Die menschliche Litfaßsäule

Die menschliche Litfaßsäule

Im Oktober 2017 jährte sich der Todestag von Ernesto Che Guevara zum 50. Mal. Nach seinem Tod wurde der Revolutionär vom Vorzeigekommunisten zum Verkaufsschlager. Doch wie kommt es, dass gerade sein Bild unter den zehn erfolgreichsten T-Shirt-Motiven weltweit ist und was sagt die Wahl der Aufdrucke auf Kleidungsstücken eigentlich über uns aus?

Das Konterfei von Ernesto Che Guevara begegnet uns auf Postern, Fahnen, T-Shirts und anderen Alltagsgegenständen.

“Sein früher Tod ist ein Grund für seine Popularität”, erklärt Professor Dieter Tscheulin, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Freiburg. Dadurch habe man ihn als jungen und kämpferischen Mann in Erinnerung behalten. Auch Idole wie Marylin Monroe als ewiges Sexsymbol oder sogar Jesus als Erlöser dieser Welt hätten durch ihren vorzeitigen Tod einen Status der Unsterblichkeit erhalten.

Aber nicht nur die Märtyrerrolle gehört zum Rezept für wirtschaftlichen Erfolg. “Che Guevara sah gut aus. Wäre er hässlich gewesen, wäre es sicher nicht so gelaufen”, sagt Professor Tscheulin. Mit seinem entschlossenen Blick in die Ferne, den großen braunen Augen und den maskulinen aber dennoch weichen Gesichtszügen, könne man ihn als Frauenschwarm seiner Zeit bezeichnen.

Auch die Zeit, in der der kubanische Revolutionär lebte und die Rolle, die er spielte, trugen zu seinem Erfolg bei. Durch den Mauerbau 1961 verschärfte sich der Ost-West-Konflikt, die Arbeitslosenzahlen stiegen und zahllose Studierende protestierten, unter anderem gegen Bildungsnotstände und den Vietnamkrieg.

“Die Studenten der 68er Bewegung waren die ersten, die mit Che Guevara-Fahnen und Motiven herumgelaufen sind”, sagt Professor Tscheulin. Zu seinen Lebzeiten war der Doktor der Medizin selbst vom Bildungsbürger zum Bannerträger geworden. Zur perfekten Leitfigur der Bewegung habe ihn sein Motto “Kämpfe immer bis zum Sieg” gemacht.

Die Reise zum Ruhm

Die Studierenden verliehen dem 1967 verstorbenen Che Guevara durch ihre Proteste eine unsterbliche Stimme. “Mit ihnen beginnt der Marketingprozess”, erklärt Professor Tscheulin. “Eine kleine Minorität von Innovatoren – in diesem Fall die Studentenbewegung – greift eine Idee auf, an der andere Gefallen finden und versuchen, dieses Verhalten zu imitieren. Je mehr Leute dieses Verhalten adaptieren, desto stärker wird der Druck auf die, die es noch nicht getan haben”. Dieses Prinzip lasse sich auf jedes beliebige Handelsgut übertragen. Im Falle Che Guevaras ist das Prinzip aufgegangen und sein Gesicht eine wahre Geldquelle geworden.

Doch sein Ruhm ist ein zweischneidiges Schwert, wie Tscheulin festgestellt hat.  Che Guevara sprach sich als überzeugter Kommunist gegen den Konsum aus, aber genau dieser war es, der seine Ideale so weit verbreitete.

Für Dr. Klaus Scherzinger, Lehrender für philosophische Ästhetik an der Hochschule für Kunst, Design und populäre Musik in Feiburg, ist diese Streuung ausschlaggebend für seinen Erfolg. “Das Motiv muss in die Populärkultur eindringen. Es muss zudem klar verständlich sein, um es im Diskurs verorten zu können”. Jemand, der ein Che Guevara T-Shirt trage, würde beispielsweise als politisch links eingeordnet. Ein T-Shirt sagt also mehr aus als man denkt.

Ein T-Shirt – 1000 Worte

Um populär zu werden, müsse ein Motiv nicht immer eine bemerkenswerte Aussage besitzen. “Es muss lediglich ein Bedürfnis des Menschen erfüllen”, erklärt Scherzinger. Ein Smiley decke beispielsweise das Bedürfnis ab, lustig zu wirken, ein Bandshirt schaffe Verbundenheit mit Gleichgesinnten.

“Ein T-Shirt ist immer auch eine Antwort auf die Frage: Wer möchte ich sein?”, sagt Scherzinger. Deshalb solle man aufpassen, mit was man sich identifiziere. Gerade Che Guevara sei hier ein passendes Beispiel. Neben seinen vorbildlichen Idealen rief der kubanische Guerillaführer aktiv zur Waffengewalt auf.

Viele Menschen sind sich dieser Verantwortung aber nicht bewusst. “Sie tragen so ein T-Shirt auf der Brust und laufen als menschliche Litfaßsäule durch die Stadt”, kritisiert Scherzinger.

“Als denkender Mensch kann man es sich nicht erlauben, nicht zu wissen was das getragene Motiv aussagt”, betont auch Professor Tscheulin. Ein “Das ist schick” ist für ihn kein Grund, ein T-Shirt zu kaufen. “Ich glaube aber, dass meine Studenten, als Intellektuelle, sich im Klaren darüber sind, welchen Motiven sie eine Werbeplattform geben”.

Info

Der Argentinier Ernesto Che Guevara führte ab 1956 neben Fidel Castro die Rebellenarmee der kubanischen Revolution. Sein Lebensziel, das kubanische Revolutionsmodell in anderen Ländern zu verbreiten, scheiterte. Sein berühmtes Konterfei, das aus der Zeit kurz nach der Revolution stammt, wurde vom irischen Grafiker Jim Fitzpatrick als Schwarz-Weiß-Rot-Motiv verfremdet und nach seinem Tod verbreitet.

Foto: Melanie Weißmann
Veröffentlicht am 25. Januar 2018

Empfohlene Artikel