Beispiel beim Arzt, einer Therapie oder Reha.

Wenn jemand eine chronische Sehnenscheidenentzündung hat und nicht schnell schreiben kann, kann man sich zum Beispiel darum kümmern, dass der Studierende eine Schreibzeitverlängerung bekommt. Bei krankheitsbedingten Beurlaubungen ist oft nicht bekannt, dass es möglich ist, auch das aktuelle Semester noch als Urlaubssemester einzureichen, wenn man beispielweise drei Monate im Krankenhaus war oder die Erkrankung sich länger hinzieht als gedacht.

Viele Erkrankungen sind mit Scham verbunden, etwa chronisch entzündliche Darmerkrankung. Zu sehen, ich bin nicht der absolute Einzelfall, es gab schon welche mit den gleichen Problemen vor mir, hilft. Es ist oft so, dass Studierende sich auch leichter ihren Freunden gegenüber äußern können, wenn sie schon mal darüber geredet haben. Dann merken manche plötzlich: Da gibt’s den Einen oder Anderen der auch schon mal eine schwere Krise hatte. Dieser Zusammenhalt, der Kontakt zu anderen und auch Selbsthilfegruppen sind wichtig.

Oft ist meine Aufgabe, dass da ein großes Knäuel Wolle vor mir liegt und ich schaue, wo denn da der Anfang ist und wie man daraus ein schönes Päckchen schnüren kann.

Mitte Januar verschickte die Uni Freiburg eine E-Mail an Studierende mit der Bitte um Teilnahme an einer Umfrage zur Situation Studierender mit Behinderungen oder chronischer Erkrankung. Worum geht es in der anonymen Umfrage „beeinträchtigt studieren – best2“?

Wir wollen die Situation von Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung besser verstehen und hören, wo es noch Nachbesserungsbedarf gibt, den wir vielleicht selbst nicht sehen. Wir wollen wissen wie viele sind von einer Behinderung oder chronischen Erkrankung betroffen, es gibt ja keine verlässlichen Zahlen. In Deutschland werden Behinderungen und chronische Erkrankungen in den Universitäten nicht erfasst.

Es kommen ja längst nicht alle zu mir, die eine studienerschwerende Behinderung oder Erkrankung haben. Im Moment haben circa ein Drittel der Studierenden die ich berate eine psychische Erkrankung inklusive Autismus, ich weiß aber nicht ob das repräsentativ ist oder ob da einfach die meisten Schwierigkeiten auftreten und die Uni noch nicht genug Hilfestellungen gibt.

Gerade bei den unsichtbaren Behinderungen ist die Frage, ob wir diese Personen mit unseren Maßnahmen überhaupt erreichen. Wir wissen nicht, ob wir den Bedarf treffen, weil wir den Bedarf nicht kennen. Wir brauchen Zahlen, wie viele Studierende es sind und was brauchen sie.

Die E-Mail wurde als zufällige Stichprobe an 15.000 der 25.000 Studierenden verschickt. Wer sollte an der Umfrage teilnehmen?

Das sieht man ganz schnell, es wird am Anfang abgefragt, ob eine chronische Erkrankung oder Behinderung besteht, zum Beispiel Bewegungsbeeinträchtigungen, Essstörungen, Legasthenie oder Stottern. Es wäre super wenn sich jeder der etwas hat, auch wenn es keine rechtlich anerkannte Behinderung ist, beteiligen würde, dass man eine möglichst breite Mischung hat.

Gibt es eine Möglichkeit teilzunehmen, wenn man die E-Mail nicht bekommen hat?

Nein, das würde die Umfrageergebnisse verfälschen. Jeder, der die Mail bekommen hat, hat dort einen persönlichen Zugangslink erhalten.

Und wie lange haben Studierende jetzt noch Zeit, an der Umfrage teilzunehmen?

Bis Ende Februar. In Freiburg nehmen auch die Evangelische Hochschule, die Musikhochschule und die PH teil. Ich hoffe wirklich, dass wir viele Teilnehmer haben.

2011 gab es schon einmal eine Umfrage zum gleichen Thema. Hat sich in der Zwischenzeit etwas verändert?

Ja, da hat sich viel verändert. Ich glaube, dass die Offenheit größer geworden ist. Das liegt zum Teil auch daran, dass inzwischen mehr Menschen mit Behinderung zum Abitur kommen und auch inklusiv beschult werden. In den fünf Jahren seit der letzten Umfrage hat sich wirklich viel verändert, gerade im schulischen Bereich.

Bei der ersten Befragung hat mich total geschockt, dass gerade mal ein Viertel der teilnehmenden Studierenden sich jemals Rat und Hilfe geholt hat. Ganz viele haben Angst, dass sie Nachteile daraus ziehen, wenn bekannt wird, dass sie eine Behinderung haben und wollen sich nicht outen. 30 Prozent meinten außerdem, dass sie nicht wissen ob sie gemeint sind, dass sie ja irgendwie zurechtkommen. Dabei geht es bei unserem Angebot ja nicht um Bevorzugung, sondern um möglichst gleiche Chancen.

Für Freiburg kann ich sagen, dass der Arbeitskreis Barrierefreiheit regelmäßig tagt und dass viele bauliche Maßnahmen zum Abbau von Barrieren umgesetzt wurden. Die Stelle der Beauftragten wurde in Freiburg im Oktober 2015 eingerichtet und das Beratungsangebot erweitert. Allein die Beratungsneuzugänge haben sich seitdem verdoppelt.

Auch die Studiengangskoordinatoren und Studiengangsfachberater sind aufmerksamer und beraten dementsprechend. Wenn sie wissen, es gibt einen Studenten, eine Studentin mit chronischer Erkrankung schauen sie, dass der Stundenplan angepasst wird und machen Vorschläge. Ich habe auch das Gefühl, dass in den Instituten und Fakultäten schneller zu mir verwiesen wird.

Welche Beratungs-Angebote gibt es an der Universität für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung sonst noch?

Wir haben die allgemeine Studienberatung. Wenn es darum geht ob vielleicht der Studiengang nicht so ganz passt oder ob man das anders kombinieren kann wird dort geholfen.

Im Studierendenwerk haben wir die psychotherapeutische Beratungsstelle. Da können kurzfristig Termine für Einzelgespräche ausgemacht werden, die ersten vier Termine sind kostenlos. Die Mitarbeitenden der Beratungsstelle können dann sehr gut beurteilen, ob es sich um eine chronische Erkrankung oder eine Krise, die auch wieder weggeht, handelt. Bei Behandlungsbedarf verweisen die Psychologen dann auch an externe Therapeuten weiter.

Dann gibt es die Sozialberatung, auch im Studierendenwerk. Dort wird beraten, wenn es um finanzielle Probleme geht, die oft mit einer Erkrankung verbunden sind. Wenn die normale Studiendauer überschritten ist, läuft zum Beispiel das Bafög nicht weiter, kann aber bei chronischer Erkrankung auch verlängert werden.

An Beratung innerhalb der Institute ist die Studienfachberatung oder Studiengangskoordination ganz wichtig. Die wissen ganz genau, was kann man kombinieren, was kann ins nächste oder übernächste Semester geschoben werden und können ganz individuell einen Studien- und Stundenplan erstellen. Oft gibt es da ganz einfache Lösungen, von denen sie Studierenden nicht unbedingt wissen.

Dann gibt es die Rechtsberatung im Studierendenwerk und beim StuRa. Wenn es um rechtliche Themen oder Konflikte geht, dann schicke ich Studierende dahin, weil ich Rechtsberatungen natürlich nicht machen kann. Bei vielen Studierenden ist gar nicht bekannt, dass es das Angebot gibt.

Beim StuRa gibt es das autonome Referat „Studieren ohne Hürden“, das auch am Arbeitskreis Barrierefreiheit teilnimmt. Die sind sehr aktiv und schauen auch drauf, dass Dinge die in diesem Arbeitskreis beschlossen werden auch wirklich umgesetzt werden.

So versuchen wir das Netz möglichst stabil zu gestalten.

Kontakt

Beate Massell
Service Center Studium
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Sedanstr. 6, Zi. 02/029
79098 Freiburg
E-Mail: studium-mit-handicap@service.uni-freiburg.de
Tel.: 0761 203 67380

Mehr Infos und Angebote für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung in Freiburg:

Studieren mit Handicap – Beratung für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung

Zentrale Studienberatung – Für allgemeine Beratung zu Studiengängen

Psychotherapeutische Beratungsstelle des SWFR – Unterstützung und Beratung in Krisensituationen

Sozialberatung des SWFR – Beratung bei finanziellen Problemen.

Rechtsberatung des SWFR – Kostenlose Beratung bei rechtlichen Problemen

Autonomes Referat „Studieren ohne Hürden“ des StuRa – Interessenvertretung und Beratung

Mehr zur aktuellen deutschlandweiten Umfrage und den Ergebnissen der Umfrage von 2011 gibts auf der Website von best-umfrage.

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Foto: Johanna Skowronski
Veröffentlicht am 21. Februar 2017

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