Von Gedichtanalysen, Bergläufen und dem Schlafen am Meer

Von Gedichtanalysen, Bergläufen und dem Schlafen am Meer

Heute wird in Deutschland gewählt und ich sitze gerade am Strand auf La Réunion und schaue mir den Sonnenuntergang an. Irgendwie wirkt alles gerade so weit weg und alles passiert so wahnsinnig schnell, dass ich mir die letzten Tage ein wenig Zeit genommen habe, um das Durcheinander in meinem Kopf zu ordnen.

Erster Punkt: Ich halte morgen eine mündliche Präsentation über eine vergleichende Gedichtanalyse unter dem Aspekt der Interdisziplinarität der Liebe in poetischen Texten. Gedichtinterpretationen und ich waren noch nie gute Freunde, auch im Deutsch-Abi hatte ich auf Lücke gelernt und diesen Teil gekonnt ausgelassen …

Und hier an der Uni auf La Réunion soll ich Gedichte unter dem Aspekt neurobiologischer und soziologischer Erkenntnisse untersuchen? Ganz klar eine Herausforderung, um es mit meiner norddeutschen Rationalität auszudrücken. Komischerweise bin ich mir aber sicher, dass das morgen irgendwie klappen wird, weil hier alles klappt – irgendwie.

Ich bin abends noch bei Freunden auf ein Glas Wein eingeladen, die Busse fahren nur bis 20 Uhr. Ich packe also meine Tasche und nehme vorsichtshalber schon mal eine Zahnbürste mit, die habe ich hier eigentlich immer dabei – und eine Hängematte. In Deutschland wäre ich nie ohne Plan irgendwo hingefahren ohne zu wissen, wie ich nach Hause komme. Hier lebe ich nach dem Mantra, das alles funktionieren wird, zwar weiß ich nicht wann und wo und wie, aber das ist auch nicht entscheidend.

Zweiter Punkt: ich werde die Universität La Réunion im November bei einem Trail-Run auf Rodrigues vertreten. Mit neun anderen Läuferinnen und Läufern, wobei die Hälfte langjährige Erfahrung in dieser Sportart aufweisen kann. Jetzt frage ich mich, was ich mir da eigentlich bei gedacht habe. Immerhin fordert ein 40 Kilometer-Geländelauf Berg hoch, Berg runter auch für die besten Läufer die letzten Kraftreserven ein. Aber auch bei diesem Thema weiß ich auf eine beruhigende Art und Weise, dass ich es schaffen werde. Und darauf freue ich mich schon wahnsinnig.

Ich bin mir mittlerweile sicher, dass der Trail-Run mein persönliches Highlight werden wird und ich weiß auch, dass es einer dieser Marmeladenglasmomente werden wird, den ich sicher verschlossen mit nach Freiburg tragen werde.

Bis November sind es noch zwei Monate, in denen ich jetzt fast jeden Tag trainieren werde.

Im Zweifel werde ich also auf die eine oder andere Party verzichten, zum Glück gibt es da auch genügend Möglichkeiten in Freiburg.

Neben dem Studium wird die Insel erkundet.

Aber trotzdem möchte ich irgendwie immer noch bei allem dabei sein, ich möchte eigentlich mit zu allen Ausflügen, ich möchte bei allen Kochabenden dabei sein und ich möchte mir auch die lokalen Rapper wie T-Matt mit meinen Freunden hier anhören. Tja, was tut man, wenn man die pure Freiheit hat und sich dann entscheiden muss? Ja ich weiß, das sind Luxusprobleme, aber genau in solchen Momenten lernt man am besten, auf sich selbst zu hören und seinen Weg zu gehen. Gerade unter ERASMUS-Studierenden ist es häufig schwer, mal zu sagen, dass man heute lieber mal alleine eine gute Serie angucken möchte.

Du hast sechs wunderbare Monate und kannst sie so gestalten, wie du möchtest, abwechslungsreich, eintönig, sportlich, kreativ, ganz egal, aber mach einfach etwas draus und frag dich am Ende nicht, warum du bestimmte Dinge nicht getan hast.

Ich für meinen Teil habe angefangen zu boxen, trainiere für den Trail, mache canyonning, schlafe an den Wochenenden nach durchtanzten Nächten am Meer, höre französischen Rap mit meinen Nachbarn, liebe Samoussas und bin beim Thema Uni nicht mehr so streng zu mir wie in Deutschland.

Und in Deutschland wird heute gewählt – ein komisches Gefühl irgendwie. Meine beantragte Briefwahl ist leider nie angekommen und jetzt setze ich mich gleich vor den Fernseher und betrachte mit einem mulmigen Gefühl die Wahlergebnisse, zu denen ich dieses Mal kein Stückchen beigetragen habe, weil ich auf einer kleinen paradisischen Insel im indischen Ozean stecke und meinen Weg gehe.

Katja Hackmann …

… studiert im 5. Semester Frankomedia an der Uni Freiburg und ist für ein Semester auf La Réunion. Da das Semester bereits Ende November vorüber ist, geht sie noch auf Reisen. Geplant war Madagskar, was jetzt aber aufgrund der ausgebrochenen Pestepidemie ins Wasser fallen wird.

Zur Auswahl stehen noch Namibia oder Guadeloupe. Weihnachten wird sie wahrscheinlich auf La Réunion verbringen, entweder mit Freunden oder als WWOOFerin auf einer Farm im naturbelassenen Cirque de Mafate.

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Fotos: Katja Hackmann
Veröffentlicht am 17. Oktober 2017

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