Athleisure everywear

Athleisure everywear

Sie ist bequem aber nicht immer gern gesehen: Die Jogginghose. Seit Jahrzehnten sorgt sie für Bewegungsfreiheit im Sport und Gemütlichkeit auf dem Sofa. Auch die neuen Modetrends setzen ganz auf Bequemlichkeit. Samantha fragt sich, ob nicht irgendwo doch auch mal Schluss ist mit den scheinathletischen Alltagslooks.  

Hinter der tristen, grauen Wolkendecke tobt ein polternder Kampf einzelner Sonnenstrahlen, die den Frühlings-Countdown endlich aktivieren und die bequemste Zeit des Jahres vom Spielfeld zu verbannen versuchen. Den Weihnachtstrubel und Neujahrswechsel haben wir längst hinter uns gelassen, die neuen Vorsätze entweder fest in den Alltag integriert oder bis zum nächsten Jahr auf die Strafbank verbannt und trotzdem ist es noch zu dunkel und kalt, um etwa den Winterblues gegen die Übergangsjacke zu tauschen. Die perfekte Zeit also, um in die Jogginghose zu steigen und entgegen der völlig fehlgeleiteten Bedeutung dieses Kompositums keinesfalls damit zu joggen, nein, sondern vielmehr gemütlich vom Sofa aus beim Sport zuzuschauen – sei es den Fußballern der Bundesliga, den DEL Koryphäen auf dem Eis, den Wintersportlern bei der Weltmeisterschaft oder aber der ganzen Welt bei Olympia.

Der Jogginghosen-Limes

Dabei teilte sich die Gesellschaft bisher in zwei Lager: Jene, die quasi beim Betreten des eigenen Habitats kneifende Anzugshosen, organquetschende Mum-Jeans und rutschende Stoffhosen gegen den sweatstoffgewordenen Rolls Royce unter den Beinkleidern tauschen, stehen jenen gegenüber, die wie Barney Stinson in seinem Anzugspyjama ihre adrette Alltagsmode selbst bei den schmutzigsten Alltagsgeschäften wie dem Braten und Putzen offenbar am liebsten gar nicht ablegen würden.

Die Invasion des Gummibunds

Die Einsatzmöglichkeiten des schlabbernden Beinkleides sind dabei offenbar ebenso dehnbar wie das Kleidungsstück selbst, zumindest scheinen das heute immer mehr Menschen zu glauben. Längst hat sie den Absprung vom Sportplatz geschafft und brilliert bei langen Flugreisen, kurzen Bäckereibesuchen oder als beliebte Uniform für Kleinganoven – zur Fahndung eines solchen wurde im April 2017 nicht nur Bushidos Foto als Phantombildvorlage verwendet, er soll auch zu jenen Rappern der Hip-Hop-Szene gehören, die die Jogginghose aus den Wohnzimmern auf die Straße gebracht und salonfähig gemacht haben. Längst hüllen auch Modeschöpfer und Stardesigner ihre Magermodels in veredelte Gammelbuchsen – natürlich mit Ausnahme von Joggingshosenfeind Karl Lagerfeld, der behauptet: “Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren”.

Die bunt-glitzernden Varianten des klassisch-grauen Kulturguts haben sich aber offenbar nicht bei allen durchgesetzt, sonst hätte der Eigentümer des Cafés LeTheatre in Stuttgart nicht ein solches Theater wegen des von ihm verhängten Verbotes “we say no to sweatpants” der ausgebeulten Jersey-Kutten erlebt.

Allzeit bequem

Dass wir uns längst nicht mehr in Zeiten von Stundenglas-Figuren und sich goldene Näschen verdienenden Riechsalzproduzenten befinden, haben spätestens der Sneaker- und Birkenstock Trend bewiesen, vor deren Komfort niemand so richtig davon laufen konnte. Die fetzig-bunte Fußbereifung – ob als Cabrio mit einem Riemen oder bis oben zugeschnürt – trampelte jegliche stilistischen Grenzerfahrung nieder. Gefolgt von Overalls, Jogginghosen und XXL-Sweatshirts scheint der Wohlfühl-Look komplett. Für alle die es etwas femininer mögen, bekleiden nun auch die aerodynamischen Run Tights aus feinstem Polyester und bedruckt mit dem scheußlichsten Muster aus den 80ern die moderne Frau von heute – praktisch, wenn man mal wieder der Bahn hinterher sprinten muss.

Bequem ist die Devise des „Athleisure“-Trends, außer offenbar beim Sport zu dem man heute Profi-Make-Up und eine gestylte Haarpracht trägt – allzeit bereit für ein Instagram-Selfie. Die Grenzen des scheinathletischen Freizeitlooks werden für meinen Geschmack doch spätestens dann überschritten, wenn Jogginghosen, Run Tights und schlabbrige Sweatshirts oft auch in stilferner und ungepflegter Manier das Bild in Arztpraxen, Hörsälen, Nachtclubs, Bars und Restaurants kollektivieren – stehen doch eine ordentliche, dem Anlass entsprechende Kleidung und ein gepflegtes Äußeres nicht nur für eine gewisse Wertschätzung des Selbst, sondern auch des Gegenübers und aller anderen anwesenden Personen.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

 

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Bild: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 6. Februar 2018

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