Helfen mit Verstand

Helfen mit Verstand

FairTrade Kaffee kaufen und die gute Tat ist getan? Totaler Unsinn, folgt man dem effektiven Altruismus. Die junge Bewegung zeigt, wo und wie man mit seiner Hilfe wirklich etwas bewirken kann. Es gilt: Rational statt emotional. Außerdem: Die Silent Disco im Video.

Wer glaubt, dass anderen helfen sinnvoll ist? Wer glaubt, dass es dabei egal ist woher man kommt, welchen sozialen Status man besitzt? Und wer glaubt, dass es besser ist, vielen Individuen zu helfen als nur wenigen?

Mit diesen drei Fragen eröffnet Oliver Vonhausen, Leiter der EA Gruppe in Freiburg, ihr erstes öffentliches Treffen. EA ist die Abkürzung für „Effektiven Altruismus“ und beschreibt eine Philosophie und soziale Bewegung, die sich Leidminimierung in der Gesellschaft zum Ziel gesetzt hat. Grundbaustein ist dabei die Frage: Wie können wir das Meiste bewirken? Entscheidet man sich zu helfen, sollen die eigenen Ressourcen, seien sie Zeit oder Geld, möglichst effektiv für ethische Zwecke eingesetzt werden.

Offenheit, globale Empathie und kritisches Denken

18 Interessierte sind der Facebook-Einladung des EA Freiburgs gefolgt. Überwiegend sind es Studierende, die mehr über den EA und die Lokalgruppe in Freiburg erfahren wollen. “Eine Kommilitonin, die sich besonders für Tierleid einsetzt, hat mir die Veranstaltung auf Facebook gezeigt. Ich fand die Beschreibung interessant und wollte wissen, was dahintersteckt“, erzählt eine der Teilnehmerinnen. Und damit ist sie nicht alleine.

„Die ersten Gedanken zu dem Thema habe ich mir schon während meines Philosophie Studiums gemacht. Auf die Bewegung an sich und auf die Stiftung hat mich dann ein Kumpel gebracht“, erklärt Oliver. Während eines Praktikums beim Hauptsitz des EA in Berlin, sammelte er Erfahrungen und Eindrücke die er nun weitergeben möchte. „Beim EA wird einem gezeigt was wirklich effektiv ist beziehungsweise, dass der eigene Einsatz tatsächlich etwas bewirkt. Daran zweifelt man ja oft bei anderen Charity Organisationen.“

Als leidenschaftlicher Altruist gründete er schließlich im Januar dieses Jahres die Lokalgruppe in Freiburg. Ziel der Gruppe ist es, in erster Linie über die aufkommende Bewegung zu informieren, Offenheit für altruistische Gedanken zu schaffen.

Viel nehmen heißt viel geben

Die Teilnehmenden des Diskussionsabends sollen also zum Nachdenken angeregt werden, zum Beispiel darüber, welchen sozialen Einfluss, genannt „Impact“, man auch durch seine Berufswahl haben kann. Denn diese beeinflusse nicht nur die eigene Zukunft, sondern auch die anderer.

80.000 Stunden seines Lebens verbringe man am Arbeitsplatz, so die Berechnung der Altruisten. Zeit, die effektiv genutzt werden solle. Damit ist nicht zwingend eine soziale Berufslaufbahn gemeint, es gehe vielmehr auch darum, durch seine Arbeit große Summen zu verdienen – denn wer viel verdient, kann viel spenden. Um genau zu sein, zehn Prozent seines Einkommens, so der Richtwert der Stiftung.

Meetups wie der Diskussionsabend will Oliver in Zukunft häufiger organisieren. „Der EA ist noch in den Kinderschuhen, unsere Hauptaufgabe in Freiburg ist Metawork, also den Menschen den EA nahezubringen. Mit jeder Person die davon redet, es weitererzählt, haben wir schon etwas erreicht.“

Oliver und die Lokalgruppe wollen ihre Begeisterung und Überzeugung weitergeben. Im Idealfall mobilisieren sie Menschen sogar dazu, anderen aktiv zu helfen, zum Beispiel durch Spenden – und das effektiv. „Mit den Spenden soll dort geholfen werden, wo sie am meisten bewirken.“ Wichtig dabei sei auch, dass man überlege wo noch nicht so viel getan wird und der Bedarf nach Engagement größer sei.

Dabei leiste die Stiftung für Effektiven Altruismus Hilfestellung und verweise auf besonders wirkungsstarke Hilfsorganisationen. Darüberhinaus habe man auch die Möglichkeit direkt an die Stiftung zu spenden, die das Geld an transparente Unterorganisationen weiterreicht oder für eigene Projekte, unter anderem die Unterstützung der Lokalgruppen, nutzt.

Spenden ist für den EA also nicht gleich spenden. Die Wirksamkeit von Hilfsorganisationen schwanke mächtig sagt Oliver, was in den meisten Spendenentscheidung nicht berücksichtigt werde. Eine Patenschaft und Schulgeld für ein einzelnes Kind zu bezahlen sei im Vergleich zu anderen Interventionen nicht immer die hilfreichste Option. Viel effektiver sei die Investition in Wurmkuren. Denn viele Kinder in afrikanischen Ländern können keine Schule besuchen, da sie unter Parasiten leiden. Eine Kur zur Heilung koste nur 0,50 Euro – mit dem Schulgeld für nur ein einziges Kind, könne man folglich einer Vielzahl von Kindern eine Schulbildung ermöglichen.

Von Mitgefühl zu Mathematik

Die Stiftung für Effektiven Altruismus identifiziere mittels empirischer Forschung die Problemfelder, die noch an Hilfe bedürfen und entwickle Strategien um die verfügbaren Ressourcen optimal einzusetzen, sodass die größte positive Wirkung erzielt würde, erklärt Oliver. Momentan stehen Entwicklungshilfe, Tierleid sowie Risiken und Chancen von Zukunftstechnologien im Fokus.

Dabei spielen räumliche Distanzen keine Rolle. Denn Leid werde nicht weniger schlimm, wenn man es geographisch verschiebe, informiert die Stiftung auch online.

Hinter all dem stehen Zahlen, Daten, Formeln, die berechnen wo unser Geld und unsere Zeit dem Zweck zugutekommen. Hier liegt allerdings ein Kritikpunkt, der auch an diesem Abend von einem Studierenden in die Diskussionsrunde eingebracht wird: „Muss alles Bemühen dahin gerichtet werden, wo man mit unseren Ressourcen am meisten erreichen kann? Bleibt alles anderes auf der Strecke?“, fragt er. Bedeute das rational anstatt emotional? An erster Stelle stehe die Leidminimierung, antwortet Oliver.

Leidminimierung dürfe somit keine impulsive Entscheidung mehr sein, es müsse zuvor kalkuliert werden, ob es wirklich effektiv ist oder ob die Unterstützung woanders nicht viel mehr erreichen könne. Persönliche Bedürfnisse sollen dabei jedoch nicht auf der Strecke bleiben. Niemand solle unter seinem Engagement für die Leidminderung selbst leiden, sagt Oliver. Der EA ist also nur etwas für die, deren persönlichen Ziele sich mit dem Leidminimierungskonzept des EA decken. Zwar erkennt der EA auch Dinge wie kulturelle Einrichtungen als förderungswürdig an, unterstützt werden Projekte jedoch nur, wenn sie zu den von der Stiftung anerkannten Problemfelder zählen.

Dem Bedürftigen auf der Straße einen heißen Kaffee zu bezahlen ist also für den effektiven Altruisten undenkbar, könnte er mit diesem Geld doch mehreren Kindern in Afrika eine Wurmkur ermöglichen.

Info

Die Stiftung für Effektiven Altruismus ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Berlin. Sie ist im In- und Ausland gemeinnützig tätig und finanziert sich ausschließlich über Spenden. Vor der Stiftungsgründung 2015 in Deutschland war sie Teil des EA der Schweiz.

Weitere Infos zum EA oder wann und wo das nächste Meetup der Freiburger Lokalgruppe stattfindet, findet ihr auf der Facebookseite der Lokalgruppe oder der allgemeinen Seite der Stiftung:

Facebookseite der Lokalgruppe oder der allgemeinen Seite der Stiftung.

Audio

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Veröffentlicht am 25. Oktober 2017

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