Der erste Schritt in ein neues Leben führt zur Altpapiertonne

Der erste Schritt in ein neues Leben führt zur Altpapiertonne

Am Montag hat das neue Semester begonnen und noch mindestens zwei Wochen wird – entsprechend dem Circle of University – die Fluktuation von fachkundigen Absolvierenden und frischgebackenen Erstsemestern bei ihrem Umzug in die erste eigene Wohnung zu beobachten sein. Doch wie ist er eigentlich, der erste Moment in der eigenen Wohnung? Samantha schwelgt in Erinnerungen.

Auch im beschaulichen Freiburg säumen, wie jedes Jahr im Oktober, überquellende Altpapiertonnen das Stadtbild, in denen Kartonagen mit den eigenartigen Namen BILLY, MICKE, PAX und MALM, ähnlich wie deren Entsorger, auf den Beginn eines neuen Lebensabschnitts warten. Familienkutschen mit auswärtigen KFZ-Kennzeichen blockieren die Straßen, bis unters Dach beladen mit pubertären Überresten dahinschwindender Jugendjahre und mühsam aus den Kellern der Verwandtschaft zusammengetragenen Vorboten eines neuen Lebens.

Umzugswagen, voll beladene Anhänger und Väter, die mit anderen Vätern um logistische Gewieftheit und handwerkliches Geschickt wetteifern oder sich als Mitglieder des Bundes umzugsgeplagter Väter („Das ist der Dritte von insgesamt fünf Sprößlingen“) mit Rat, Tat und den neusten Werkzeugen in schweren Stunden zur Seite stehen, gehören ebenso zu diesem Bild, wie Mütter, die angewidert den verkrusteten Überresten der Vormieter zu Leibe rücken und anhand der Kühlschrankfächer von Mitberwohnerinnen und Mitbewohnern professionelles Profiling betreiben, während sie hin und wieder beiläufig einen mütterlichen Rat droppen: „Kratze nie mit spitzen Gegenständen in einer beschichteten Pfanne!“

Inmitten dieses Szenarios aus Schlepperbande, ungeduldigen Tetris-Profis, selbst ernannten Handwerkerprofis und dem mobilen Notfallteam, das vergessenen Tischbeinen und fehlenden Schrauben nachjagt, von ihrem oder seinem neuen Wohntraum durch lediglich drölfzilliarden Treppenstufen eines Altbautreppenhauses getrennt, steht der flüggewerdende Spross.

Kernsanierung 

Ist das Wohnobjekt nach gehetztem Pinselschwingen, Entlüften der Heizkörper und Austausch des von Bakterienkulturen bevölkerten Teppichbodens gegen die „Sei froh, dass du dir keinen Fußpilz auf dem Teppich holen musst“- Laminatvariante dank der elterlichen Großzügigkeit und ganz zur Freude des Eigentümers oder der Eigentümerin endlich kernsaniert, der letzte Nagel schief in die Wand gehauen, das angebohrte Stromkabel repariert und die obligatorische Umzugspizza vertilgt worden: Dann ist er gekommen, der Zeitpunkt für die Eltern, die mehrstündige Fahrt nach Hause anzutreten, um am nächsten Morgen wieder pünktlich bei der Arbeit zu sein.

Abschied

Es wird geknuddelt und gedrückt, der sentimentale Kloß im Hals wird durch spaßige Kommentare über die verdrückten Tränen der Mütter zu überspielen versucht, das obligatorische „Fahrt vorsichtig“ – das mit Bestehen des Führerscheins von den Eltern selbst eingeführt wurde – nun an diese zurückgegeben, der Motor gestartet, die Autotüren geschlossen und mit dem von der Schlepperei des Tages ermüdeten Arm gewedelt, bis das Eltern-Mobil als winzig kleiner Punkt am Horizont verschwindet und selbst mit einem Feldstecher nicht mehr ausgemacht werden kann.

Der Moment des Innehaltens

Und dann ist er da, der Punkt an dem man sich umdreht, noch einmal die drölfzilliarden Treppenstufen in das neue, nach Farbe, Sägespänen und Möbelhaus duftende Domizil emporsteigt und etwas abgelenkt von den verflixten Pizzakartons, die man beim vorherigen Abstieg doch eigentlich in der grünen Tonne entsorgt haben wollte, plötzlich innehält, etwas einsam und verloren um sich blickt und einem bewusst wird, dass man ausgezogen ist. Ein Ereignis, das Eltern seit der Geburt fürchten und gleichzeitig doch so häufig herbeisehnen: Der Auszug des Nachwuchses in die große weite Welt, in der man nun gestrandet ist, völlig überfordert von der sparsamen universitären Informationspolitik, dem Straßenbahnnetz und Raumsystem der zahlreichen Campus, allein in einer fremden Stadt, in der man sich für einen winzigkleinen Moment wieder sein wohlbehütetes Habitat unter dem elterlichen Giebel zurückwünscht. Einmal tief durchgeatmet, ein Biss von der Schokolade aus der elterlichen Notfallversorgungskiste genommen und ab zur Altpapiertonne: Die ersten Schritte in ein neues Leben.

Und weil das zwischen „Hast du oben den Wohnungsschlüssel abgezogen und eingesteckt?“, „Wo ist eigentlich der Hund?“, „Fahrt vorsichtig“ und „Gebt Bescheid, wenn ihr Zuhause angekommen seid!“ gelegentlich etwas unterzugehen droht: Dankeschön an alle liebenden Mamas und Papas, die sich in dieser Szenerie wiederfinden – und allen Erstis einen gelungenen Semesterstart.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

 

Mehr Kolumnen von Samantha auf uniCROSS

Das Senfglas ist leer …

Experte Patronum 

Die Fantastilliarden-Feste

Celebrari aude – der jubilierende Senf

Apropos Aperitivo

Superfood – Berry good?

Slow Food, Soul Food & Solo Food

LED it shine

Athleisure everywear

Die Ausreden des mangelnden Bockes

Der Gleichklang von Wahl und Qual – Zufall?

Der erste Schritt in ein neues Leben führt zur Altpapiertonne

Emotionen WECKen

Mein postpubertäres Alter Ego und das präadultische Mini-Me

Body shaming – how about no!

Jedem Wahnsinn seine Unordnung

Der reisende Geduldsfaden

Von bittersüßer Nostalgie und Freundschaft

DIY? I did it my way!

Taxi bitte!

Surprise, Surprise …

Gegen den Strom in den Mainstream

Sind Messer heute den Schurken vorbehalten?

Liebesgrüße aus der Ferne

Heute ganz sicher vielleicht

Bild: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 18. Oktober 2017

Empfohlene Artikel