Ich habe mich in mein Gehirn verliebt

Ich habe mich in mein Gehirn verliebt

Die Schriftstellerin Annette Pehnt war als „Artist in Residence“ für sechs Monate beim Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools der Uni Freiburg. Das Cluster forscht zur Funktion des menschlichen Gehirns. Ergebnis ihres Aufenthalts ist das Logbuch „Ich habe mich in mein Gehirn verliebt“. Warum die Erforschung des Gehirns einer Reise in ein fremdes Land ähnelt und wie es ist, in das eigene Gehirn verliebt zu sein.

Annette Pehnt war als „Artist in Residence“ bei BrainLinks-BrainTools.

Frau Pehnt, Sie sind Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin …

… vor allem Schriftstellerin, würde ich sagen.

Seit September sind Sie nun als „Artist in Residence“ beim Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools der Uni Freiburg. Dort haben Sie sich die Forschung zur Funktion des menschlichen Gehirns angesehen und standen mit Experten aus Neurowissenschaft, Informatik und Philosophie im Austausch. Welche Erwartungen hatten Sie im Vorfeld an dieses Projekt?

Ich war zunächst gar nicht vertraut mit dem Projekt. Ich kannte dieses Exzellenzcluster nicht und habe mir daher eigentlich erst einmal erhofft, überhaupt einen Einblick in diese Welt der naturwissenschaftlichen Spitzenforschung zu bekommen. Außerdem ging es darum, mit der ganzen Thematik des Gehirns in Kontakt zu kommen: Mit den philosophischen Fragen, die damit zusammenhängen, Leute zu erleben, die da forschen und deren Denkweise zu ergründen.

Was würden Sie als größte Herausforderung während des Projekts bezeichnen?

Die größte Herausforderung war, mich mit Experten aus einem Fachgebiet zu beschäftigen, über das ich komplett gar nichts weiß. Ich musste mir zuerst Begrifflichkeiten erarbeiten, damit wir uns überhaupt unterhalten konnten, damit ich verstehe, was dort überhaupt gemacht wird.

Dieses „bei null anfangen“, das hatte ich schon lange nicht mehr. Das war im Grunde wie eine Reise in ein Land mit einer anderen Sprache, die man nicht beherrscht. Da tut man sich ja auch erst einmal ein bisschen schwer.

Hatten Sie vorher schon eine Verbindung zur Naturwissenschaft?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe hier in Freiburg Geisteswissenschaften studiert: Keltologie, Englisch und Deutsch. Naturwissenschaft habe ich das letzte Mal an der Schule gemacht. Das sind ja zwei komplett getrennte Wissenskulturen.

Diese Trennung kann meiner Meinung nach aber eigentlich nicht sein. Die Themen, die sich uns heutzutage stellen, sind so breit gefächert, dass man sich nicht mehr auf ein Wissensgebiet zurückziehen kann. Das war im Forschungscluster so schön, dass das Thema Hirn sozusagen aus allen Richtungen bearbeitet wird. Dort sind Neurowissenschaftler, Informatiker und Philosophen dabei. Ich glaube, so muss man heutzutage auch Wissen aufbereiten. Es war schön zu sehen, wie wirklich interdisziplinär gearbeitet werden kann.

Haben Sie sich fremd gefühlt?

Ja, schon – aber fremd fühlen ist eine gute Voraussetzung fürs Schreiben. Wenn man sich zu Hause fühlt, dann ist man weniger aufmerksam, dann ist alles vertraut, gemütlich und eingerichtet. Aber wenn etwas nicht vertraut ist, dann ist man gespannt und schaut genau hin, achtet auf die Signale, versucht das alles zu deuten und vielleicht auch falsch zu deuten. Das ist eine Wachheit, die ich nicht habe, wenn ich mich sowieso auskenne. So arbeite ich eigentlich immer. Ich verstehe das Schreiben nicht als Komfortzone. Ich bin keine Autorin, die einfach nur Geschichten erzählt, ich versuche darüber zu schreiben, wo ich selbst noch Fragen habe.

Für die Naturwissenschaftler ist interessant, dass jemand kommt, der den Blick nicht auf die Fakten lenkt, sondern auf die Erzählweise. Also dass ich gefragt habe, wie erzählen sie ihre Geschichte, welche Bilder bieten sie mir an, welche Erzählweisen und diesen Blick haben sie normalerweise nicht. Und das ist etwas, dass ich vielleicht von außen an sie herantragen konnte. Erzählen tun wir alle, eben jeder auf seine Weise.

Ihr Logbuch trägt den Titel „Ich habe mich in mein Gehirn verliebt“. Wann hat sich dieses Gefühl denn bei Ihnen eingestellt?

Ich habe mir diesen Titel vorher ausgedacht. Ich hatte beschlossen, dem ganzen Projekt gegenüber eine ‚affektive‘ Position einzunehmen. Ich habe dann sehr schnell gemerkt, dass es natürlich ein unglaublich faszinierender Teil unseres Körpers ist, der im Grunde alles ausmacht. Und eine Ahnung zu bekommen, wie komplex dieses Gebilde ist, wie das ungefähr funktioniert, wie alles ineinandergreift, wie perfekt das konstruiert ist, welche Leistung es vollbringen kann, das fand ich von Anfang an wirklich großartig.

Verliebt ist natürlich ein anders besetzter Begriff, aber dieses erste Gefühl „Wow, ich kenne dich gar nicht, aber du bist großartig“ das ja zum Verliebtsein gehört, das hatte ich schon. So eine initiale große Spannung und Neugierde.

Trotz Ihrer Auseinandersetzung mit dem Gehirn, beschreiben Sie es in Ihrem Logbuch als „ein Fremder, der immer fremd bleibt, aber ich ist“. Sehen Sie das immer noch so?

Ja, jetzt noch mehr. Am Anfang gab es eine steile Lernkurve. Das kennt man ja aus allen Kontakten mit einem neuen Gebiet: Zuerst weiß man gar nichts und auf einmal weiß man ein bisschen und hat direkt das Gefühl etwas Neues erschließt sich. In den Gesprächen mit den Experten habe ich dann aber nach und nach gemerkt, dass sich dadurch nur unendlich viele weitere Fragen auftun. Von daher ist das fremde Organ in meinem Körper auch fremd geblieben und ich habe diese Fremdheit noch tiefer begriffen. Trotzdem war mir ja auch immer klar, dass es meine Kommandozentrale ist, die mein Ich-Bewusstsein herstellt. Das finde ich unglaublich faszinierend, dass etwas von dem ich keine Ahnung habe gleichzeitig mich ausmacht.

Diese Überlegungen nehmen in Ihrem Werk auch einen großen Platz ein: Ist das Gehirn Ich, inwiefern beeinflusst man sich gegenseitig …

… genau und inwiefern kann man überhaupt von gegenseitig sprechen. Da sind wir bei der Dualismus-Debatte: Kann ich mich sozusagen meinem Gehirn gegenüberstellen und das anschauen? Aber wer schaut das dann an? Das bin ja dann ich mit meinem Gehirn wiederum. Aus dieser Endlosschleife kommt man gar nicht heraus. Das macht aber auch den Reiz aus, dass man kein distanziertes Untersuchungsobjekt hat, sondern immer gleichzeitig auch sich selbst anschaut.

Bisher haben Sie hauptsächlich Romane und Kinderbücher geschrieben. Hat Sie dieses Projekt in Ihrer Arbeitsweise beeinflusst?

Ich weiß nicht. Ich bin sowieso schon länger damit beschäftigt, weniger herkömmliche Erzählformen auszuprobieren. Ich habe früher relativ klassische Romane geschrieben, also erzählende Texte mit Anfang und Ende. Aber meine letzten Publikationen waren auch schon eher heterogene Texte, die diesen erzählerischen Bogen schon gar nicht mehr verwenden und nach anderen formalen Möglichkeiten suchen.  Ich komme ab von traditionellen Erzählformen und interessiere mich für andere Formen und das war jetzt eben eine Möglichkeit so eine Mischform mal auszuprobieren. Ich werde bestimmt weiter experimentieren.

Wird ihr Logbuch denn publiziert?

Es ist eine Form, die in kein Format passt. Es ist zu kurz für ein eigenständiges Buch und es ist zu lang für einen Abdruck in einem Magazin. Das Logbuch ist eine Art Zwischenform. Aber ich fände es schon sehr schön, wenn es noch einmal gelesen werden könnte.

Weitere Infos

Zur Website von Annette Pehnt geht es hier.

Weitere Informationen zum Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools unter: www.brainlinks-braintools.uni-freiburg.de

Grafik/Foto: Sarah Posselt-Böhm
Veröffentlicht am 9. März 2017

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