Gemeinsam leben: Multikulturelles Wohnheim

Gemeinsam leben: Multikulturelles Wohnheim

Im Wohnprojekt Längenloh haben Geflüchtete seit Oktober 2016 Tür an Tür mit Freiburger Studierenden gewohnt, das Zusammenleben ging hierbei über eine gewöhnliche Nachbarschaft hinaus. Trotz des Erfolgs der Projektidee endet das gemeinsame Wohnen mit dem Sommersemester 2017.

Das Wohnheim Längenloh ist schon von Weitem nicht zu übersehen: Fünf Holzgebäude stehen auf einer kleinen Anhöhe, unweit der Straßenbahnhaltestelle Glottertalstraße in Zähringen. An einem frühen Abend Mitte Juli enden die letzten Vorbereitungen für das Sommerfest, das die Bewohner der Anlage gemeinsam feiern wollen. Im Innenhof stehen Biertischgarnituren, im Gemeinschaftsraum sammeln sich zunehmend Speisen und Getränke am Buffet, orientalische Musik mischt sich mit Unterhaltungsfetzen in verschiedenen Sprachen und zahlreiche Kinder springen aufgeregt um die Musikanlage, während Studierende neben ihnen bunte Girlanden aufhängen: Hier pulsiert das Leben.

Im Innenhof der Wohnanlage Längenloh begegnen sich die Bewohner sowohl im Alltag als auch an diesem Abend beim Sommerfest.

In Längenloh wohnten Geflüchtete, darunter viele Familien, seit Oktober 2016 gemeinsam mit Studierenden. Erst Anfang August 2016 erfuhren Renate Heyberger, stellvertretende Geschäftsführerin des Studierendenwerks Freiburg (SWFR) und Gernot Kist, Mitarbeiter des Studierendenwerks, von den verfügbaren Zimmern für Freiburger Studierende. Heyberger und Kist begannen daraufhin, ein Konzept für das besondere Wohnen der etwa 150 Geflüchteten und 72 Studierenden in Längenloh auszuarbeiten.

Ehrenamtliches Engagement

„Wir wollten die Begegnung in Längenloh erleichtern, indem wir ehrenamtliches Engagement fördern“, erklärt Gernot Kist.  Beim daraufhin stattfindenden Auswahlverfahren wurden deshalb 20 engagierte Studierende aus über 400 Bewerbungen als Ehrenamtliche für das Projekt ausgesucht, denen im Anschluss an das Projekt ebenso einen Wohnplatz in einem regulären Studierendenwohnheim zugesichert wurde. Das Verfahren basierte auf dem Grundgedanken, sowohl Studierende mit als auch solche ohne jegliche Erfahrung in der Flüchtlingshilfe oder dem Ehrenamt zusammenzubringen: Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Bewerbung waren vor allem die Motivation sowie die Bereitschaft zum Engagement in der Wohngemeinschaft.

Weitere 47 Wohnheimplätze für Studierende wurden nach dem üblichen Losverfahren verteilt. Da das Wohnprojekt befristet war, kamen hierbei auch einige Erasmus-Studierende zum Zug. Ebenso wurden fünf bezahlte Stellen für Tutoren ausgeschrieben, welche das Gemeinschaftsleben in Längenloh koordinieren sollten.

Die Tutorinnen und Tutoren vermittelten unter anderem zwischen Helferkreis, Studierendenwerk, Caritas, Stadt und Bewohnern und halfen bei der Durchführung und Organisation von diversen Angeboten, die Bestandteil des Zusammenlebens wurden: Von einer Kinderbetreuung über gemeinsame Gartenprojekten bis zu Sportangeboten und bürokratische Hilfen entstand hierbei ein nachbarschaftliches Netzwerk.

Konfliktärmstes Wohnheim in Freiburg

Die Studierenden wohnten in Längenloh in separaten Gebäuden und eigenen Wohngemeinschaften, trotzdem hat sich unter den Bewohnern der gesamten Anlage eine echte Gemeinschaft entwickelt. „Die Atmosphäre ist fast schon familiär!“, sagt Josephine Kaltwang. Sie studiert Grundschullehramt im zweiten Semester und zog im Oktober 2016 in Längenloh ein. Auch Umut Aydogan, der Latein und Spanisch ebenfalls im zweiten Semester studiert, betont, dass es keinen Unterscheid mehr mache, wer Geflüchteter oder wer Studierender sei: „Wir sind eine Gemeinschaft, hier behandeln sich alle mit Respekt.“ Diese Wahrnehmung der Bewohner bestätigt auch der Verantwortliche des SWFR Gernot Kist: Längenloh sei im vergangenen Jahr das konfliktärmste Wohnheim in Freiburg gewesen.

Hamid (links) und Umut Aydogan (rechts) zeigen, wie Freundschaften in der Nachbarschaft Längenlohs geschlossen werden können.

Im Fokus steht in der Wohnanlage eine Begegnung auf Augenhöhe, diese kann jedoch nur gelingen, wenn gleiche Bedingungen für Geflüchtete und Studierende geschaffen werden. Dennoch besteht auf struktureller Ebene ein Ungleichgewicht zwischen den Bewohnern fort. Dies schlägt sich nicht nur in einigen Punkten der Hausordnung nieder, sondern auch in der Unterbringung: Den Studierenden stand ein privates Zimmer sowie mit 16 Quadratmetern weitaus mehr Platz zu. Ebenso der Status des Ehrenamts sollte nach Meinung der Studierenden abgeschafft werden. Aus diesem Grund verlagerten sich die anfangs zahlreichen Angebote zunehmend ins Private, wodurch wiederum eine Politik der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung entstehen konnte.

Aus den Schwierigkeiten lernen

Trotz guter Ideen, versandeten das Engagement und der Tatendrang der Bewohnerinnen und Bewohner der Wohnanlage teilweise in der Bürokratie oder scheiterten an schwierigen Ausgangsstrukturen. Somit zeigt das Sozialprojekt Längenloh nicht nur, welchen Mehrwert ein gemeinschaftliches Wohnen von Geflüchteten und Studierenden mit sich bringt. Gernot Kist stellt fest, dass es darüber hinaus ein Lernen aus den Schwierigkeiten ermögliche, um zukünftige Projekte mit verbesserten Ansätzen planen zu können. Durch das gemeinsame Wohnen sollte nicht allein die Organisation von Projekten durch Tutoren und Ehrenamtliche initiiert, sondern die Durchführung gemeinschaftlicher Projekte aller Bewohner ermöglicht werden. Obwohl dieses Ziel nicht zufriedenstellend erreicht wurde, zieht Kist dennoch eine positive Bilanz: „Die Leute haben sich kennengelernt: Es entstand ein schönes Miteinander, wodurch sich die Bewohner außerhalb der Angebote als Nachbarn und Freunde geholfen haben.“

Auch im Bereich der Kommunikation bedürfe es einiger Verbesserungen, hat Gernot Kist zum Ende der Projektphase festgestellt. Eine Einführung von Stockwerksprechern beispielsweise, die Informationen für alle Generationen besser weitergeben könnten, würden die Gemeinschaft stärken. Ebenso seien Tutoren mit Arabisch-, Kurdisch- oder Persisch-Kenntnissen für ein Projekt dieser Art gefragt.

Von Seiten der Studierenden wurde vor allem die zeitliche Begrenzung des Projekts kritisiert: Von Beginn an lebten die Bewohner der Anlage Längenloh in dem Bewusstsein, dass das Zusammenleben befristet sein würde. Ursprünglich sollte das Sozialprojekt lediglich auf das Wintersemester 2016/17 beschränkt bleiben. Mit einer leichten Mieterhöhung für die Studierenden konnte es schließlich auf das Sommersemester 2017 erweitert werden. Im August 2017 jedoch zogen die Studierenden endgültig aus, bald schon werden Geflüchtete ihre Zimmer beziehen.

„Stadt und Studierendenwerk würden das Projekt gerne weiterführen“, sagt Gernot Kist. Doch da die Stadt ab dem 1. Januar 2018 die Quadratmeterregelung pro Geflüchtetem von 4 auf 7 Quadratmeter erhöhen möchte, erhalten sowohl die Geflüchteten in Längenloh mehr Platz als auch neue Bewohner aus anderen Unterkünften, die die Anlage beziehen werden. Ein erneutes gemeinsames Wohnen würde sowohl die Stadt als auch das SWFR gerne initiieren, jedoch sind hierbei vor allem finanzielle Hürden zu nehmen. Ein konkretes Projekt sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in Aussicht.

Gegenseitiger Austausch

Die Jurastudentin und Bewohnerin Katharina Hunger möchte auch in Zukunft in einer multikulturellen Wohngemeinschaft leben. „Die Idee hat mich überzeugt! Gerne würde ich wieder bei so einem Projekt mitmachen.“ Obwohl sie in Längenloh nicht offiziell als Ehrenamtliche einzog, profitierte sie genauso von der Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen, die zu Freunden werden konnten.

Nicht zuletzt kann diese Erfahrung dazu beitragen, Vorurteile abzubauen. „Es ist ein gutes Konzept, das vielleicht noch reifen muss. Auf jeden Fall ist es sehr schade, dass das Wohnprojekt endet, wenn wir uns gerade eingelebt haben“, fasst Umut Aydogan zusammen. Im Laufe des vergangenen Jahres organisierte er mithilfe anderer Bewohner ein wöchentliches Fußballtraining. Auch Hamid, der ursprünglich aus dem Iran kommt und mit seinen Eltern sowie vier Geschwistern in der Wohnanlage lebt, nahm regelmäßig am Fußballtraining teil. Durch Angebote wie dieses, konnten in Längenloh über eine gewöhnliche Nachbarschaft hinaus echte Freundschaften geschlossen werden, die das befristete Projekt vielleicht überdauern werden.

Bezeichnend für die Atmosphäre in der Wohnanlage Längenloh ist an diesem Abend ein ganz besonderer Tisch inmitten des fröhlichen Treibens des Sommerfestes: Hier findet ein Sprachen-Crash-Kurs von Arabisch über Farsi bis hin zu Deutsch statt. Sprachen lernen heißt hier, vom Gesprächspartner zu lernen, ihm zuzuhören und nachzusprechen, geduldig zu sein und vor allem meint es: Geben und Nehmen.

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Fotos: Verena Schieber
Veröffentlicht am 4. Oktober 2017

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