Trail Run auf Rodrigues

Trail Run auf Rodrigues

Ich bin immer noch dabei, die ganzen Eindrücke meiner Teilnahme beim Trail Run auf Rodrigues zu verarbeiten. Auch wenn ich den Ausdruck „Achterbahn der Gefühle“ nicht mag, weil er sehr häufig benutzt wird, ohne etwas auszusagen, trifft er auf diese fünf Tage voll und ganz zu.

Um 7 Uhr klingelte mein Wecker, mein Rucksack war soweit schon gepackt, schnell noch eine Tasse Kaffee und dann ging es los. Am Flughafen traf ich das erste Mal auf die restlichen Mitglieder des Teams. Wir waren auf dem Weg auf die Insel Rodrigues, um dort an einem Trail Run teilzunehmen. Als Trail Running wird das Laufen abseits von Straßen bezeichnet, in Deutschland auch bekannt als Waldlauf oder Landschaftslauf.

Jeder der 14 Teilnehmenden des Teams der Universität La Réunion hat mehrere Jahre Trail-Erfahrung – einige sind sogar vor zwei Wochen erst den „kleinen“ Grand Raid von 65 Kilometern oder den Trail de Bourbon von 111 Kilometern gelaufen, jeder kennt die Zeiten und Namen der Stars aus der Szene.

Und dann war da noch ich. Noch nie zuvor in meinem Leben einen Trail gelaufen, überhaupt hatte ich erst nach meiner Ankunft zum ersten Mal von diesem Sport gehört.

Hier auf La Réunion sind diese Trails meistens die Strecken, mit denen die Wanderer schon kämpfen, Aufstiege von 3.000 Metern, und das wenn möglich im Joggingtempo.

Von Kniebeugen, Sprints am Berghang und Muskelkater

Meine ersten Gedanken, als ich von diesem Extremsport erfuhr, der hier wie eine Religion zelebriert wird – der Grand Raid ist der Grund für Sonderverkäufe in allen Geschäften und die lokalen Medien berichten über nichts anderes – waren: Reicht es nicht, wenn man die Natur, wie normale Menschen auch, in gesittetem Wandertempo genießt? Wieso setzt man sich freiwillig solchen extremen Strapazen und Schmerzen aus?

Und dann gehöre ich auf einmal selbst zu diesen „verrückten“ Läufern. Gelaufen bin ich schon immer sehr gerne und auch regelmäßig, meistens nur für mich und ich habe auch nicht regelmäßig an Läufen teilgenommen. Doch als mich mein Sporttrainer des Fitnessstudios an der Uni auf La Réunion fragte, ob ich laufe und auch längere Strecken und ob ich nicht Lust hätte, am Trail in Rodrigues teilzunehmen, hatte ich ohne Nachzudenken zugestimmt.

Seit diesem Tag trainierte ich fast täglich: Montags lief ich zum Entspannen 10 Kilometer am Meer, dienstags und donnerstags stand „préparartion physique“, eine Mischung aus Kraft- und Ausdauertraining, oder „musculation“ – Gerätetraining – auf dem Plan. Mittwochabends ging es zum Lauftraining entweder in den benachbarten Park zum Training der Auf- und Abstiege oder auf die Laufbahn. Freitags gab es immer eine kleine Abwechslung: Nachdem ich mittags zum dritten Mal „préparation physique“ hatte – stand um 17 Uhr Boxen auf dem Plan.

Und wenn ich mich dann freitags noch bewegen konnte, was häufiger auch nicht der Fall war, war ich mit Freunden das Wochenende wandern. Nebenbei besuchte ich natürlich auch noch meine Kurse für die Uni, auch wenn man das bei diesem Trainingsprogramm nicht glauben möchte.

Laufen bergauf, bergab, durchs Gelände …

Während des Laufs auf Rodrigues, der über eine Strecke von 25,5 Kilometer ging und einen Gesamthöhenunterschied von circa 1.100 Metern aufwies, habe ich wirklich ein paar Mal überlegt, das Ganze abzubrechen.

Nach den ersten 15 Kilometern im strömenden Regen und nach mindestens zwei Stürzen und drei extremen Anstiegen fragte ich mich, was zur Hölle mich dazu gebracht hat, diesen Quatsch mitzumachen.

Was an diesem Trail so außergewöhnlich war, waren der ständige Wechsel zwischen Aufstieg und Abstieg, was für die Muskulatur besonders anstrengend ist. Der extremste Aufstieg war der „montée de papaye“, der zwar lediglich aus 250 Höhenmetern bestand, aber eine Steigung von 20 Prozent umfasste. Durch den Regen wurde dieser Aufstieg zu einer einzigen Rutsch- und Schlammpartie und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, jemals anzukommen.

Der Kopf muss wollen – wenn nichts mehr geht, schaffst du noch 5 Kilometer

Der größte Gegner bei solchen Extrem-Sportarten ist die Psyche und die eigene Willenskraft. Ich hatte mich immer wieder mit einer sehr erfolgreichen Läuferin, die auch schon mehrere Male den Grand-Raid, ein 165 Kilometer Ultra-Trail auf La Réunion mit über 8.000 Metern Höhenunterschied, gewonnen hatte, unterhalten und sie erzählte mir, dass 50 Prozent von dem, was dich ins Ziel trägt, in deinem Kopf passiert. Wie viel bist du imstande, auszuhalten, wie hoch ist dein Wille durchzuhalten und die Schmerzen zu ertragen?

Während des Laufs gab es viele wunderschöne und einzigartige Momente, die ich so noch nie bei Läufen in Deutschland erlebt habe. Jedes Mal, wenn ich auf den rutschigen Wegen hingefallen bin oder wenn ich dachte, dass es nicht weiter geht, gab es einen Mitläufer, der mich motiviert, mich unterstützt, angehalten und mir geholfen hat.

Von der Ziellinie zurück in die Realität

Und spätestens, als ich im Ziel ankam, mit einer Zeit von 4 Stunden und 25 Minuten, die für den Anfang echt gut war, waren alle Schmerzen verflogen. Der Moment war einfach so unglaublich überwältigend, dass mir sogar Tränen kamen!

Mein erster Gedanke im Ziel war: Das wird auf jeden Fall nicht mein letzter Trail gewesen sein! Alle Leute, die mir gratulierten, mir ihren Respekt zuteil werden liessen, waren letztendlich der Grund für die Glücksgefühle. Und ich war richtig stolz auf mich! Diese einmalige Erfahrung hat mir gezeigt, zu was ich alles in der Lage bin, wenn ich nur an mich selbst glaube.

Ich bin jetzt seit vier Tagen wieder auf La Réunion und wenn ich versuche, in der Bibliothek zu lernen, weil ich bis Ende des Monats noch drei Hausarbeiten à 10-12 Seiten auf Französisch abgeben muss, gleiten meine Gedanken ständig ab und ich fange an zu lächeln.

Ich denke an diese vielen wunderbaren Menschen, die aus diesem Sportevent viel mehr gemacht haben, als lediglich einen Wettkampf: Ich denke an den kleinwüchsigen Mann, der auf der Bühne steht und sagt, dass er durch die Organisation des Trails, an der er beteiligt ist, einmal im Jahr das Gefühl hat, auch ganz groß zu sein, ein Mann, der im strömenden Regen an einem Hang Treppenstufen in die Erde gräbt, um den Läufern den Aufstieg zu erleichtern oder ich denke an das kleine Mädchen, das hinter mir herrennt, um mir zu sagen, dass ich in die falsche Richtung laufe.

Durch diese fünf Tage auf Rodrigues und vor allem natürlich nach meinem Lauf, der erst am letzten Tag unseres Aufenthaltes stattfand, habe ich angefangen, den Hype um diesen Sport zu verstehen. Er macht wirklich süchtig

All diese wunderschönen Momente kann mir keiner mehr nehmen und helfen mir an Tagen wie heute, an denen der Himmel grau ist und es seit Stunden regnet, die Bücher sich neben und auf meinem Schreibtisch aufstapeln, nicht zu verzweifeln. Und dann ertönt da wieder dieser Ohrwurm in meinem Kopf: „Seul, on va plus vite, ensemble on va plus loin…“ – „Alleine ist man schneller, gemeinsam kommt man weiter“, und ich mache mich voller Motivation wieder an die Arbeit.

Trail Run auf Rodrigues

Zum Vergrößern Foto anklicken.

Katja Hackmann…

…studiert im 5. Semester Frankomedia an der Uni Freiburg und ist für ein Semester auf La Réunion. Da das Semester für sie schon zuende ist, mietet sie sich mit Freunden für Dezember und Januar ein Auto und erkundet weiterhin diese wunderschöne Insel.

Weihnachten wird sie wahrscheinlich mit Freunden gemütlich in der Stadt verbringen, und Silvester mit ungefähr 20.000 anderen Leuten am Strand ins neue Jahr feiern.

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Veröffentlicht am 7. Dezember 2017

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