Spalter der Woche: alt-J -Relaxer

Spalter der Woche: alt-J -Relaxer

Fast drei Jahre hat es gedauert, bis die Indie-Pioniere von alt-J den Nachfolger  zu ihrem zweiten Album “This is all Yours” veröffentlichten. Seit heute steht “Relaxer” nun in den Regalen. Ist es die erhoffte und angekündigte Offenbarung am Indie-Himmel? Die Musikredaktion ist gespalten. Julian Tröndle und Maximilian Heß haben, stellvertretend für Team Liebe und Team Hass, die Platte rezensiert.

Team Liebe

Um eines gleich vorweg zu nehmen: Auch ich habe etwas an Relaxer auszusetzen. Es ist nämlich wesentlich zu kurz geraten! Das dritte Album der Band aus Leeds ist mit knapp vierzig Minuten eindeutig an der unteren Längengrenze. Aber was das Trio auf den Acht Tracks des Albums auffährt, lässt kaum etwas vermissen – das ist durchaus wörtlich gemeint. Die Tracks sind vielseitig und ausgesprochen experimentell ausgefallen. Und das schönste experimentelle Stilmittel der Band scheint Stille zu sein. Es ist schwer, mehr als drei,vier Songs zu finden, deren Arrangement als konventionell zu bezeichnen wäre. Oft begibt sich die Platte in so sphärische Bereiche, dass Referenzen wie Mogwai oder Sigur Rós in den Sinn kommen. Dieses Abdriften gen Ambient ermöglicht alt-J, ihre größte Stärke noch klarer in den Vordergrund zu bringen: Die unfassbare Schönheit von Instrumentalharmonie und Gesang!

Dass sich Sänger Joe Newman für sieben der acht Songs niemand geringeren als Marika Hackman für die Background-Vocals ins Boot geholt hat ist ein Glücksfall! Die beiden harmonieren fast perfekt über die Instrumentals. Sei es in ruhigen Momenten, wie auf dem bereits vorab veröffentlichten “Adelaine”, oder bei lauteren Tracks wie “Hit me like a Snare” – der Gesang sorgt für Gänsehaut! Dafür sind auch die Lyrics mitverantwortlich. Diese schwanken zwischen sehr simplen Aussagen und gelegentlichen Zitaten. Das klingt fantasielos, passt allerdings ideal zum Konzept des Albums – alt-J begleitet uns durch das Album und gleichzeitig durch 40 Jahre Musik! Das sehr entfremdete Cover von “House of the Rising Sun” und die Anspielung auf das alte irische Volkslied “The Auld Triangle” am Ende des Tracks “Adelaine” zeigen die inhaltliche Konzeption des Albums. Es geht darum, Geschichten vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte zu erzählen. Selbstreflektion ist ein omnipräsentes Phänomen des Albums.

Und ja, eine Band, die sich nach der Tastenkombination für ein Dreieck auf einer Mac-Tastatur benannt hat und stilprägend für das kommerzielle Indie-Histertum der frühen 2010er war, kann man eigentlich nicht mögen. Eine Band, deren Live-Performance immer wieder eklatant schlechter ist als die Performance auf Platte gilt, oft zurecht, als überproduziert. Trotzdem: Relaxer ist ein wundervolles Stück Musik, und wer sich dieser Einsicht verschließt ist einfach nicht ehrlich zu sich selbst!

von Maximilian Heß

Team Hass

Wäre der Pop-Feuilleton eine Lehrerin, dann wäre alt-J der eklig-pomadige Junge aus der ersten Reihe, der ihr jeden Morgen stolz einen polierten Apfel ans Pult bringt. Der neuste Apfel der brownnoser aus Leeds heißt “Relaxer”. Und für das wollen sie wieder vor allem eines; gelobt werden. Vor meinem inneren Auge sehe ich sie auch schon, die hornbebrillten, vor Erregung sabbernden Musikredakteure, ihre Huldigungen in die Tastatur hackend. In ihren tageslichtlosen Kabuffs säuseln sie von filigranen Rhythmen, intelligenten Referenzspielereien und der “unfassbare Schönheit von Instrumentalharmonie und Gesang” (werter Kollege, im Ernst?).

“Relaxer” führt zumindest eine Tradition der beiden Vorgänger fort; Die Musik von alt-J bleibt auch auf dem dritten Longplayer eine fischkalte Fingerübung eines Streber-Quartetts. Ein High-End-Produkt, handwerklich beeindruckend und ausufernd ideenreich – was denn sonst? Doch Indie-Pop ist kein Jazz. Und so spielen sich die vier Briten ein weiteres Mal virtuos in innovative Soundwelten. Max bekommt “Gänsehaut” (ich werde das bei Gelegenheit kontrollieren) und ich fühle wie immer: Nichts. Bin ich wirklich alleine?

Der Erfolg ihrer Musik brachte es mit sich, dass alt-J in den vergangenen Jahren die prädestinierte Band für Monsterfestivals wurde, die zwischen Clueso und Flogging Molly ins Line-Up geschmuggelt wird, um auch die “ästhetisch anspruchsvollen” Besucher glücklich zu machen. Danach werden diese wieder auf den Campingplatz entlassen, um Bierpong zu spielen und intellektuell abzukühlen. Genau dort, vor den Bühnen, wie Fremdkörper zwischen den grölenden Massen, trifft man sie dann wieder: Die hornbebrillten Kulturschmarotzer, mit einer Frage in ihren entgeisterten Gesichtern: “Wie konnte das denn passieren?”

von Julian Tröndle

Mehr zur Platte erfahrt ihr am Dienstag, 06.06.17, ab 19 Uhr im Soundcheck 

Mehr zu Alt-J

Autoren:
Veröffentlicht am 2. Juni 2017

Empfohlene Artikel