Mohrrübenkuchen

Mohrrübenkuchen

Ob Kurzgeschichte, Liebesgedicht, Romanausschnitt oder Poetry-Slam Text – Lu liebt Literatur! Auf uniCROSS stellen euch ab sofort Mitglieder der Uni ihre Texte vor. Heute: “Mohrrübenkuchen” von Leonardo Kahn.

Mohrrübenkuchen

Mit der Spitze meiner Zunge fühlte ich noch die letzten kantigen Mohrrübenstückchen, die zwischen Backzähnen und Wange gefangen waren. In einer wellenartigen Bewegung löste ich diese und sie fielen wie Ruinenbrocken in meinen Rachen. Ich räusperte mich kurz. Das obere Ende der Möhre; ich meine den gelb-grünen Teil mit den Stängeln, den Teil, den nur Eseln, Pferde und manchmal auch Kaninchen/Hasen mitessen; legte ich vorsichtig mit der Blattseite nach oben auf meine Lippen.

Wenn man mich jetzt sehen würde, wäre es unmöglich herauszufinden, ob die ganze Möhre oder nur ein Teil der Möhre in meinem Rachen stecken würde. Ob jemand wohl auf die Idee kommen würde, dass ich nur das obere Stück der Wurzel wie ein Taler auf meinen Mund gelegt habe?

Die Blätter lagen auf meinen Augenlidern, kratzten an meinen Pupillen. So fühlt es sich wohl an, ein Boden zu sein. Wenn ein Vogel an meinem Fenster vorbeigeflogen wäre, wäre der ganz sicher davon ausgegangen ich sei ein Boden, der Boden, die Erde, ein Gemüsebeet. Dieser absurde Gedanken belustigte mich. Ich musste kurz lachen, wobei der leblose Körper der Rübe fast in mein Gesicht stürzte. Ich musste die Lippen sehr spitzen, um dies zu verhindern. Somit wäre um ein Haar die ganze Attrappe aufgeflogen. Um mich besser konzentrieren zu können, schloss ich die Augen. Ich verabschiedete mich von dem grellen Lampenlicht, das mir seit meinem Bettaufenthalt gelbgrünliches Licht ins Gesicht gerotzt hatte.

Ich musste mich jetzt richtig konzentrieren. Meine Arme streckte ich ganz glatt an meinem Körper entlang. Meine Atmung musste so still sein wie die eines Gemüsebeetes. Mein Gesicht musste faltenfrei und losgebunden von jeglichen Zuckungen sein, wie das von Muttererde.

Von da an ging alles einfach und schnell. Es musste nur eine blöde Taube an meinem Fenster vorbeifliegen und mich mit einem Boden verwechseln. Die müsste dann nur die Erdreptilien alarmieren, dass im obersten Stock ein Boden ist, der nicht dorthin gehört. Die Erdreptilien müssten dann den Lift nehmen und mein Zimmer finden, dessen Tür nie abgeschlossen ist,- man kann ja nie wissen! Diese müssten dann nur die Analogie zwischen mir und einem Gemüsebeet herstellen. Ahnungslos über meinen äußerst tückischen Plan, müssten sie nur meinen Körper auf ihren lederigen wellenschlagenden Rücken hinaustragen. Neben andere Gemüsebeete würden sie mich legen und dann verschwinden.

Anschließend käme ein Pferd, Esel oder Kaninchen/Hase und würde das Karottenteil von meinen Lippen im sanften Kuss entfernen. Enttäuscht wäre es nicht! Natürlich ist dies nicht ihr Leibrübenstück, groß aufregen würden sie sich dennoch nicht. Die Viecher fressen nämlich alles, nur die Erde und Menschenfleisch nicht, wo auch wiederum mein Vorteil liegt. Von dem Tag an, wäre ich gewaschen und frei. Dann werde ich in Eimern mit Liebe, Glück und Regenwasser begossen, bis in alle Ewigkeit.

Autor: Leonardo Kuhn

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Veröffentlicht am 21. September 2017

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