„Nie werde ich vor Hass erbeben“

„Nie werde ich vor Hass erbeben“

Freiburg ist um ein kulturelles Zentrum reicher. In der Stadtstraße hat im Mai 2017 das Zwetajewa-Zentrum für russische Kultur an der Uni Freiburg eröffnet. Wer Marina Zwetajewa war und was die Freiburger und Freiburgerinnen dort erwartet, hat uniCROSS von Prof. Elisabeth Cheauré, der Leiterin des Zentrums, erfahren.

Baden und Russland verbindet eine lange Geschichte. Als bedeutendes historisches Ereignis gilt die Hochzeit des Zaren Alexander I mit Prinzessin Louise von Baden im Jahr 1793. Bei dem badisch-russischen Verhältnis spielen also andere Städte wie beispielsweis Baden-Baden eine größere Rolle. Wieso kam das Zwetajewa-Zentrum für russische Kultur nach Freiburg?

Auf wissenschaftlichem Gebiet haben wir sehr intensive Beziehungen nach Russland, insbesondere zur RGGU, das ist die Russische Staatliche Geisteswissenschaftliche Universität in Moskau. In enger Zusammenarbeit haben wir dort nicht nur ein gemeinsames Zentrum für kulturelle Beziehungen zwischen Deutschland und Russland gegründet, sondern auch einen gemeinsamen Masterstudiengang. Außerdem haben wir an der Uni Freiburg das erste und auch einzige von der DFG geförderte deutsch-russische Graduiertenkolleg im Bereich der Geisteswissenschaften überhaupt.  

Das Zwetajewa-Zentrum hat aber eigentlich eine andere Zielrichtung. Wie der Name sagt, ist es ein Zentrum für russische Kultur an der Universität Freiburg und soll damit in die Bevölkerung hineinwirken und russische Kultur und Geschichte vermitteln.

Es versteht sich auch als eine Art Mittlerin zwischen den Menschen, die in Freiburg leben und seit Jahrhunderten deutsche Wurzeln haben und jenen Menschen, die in den letzten Jahrzehnten aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion nach Freiburg gekommen sind, also Russlanddeutsche, Spätaussiedler oder Kontingentflüchtlinge. Wir haben in Freiburg außerdem eine starke Studierendenschaft aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion und auch aus Russland selbst.

Wir wollen im Zwetajewa-Zentrum ein Angebot schaffen, das als Gegenpol zu dem politischen Säbelrasseln, das wir allenthalben auf der Welt haben, fungiert, das ein anderes Russlandbild vermittelt. Damit sind wir unpolitisch und zugleich hochpolitisch.  

Die Gedenktafel am Wohnhaus in der Wallstraße.

Marina Zwetajewa war eine russische Dichterin, die zu einer sehr bewegten Zeit, der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert, lebte. Warum wurde sie als Namensgeberin  für das neue Kulturzentrum in Freiburg gewählt?

Wir wollten einen Namensgeber oder eine Namensgeberin, die auch mit Freiburg verbunden ist und eine intensive Beziehung zur deutschen Kultur hat.

Zwetajewa hat von Kind an die deutsche Sprache erlernt und ist mit ihrer Familie, die aus der Moskauer Oberschicht stammte, sehr viel gereist. Sie war sehr lange im Ausland, nicht zuletzt aufgrund der Erkrankung ihrer Mutter, die Tuberkulose hatte und die in der Schweiz und im Schwarzwald Heilung suchte. So war Zwetajewa für mehrere Monate auch in Freiburg, wo sie in dieser Zeit auch zur Schule ging.

Dieser Aufenthalt in Freiburg und im Schwarzwald war für sie sehr beeindruckend. Zwetajewa  hat durch diese Zeit in Freiburg eine noch sehr intensivere Beziehung zur deutschen Kultur entwickelt und darüber auch Gedichte geschrieben, insbesondere das berühmte Gedicht von 1914 „An Deutschland“. Es gibt, glaube ich, kaum eine russische Dichterin oder russischen Dichter, der auf diese Weise so eng, auch emotional eng, mit Deutschland und deutscher Kultur verbunden ist.

Es sind also zwei Faktoren, warum sie sich als Namensgeberin für das Zentrum angeboten hat: Die tatsächliche biographische Verbindung mit Freiburg und dieser intensive Bezug zur deutschen Kultur, die sie in ihrem Werk und in ihrem Leben zeigt.

Mit dem eben erwähnten Gedicht „An Deutschland“ von 1914 schreibt Zwetajewa während des Ersten Weltkriegs eine Art „Liebesgedicht“ an ihr „Germanien“, wie es im Text heißt, und spricht sich gegen die Kämpfe und Gewalt aus. Sie schreibt: „Nie werde ich vor Hass erbeben“. Was bedeutet Zwetajewas Botschaft in der heutigen Zeit?

In diesem Gedicht setzt sie den Kriegsereignissen das Panorama der deutschen Kultur, deutscher Philosophie, deutscher Literatur, deutscher Folklore entgegen, also sozusagen das eigentliche Deutschland und nicht das Deutschland des Kriegstreibens. Und das ist, nicht nur auf Deutschland bezogen, eine Botschaft, die ich auch auf Russland beziehen möchte: Russland ist – jetzt werden wir doch politisch ­– nicht nur Putin, nicht nur Oligarchen und nicht nur möglicher Einfluss auf irgendwelche Wahlkämpfe. Das ist nicht das eigentliche Russland.

Die russische Kultur und die Beziehungen zwischen der russischen und der deutschen Kultur, die gegenseitigen kulturellen Einflüsse, die jeweilige Aufmerksamkeit für die deutsche respektive die russische Kultur, das ist das eigentlich Verbindende. Dies sollte man nicht vergessen – uns auch nicht die tragischen Phasen in der deutsch-russischen Geschichte.

In diesem Haus in der Wallstraße hat Marina Zwetajewa gewohnt.

Welche Stellung nimmt die Dichterin im heutigen Russland ein?

Sie gehört absolut zum Kanon der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts, eine Ausnahmeerscheinung, eine unglaubliche Sprachkünstlerin. Dies kann natürlich in Übersetzungen nie adäquat vermittelt werden, denn sie ist eine auf ungewöhnliche Klangeffekte zielende Dichterin. In ihrer Prosa schreibt sie nicht weniger anspruchsvoll, sehr assoziativ.

Ihre Gedichte werden in Russland natürlich intensiv gelesen. Es gibt ein sehr beeindruckendes Zwetajewa-Museum in Moskau sowie in ganz Russland unterschiedliche Zwetajewa-Gedenkstätten und -Museen. Sie ist neben Anna Achmatowa die zweite große Lyrikerin des 20. Jahrhunderts.

Welche Aufgaben kommen dem Zwetajewa-Zentrum neben der Ausrichtung russlandbezogener Aktivitäten und Veranstaltungen noch zu?

Wir mischen Freiburg ja gerade durch die Russischen Kulturtage enorm auf – ein Niveau, das uns selbst die Messlatte sehr hoch hängt. Sicherlich werden weiterhin wir Vorträge organisieren, Kunstveranstaltungen, Ausstellungen, Gastspiele von russischen Bühnen. Außerdem ist ein Künstler-Austausch geplant, auch künstlerische Aktionen von jüngeren Künstlerinnen und Künstlern, die beispielsweise in Moskau und gleichzeitig in Freiburg in Ateliers zu einem bestimmten Thema arbeiten und die Arbeiten dann gemeinsam ausgestellt werden.

Neben Veranstaltungen, werden wir im Zwetajewa-Zentrum auch eine kleine Bibliothek aufbauen und vielleicht auch Russisch-Kurse für Jugendliche und Kinder anbieten. Das sind aber Vorhaben, die wir nach den Kulturtagen durchdenken müssen.

Info

Mariana Zwetajewa war eine russische Lyrikerin, die von 1982 bis 1941 lebte. Das Zwetajewa-Zentrum wurde auf Initiative von Prof. Prof. h.c. Dr. Dr. h.c. Elisabeth Cheauré, die zugleich Vorsitzende des Vereins „Zwetajewa-Zentrum für russische Kultur an der Universität Freiburg e.V.“ ist, gegründet. Durch die Unterstützung der Stadt Freiburg, der Universität und Privatpersonen konnte das Projekt realisiert werden. Die weiteren Gründungmitglieder sind: Prof. Dr. Juliane Besters-Dilger, Slavistin und Prorektorin der Uni Freiburg, Dr. h.c. Gernot Erler, MdB, Prof. Dr. Klaus Mangold, Honorarkonsul der Russischen Föderation, Prof. Dr. Dietmar Neutatz, Osteuropahistoriker an der Uni Freiburg, Dr. Dieter Salomon, OB Freiburg, Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jochen-Schiewer, Rektor der Uni Freiburg und Ulrich von Kirchbach, Bürgermeister Freiburg.

Zur Website des Zwetajewa-Zentrums für russische Kultur an der Universität Freiburg e.V. geht es hier: www.zwetajewa-zentrum.de

Informationen zum Graduiertenkolleg 1956 „Kulturtransfer ‚kulturelle Identität‘ – Deutsch-russische Kontakte im europäischen Kontext“ sind zu finden unter www.igk-kulturtransfer.uni-freiburg.de.

Alle Infos über den deutsch-russischen Masterstudiengang gibt es auf der Website des Slavischen Seminars.

Das Programm der Russischen Kulturtage gibt’s auf der Website des Zwetajewa Zentrums.

Fotos: Marina Zwetajewa (Teaser): Aus der Broschüre des Zwetajewa-Zentrums
Weitere Fotos: Sarah Posselt-Böhm
Veröffentlicht am 21. November 2017

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