Der außerirdische Angeklagte

Der außerirdische Angeklagte

Ein Betrüger, der sich als Alien ausgab, um sein Opfer zur Selbsttötung zu bringen? Mit diesem bizarren Strafrechtsklassiker startet die Reihe, in der Studierende einen etwas anderen Einblick in ihre Fächer geben. Ob skurril, interessant oder einfach nur unterhaltsam  – hier teilen Studierende Funfacts aus ihrem Studium und was sie daran fasziniert.

Lisa Frense, vor kurzem examinierte Jurastudentin, erzählt die unglaubliche Geschichte von Anton und Olivia.

Lisa, ihr habt zu Beginn eures Studiums einen ziemlich absurd anmutenden Fall, den sogenannten Siriusfall, besprochen. Kannst du diesen kurz herunterbrechen?

Klar. In dem Fall geht es um Anton*, den späteren Angeklagten, der sein Opfer Olivia* in einer Diskothek kennenlernt. Die beiden freunden sich an und mit der Zeit wird Anton zu Olivias Berater in allen Lebensfragen. Bald darauf offenbart er ihr allerdings, dass er eigentlich ein Bewohner des Sterns Sirius sei. Und erklärt weiter, das er auf die Erde gesandt worden sei, um dafür zu sorgen, dass einige auserwählte Menschen – darunter Olivia – nach dem Zerfall ihrer irdischen Körper mit ihrer Seele auf einem anderen Planeten weiterleben könnten.

Olivia glaubt ihm und so beschließt Anton ihr Vertrauen auszunutzen und sich auf ihre Kosten zu bereichern. Dazu gaukelt er ihr vor, dass ihr Körper zunächst eine geistige Entwicklung durchmachen müsse. Diese schwierige Heilbehandlung könne allerdings ein Freund, der Mönch Uliko, gegen 30.000 DM als Fernmeditation durchführen. Als dies jedoch ohne Erfolg bleibt, entgegnet Anton Olivias wiederholten Nachfragen schließlich, dass sich ihr Bewusstsein anscheinend gegen die Entwicklung sperre. Nur durch die Vernichtung ihres jetzigen Körpers könne die Blockade noch aufgehoben werden. Ein neuer Körper stünde aber schon für sie bereit.

Da sie aber natürlich auch in ihrem neuen Leben Geld brauche, solle Olivia zuvor eine Lebensversicherung über 250.000 DM abschließen, ihn als alleinigen Bezugsberechtigten bestimmen und dann durch einen vorgetäuschten Unfall aus ihrem jetzigen Leben scheiden. Dafür solle sie sich in eine Badewanne setzen und einen eingeschalteten Fön in das Wasser fallen lassen. Die auf ihn überschriebene Versicherungssumme würde Anton ihr dann überbringen, sobald sie in ihrem neuen Körper erwache.

Olivia schließt die Versicherung dementsprechend ab und versucht schließlich auch diesen finalen Plan in ihrer Wohnung zu realisieren. An einen Selbstmord im eigentlichen Sinn denkt sie dabei nicht. Sie geht davon aus, sich bloß ihres jetzigen Körpers zu entledigen. Sie lässt den Fön ins Wasser fallen – doch der tödliche Stromstoß bleibt aus.

Die Sicherung war wohl herausgeflogen und Olivia überlebt.

Dieser Fall hat sich tatsächlich Ende der 70er Jahre in Deutschland so zugetragen. Einmal abgesehen von seiner Skurrilität – warum ist der Fall auch juristisch so interessant?

Die grundlegende Frage ist ja: Wie hat Anton sich hier eigentlich genau strafbar gemacht? Die Selbsttötung, auch Anstiftung und Beihilfe, ist nämlich nach herrschender Gesetzeslage straflos, sodass also auch die bloße Teilnahme daran nicht strafbar ist. Juristisch interessant und umstritten ist deshalb vor allem die Frage, ob Anton sich nun wegen versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht hat – obwohl ja an sich Olivia handelte, als sie den Fön ins Wasser fallen ließ. Deshalb muss man hier also zwischen einer – straflosen – Teilnahme an der Selbsttötung und einer – strafbaren – Fremdtötung entscheiden.

Und wie wurde damals entschieden?

Dadurch, dass Anton Olivia überzeugen konnte, dass sie nicht sterben, sondern in einem anderen Körper aufwachen würde, hat er ganz bewusst und gewollt verschleiert, dass sie sich eigentlich selbst töten könnte. Das Verhalten von Olivia kann man deshalb also Anton zurechnen und es wurde befunden, dass er versucht hat, einen Mord durch einen anderen zu begehen (§ 25 I Alt. 2 StGB), indem er Olivia sozusagen zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht hat.

Die Besonderheit des Falls liegt hier nur darin, dass Werkzeug und Opfer eine Person sind: Olivia. Der genannte Paragraf umfasst klassischerweise nämlich eigentlich Dreipersonenverhältnisse: Jemand begeht einen Mord durch eine weitere, dritte Person und nicht durch das Opfer selbst.

Wie lautete dann das endgültige Urteil?

Anton wurde vom damaligen Landgericht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt – wegen versuchten Mordes, Betrugs und vorsätzlicher Körperverletzung. Er ging  daraufhin sogar in Revision vor den Bundesgerichtshof. Das blieb allerdings erfolglos.

Der Siriusfall taucht mittlerweile wahrscheinlich im Studium fast aller Jurastudierenden einmal auf. Welche Aspekte sind es, kurzgesagt, die den Fall zum Strafrechtsklassiker gemacht haben?

Zum einen auf jeden Fall die extrem schwierige Abgrenzung zwischen Teilnahme am Suizid und Fremdtötung. Hier kommt es maßgeblich darauf an, wie frei die Willensentscheidung des Opfers war. Nur wenn das Opfer den Tötungsentschluss freiverantwortlich getroffen hat, kann man von einer Selbsttötung ausgehen. Handelte das Opfer dagegen unfrei, liegt eine Fremdtötung vor. Die Kriterien für diese Freiverantwortlichkeit sind allerdings ziemlich umstritten. Das Urteil des BGHs und die Auslegung, dass Anton versucht hat, den Mord durch Olivia – als Werkzeug gegen sich selbst – zu begehen, sind deshalb auch juristisch ein  Markstein gewesen.

Ebenso wurde erstmals entschieden, in welchem Umfang leichtgläubige Menschen durch § 263 StGB (Betrug) geschützt sind. Diese Leichtgläubigkeit hatte der Angeklagte in dem Fall ja massiv ausgenutzt, um mitunter Olivias Lebensversicherung einzustreichen. Hier wurde dann entschieden, dass der Schutz der Vorschrift gilt – unabhängig davon, wie leicht die behauptete Tatsache durch „einen verständigen Menschen“ als Lüge zu erkennen ist. Ein Angeklagter kann sich also nicht damit herausreden, dass die unwahre Tatsachenbehauptung offenkundig eine Unwahrheit war. Auch niemand „vom Stern Sirius“.

*Namen frei erfunden

 Info

Der Sirius-Fall ausführlich zum Nachlesen: openjur.de/u/59855.html

Grafik: Mona Zeuner, Porträt: Privat
Autoren:
Veröffentlicht am 26. Oktober 2017

Empfohlene Artikel