Digital Detox

Digital Detox

Es ist Fastenzeit – Zeit auf Dinge zu verzichten, Gewohnheiten zu hinterfragen. Annkatrin hat den Selbstversuch gemacht und eine Woche lang Smartphone gefastet. Auf uniCROSS berichtet sie, wie es ihr damit erging.

Während andere in der Fastenzeit versuchen auf Schokolade und Fastfood zu verzichten, habe ich mir eine andere Art von Verzicht vorgenommen: Digital Detox – zu deutsch “Digitale Entgiftung”. Nervöse Zuckungen im Daumen, verträumte Scrollbewegungen auf dem Schreibtisch, Panikanfälle beim Gedanke daran, was alles auf der Timeline passiert ohne dass ich es sofort mitkriege, AAAH, überfordernd viel freie Zeit? Eine Woche lang möchte ich testen, wie ein Leben ohne oder zumindest weniger Smartphone-Nutzung aussieht.

Ziel

Konkret nehme ich mir vor: Kein Facebook, kein Instagram und das Smartphone nur drei Mal täglich (morgens, mittags und abends) für maximal eine viertel Stunde nutzen, und das auch nur für ‚wichtige‘ Dinge – also zum Beispiel um irgendwelche Absprachen oder Verabredungen zu klären.

Vorbereitung

Bevor es losgeht, muss ich natürlich erst mal wissen, wie oft und für was ich mein Smartphone benutze. Als gewiefter Digital Native nutze ich dafür natürlich – Überraschung – eine App auf meinem Smartphone. Herunterladen, starten, im Hintergrund laufen lassen und schon hat man die schonungslose Wahrheit über das Ausmaß der eigenen Handysucht.

Die Bilanz ist ziemlich schockierend. An manchen Tagen zeigt die App zwischen sechs und sieben Stunden ‚Screentime‘, also Zeit am Handybildschirm, an. Der Spitzenreiter ist mit Abstand WhatsApp. Dicht gefolgt von Instagram, Youtube, Spotify und der Wetter-App.

Vieles, was ich mit meinem Handy mache, ist mit Sicherheit sinnvoll oder notwendig, aber sieben Stunden?? Das kommt mir schon extrem viel vor. Was man in dieser Zeit stattdessen alles tun könnte … Höchste Zeit für eine digitale Diät.

Tag 1

Der erste Tag beginnt direkt mit einem Fail. Ich wache auf von meinem Handyalarm, da ich am Abend zuvor nicht daran gedacht habe, mir meinen ‚normalen‘ Wecker zu stellen. Ohne überhaupt hinsehen zu müssen greife ich also zielsicher neben mich und schalte den Alarm aus. Ich bin noch nicht bereit sofort aufzustehen, also öffne ich meine Lieblings-Apps, checke ungelesene Nachrichten und das Wetter für heute, überlege dabei was ich heute anziehen möchte und scrolle gedankenverloren durch die Flut an neuen Bilder in meinem Instagram-Feed.

Nach einer Weile fällt mir auf, dass ich genau das nicht machen wollte und lege schuldbewusst mein Handy zur Seite. Das geht ja gut los. Ein kurzer Blick auf meine Tracker-App sagt mir, dass ich, seit mein Wecker geklingelt hat, bereits 15 Minuten am Handybildschirm verbracht habe. Und das bevor ich aufgestanden bin. Ich nehme mir für den nächsten Tag vor, die erste Stunde nach dem Aufstehen zur handyfreien Zone zu erklären.

Das Handy angeschaltet nachts neben dem Bett liegen zu haben, ist für viele Menschen mittlerweile ein absolutes ‚No-Go‘. 2011 erklärte eine Expertengruppe der Internationalen Agentur für Krebsforschung IARC, dass Handystrahlung als „potenziell krebserregend“ einzustufen sei. Zwar gebe es laut dem Deutschen Ärzteblatt auch Studien, die kein erhöhtes Krebsrisiko bei ‚Vieltelefonierern‘ finden, aber die Möglichkeit scheint dennoch zu bestehen.

Oft wird daher empfohlen, das Handy nachts nicht neben das Bett zu legen oder zumindest den Flugmodus zu aktivieren, da das Handy dann schon deutlich weniger strahlt. So lässt sich auch das Problem mit dem Wecker lösen, denn die Weckfunktion funktioniert ja auch im Flugmodus.

Tag 2

Vielleicht wäre mir dieser wunderschöne Sonnenuntergang durch das Zugfenster entgangen, wenn ich stattdessen in mein Handy vertieft gewesen wäre.

Neuer Tag, neue Herausforderung. Ich sitze im Zug auf dem Weg nach Wien – achteinhalb Stunden Zugfahrt. Ich weiß nicht, ob es allen Menschen so geht, aber bei mir bedeutet Zugfahrt am Handy zu daddeln.

Musik hören, den Lieblings-Instagram-Design-Feed durchscrollen und von viel Geld träumen, das Wetter am Zielort checken (ungefähr alle zehn Minuten, denn schließlich könnte es sich in der Zwischenzeit ja drastisch verbessert haben), Online-Shops nach möglichen Geburtstagsgeschenken durchstöbern, Listicles auf Zeitjung und ze.tt lesen, und zu guter Letzt, ganz wichtig, Verspätungsalarm der Deutschen Bahn aktualisieren (ebenfalls alle zehn Minuten, denn schließlich könnte sich auch hier in der Zwischenzeit die Verspätung wie durch ein Wunder so sehr verkürzt haben, dass der Anschluss nicht verpasst wird).

Ich habe also diese endloslange achteinhalbstündige Zugfahrt vor mir und darf durch meine selbst auferlegte Handyfastenkur all das nicht machen. Das hat mich erst einmal ratlos gemacht. Wie machen andere Menschen das eigentlich? Nach aktiver Rückbesinnung auf alte handylose Zeiten, bin ich auf folgende Alternativbeschäftigungen gekommen:

1 Schlafen. Das geht immer. Außer man hat das Pech neben einer Person zu sitzen, die nur darauf gewartet hat, ein enthusiastisches Gespräch über die 99 Enkelkinder oder die fünf Hunde oder Katzen oder Goldfische oder einfach das Wetter anzufangen. Das bringt mich zu Punkt 2.

2 Sich unterhalten. Ja, zugegeben, die Bilder von Haustieren oder Enkelkindern reißen einen im ersten Moment wahrscheinlich nicht vom Hocker. Aber wer weiß, vielleicht stellt sich ja heraus, dass diese Person abgesehen von Enkelkindergeschichten auch sonst ganz spannende Dinge zu erzählen hat.

3 Musik hören. So wie früher, mit dem Mp3-Player. Im besten Fall befindet sich darauf auch noch die Musik von früher. Ohrstöpsel rein, und schon kann die Zeitreise in die Pubertät beginnen. Was waren wir doch für Teenage Dirtbags damals …

4 Lesen. Ein spannendes Buch zum Beispiel. Dazu kommt man doch einfach viel zu selten, und nimmt sich vor, das bald wieder mehr zu machen. Nach der nächsten Klausur, nach der nächsten Hausarbeit, wenn alles wieder weniger stressig ist. Schluss mit den Ausreden, man sitzt im Zug, man hat Zeit, her mit dem Buch. Alternativ kann auch das DB Mobil Magazin ganz unterhaltsam sein.

5 Lernen. Ja, ich weiß, das klingt grauenhaft vernünftig. Aber wenn man es mal so betrachtet, alles was man schon während der Zugfahrt erledigt, wo man sich ja ohnehin nicht bewegen kann, muss man schon nach der Zugfahrt nicht mehr machen. Ergo, mehr Zeit für schöne Dinge.

Tag 3

Mein Fazit der Zugreise am Vortag ist erstaunlich positiv. Ich habe erfolgreich geschlafen, gelesen, Musik gehört und mich unterhalten. Das Handy blieb im Flugmodus im Rucksack. Ein bisschen gefehlt hat es mir zugegebenermaßen schon.

Heute ist Sight-Seeing und Erkundungstour in Wien angesagt. Nach zwei Stunden Stadt-Spaziergang vorbei an Oper, Heldenplatz und durch die wunderschönen Straßen im 9. Bezirk, während dem meine Hand immer wieder reflexartig zu meinem Handy in der Jackentasche schnellt, um ein Foto zu schießen, beschließe ich eine Ausnahme zu meinen Regeln hinzuzufügen.

Kunstvolle Fassaden und grauer Himmel – gut, dass ich für meine Handykamera eine Ausnahme hinzugefügt habe.

Fotografieren ist ab sofort erlaubt, aber das Handy bleibt trotzdem im Flugmodus. Es wäre einfach zu schade, die vielen schönen Ecken nicht festzuhalten. Und ja, ich gestehe, ein bisschen denke ich dabei auch an meinen Instagram-Account.

Tag 4

Es ist schon verrückt, wie sehr das Handy und die damit verbundenen Gewohnheiten in Fleisch und Blut übergehen, sich in die Gedanken schleichen, bei den verschiedensten Gelegenheiten das erste sind, woran man denkt. Cooles Fotomotiv – Instagram, dunkle Wolken am Himmel – Wetter-App, Zugfahrt – Bahn-App, Kontostand checken – Bank-App.

Wie Leonard Reinecke, Professor für Medienwirkung und -psychologie an der Universität Mainz, der Süddeutschen Zeitung in einem Interview sagt, gehe es bei der Handynutzung auch viel um Routine. Oft werde das Handy aus Gewohnheit gezückt und nicht weil es gerade einen akuten Anlass gebe.

Wer das ändern möchte, dem rät der Beitrag: Dienste auslagern (also zum Beispiel einen analogen Wecker statt dem Handy zu benutzen) oder auch einfach wieder mehr den Browser anstelle von Apps benutzen.

Jeder kennt es, Apps wie Facebook oder Instagram fordern einen dazu auf, die sogenannten ‚Push-Nachrichten‘ zu aktivieren. Dadurch erscheint bei jedem Like, Kommentar oder sonstigen Neuigkeit eine Benachrichtigung auf dem Bildschirm, sodass man sofort darauf reagieren kann und Bescheid weiß.

Während ich wieder durch die Straßen Wiens laufe, fällt mir auf ,wie viel aufmerksamer ich mich auf meine Umgebung konzentriere. Keine Vibration oder gar ein Ton in meiner Jackentasche, die Apps geschlossen. Mögliche Nachrichten müssen warten bis ich zur Mittagszeit den Flugmodus wieder deaktiviere. Panik, Nervosität? Erstaunlicherweise nicht, stattdessen Gelassenheit und ein Blick für die schöne Umgebung.

Tag 5

Ich sitze wieder im Zug, höre Musik (mit Mp3-Player) und lasse meine Gedanken kreisen. Die Bemerkung aus dem Beitrag der SZ, dass das Handy oft reflexartig und aus Routine gezückt wird, lässt mich nicht los. Auf mich trifft das auf jeden Fall zu.

Egal, ob beim Warten in der Schlange der Cafeteria, wenn mich beim Schreiben oder Lernen kurz die Motivation verlässt, während die Nudeln kochen oder sogar beim Laufen zum Briefkasten – das Handy ist immer griffbereit und schneller in der Hand als ich „Digital Detox“ sagen kann.

Ich frage mich, woran das liegt. Halte ich Warten und Stille einfach nicht (mehr) aus? Bin ich mittlerweile an so viele Reize gewöhnt, dass eine einzelne Beschäftigung mich fast schon langweilt? Leide ich an FOMO, Fear of missing out, also der Angst ständig etwas zu verpassen? Vermutlich ist es eine Kombination aus allem.

Der Kurztrip nach Wien hat mir auf jeden Fall gezeigt, dass es auch anders geht. Zwar habe ich das Handy trotzdem als Kamera verwendet, aber ansonsten weitgehend nicht genutzt. Es geht tatsächlich. Und nicht nur das, es entspannt sogar. Das notiere ich mir unter ‚Positive Effekte‘ – natürlich mit Stift und Papier und nicht in meiner Notizen-App, wie ich es sonst machen würde.

Tag 6

Der Alltag hat mich wieder und prompt sind alle Fortschritte und Errungenschaften der letzten Tage schon wieder hinfällig – oder zumindest sehr viel anstrengender umzusetzen.

Ich bin wieder im ‚Arbeitsmodus‘ und ertappe mich dabei wie ich, obwohl ich am Laptop sitze, alle paar Minuten mein Handy checke, um zu schauen, ob die E-Mail auf die ich warte, inzwischen kam. Nicht, dass mein E-Mail-Programm auf dem Laptop mir das nicht auch mitteilen würde … Eine weitere Gewohnheit, ein weiterer Automatismus.

Das Schlimme an diesem unnötigen Phantom-E-Mail-Checken ist, dass es natürlich nicht dabei bleibt. Automatisiert öffne ich WhatsApp, die Wetter-App, Kleiderkreisel – weil ich ja gerade schon dabei bin. Ein kurzer Blick auf meine Tracker-App (ja, auch die öffne ich …) verrät mir, dass neun Minuten vergangen sind seit ich ‚nur mal kurz meine E-Mails checken wollte‘. Ein regelrechter Sog. 

Ein typisches Phänomen, das besonders durch Smartphones und die zahlreichen Apps noch deutlich zugenommen hat, ist das, was Soziologe Alvin Toffler in seinem Buch ‚Future Shock‘ als „information overload“ bezeichnet. Darunter versteht man die scheinbar nicht enden wollende Informationsflut, der wir tagtäglich ausgesetzt sind und die uns schnell an die Grenzen unserer Verarbeitungskapazität bringt.

Wenn zu viele Informationen auf einen einprasseln, kann es schon mal zu viel werden …

Ich kenne dieses leichte Gefühl der Überforderung nur zu gut. Bei mir hat es zur Folge, dass ich Neuigkeiten, Bilder, Videos … meistens nur noch mit halbem Ohr oder Auge wahrnehme. Halbe Aufmerksamkeit, halbe Information – vieles von dem, was ich scheinbar angeschaut oder gelesen habe, findet nur bruchstückhaft den Weg in mein Gehirn und ist meistens schnell wieder vergessen. Ein Zustand der ‚Pseudo-Informiertheit‘.

Tag 7

Der letzte Tag bricht an. Ich habe fest vor, mich heute nochmal ernsthaft zusammenzureißen. Bis zum Mittag bin ich äußerst diszipliniert. Dann fange ich in der Mittagspause an, mit einer Freundin auf WhatsApp zu schreiben. Wir diskutieren, was wir abends zusammen kochen wollen, woraufhin ich den gesamten Nachmittag immer wieder zum Handy greife und mich über verschiedene Gemüsekombinationen austausche. Meine Motivation scheint nach einer Woche Digital Detox nachzulassen.

Als wir schließlich abends zusammen am Küchentisch sitzen und Süßkartoffeln und Rote Beete (die Sieger-Kombi) schälen, fällt mir zum ersten Mal seit langem wieder auf, wie unglaublich präsent und normal das Handy im Alltag ist. Immer. Überall. Allzeit griffbereit. Zwar befindet sich mein Smartphone brav im Flugmodus in meinem Rucksack, aber das meiner Freundin liegt direkt neben ihrem Schneidebrett.

Auch während des Essens nimmt sie ihr Handy immer wieder in die Hand – um etwas nachzuschauen, um mir ein Bild zu zeigen, um kurz eine Nachricht zu beantworten. Normalerweise hätte ich in diesen Momenten vermutlich die Gelegenheit genutzt, um genau das Gleiche zu tun. Doch in meinem handylosen Zustand, sitze ich nun einfach da und warte bis sie fertig getippt hat.

Ich denke an all die Karikaturen und beißenden Kommentare über die „Generation Smartphone“ und kann den kritischen Blick von Außenstehenden nachvollziehen. Zumindest mehr als vor meiner Digital-Detox-Kur.

Ich sage dennoch nichts zu der Omnipräsenz ihres Handys. Schließlich war ich bis vor einer Woche auch ständig erreichbar. Aber ich merke, dass mich die Woche sensibilisiert hat. Das ist doch eine gute Erkenntnis und ein positiver Gedanke, mit dem ich meine Fastenkur beenden kann.

Fazit

Kein oder weniger Smartphone – ja, das ist machbar. Zunächst war ich nervös – schließlich galt es von sechs bis sieben Stunden Handyzeit auf ungefähr eine Stunde zu reduzieren. Aber nach etwas Eingewöhnung war es dann eigentlich gar nicht so schwer und ich war sogar ziemlich entspannt.

Den analogen Wecker werde ich beibehalten und auch Facebook werde ich deutlich weniger nutzen. Statt passiver Berieselung und ‚Pseudo-Informiertheit‘ will ich versuchen, wieder gezielter und bewusster Dinge nachzuschauen und zu konsumieren.

Doch neben den vielen eher negativen oder bedenklichen Gewohnheiten, die mir durch diese Woche bewusst geworden sind, gibt es durchaus auch positive Aspekte des Smartphones. Dazu gehört zum Beispiel die Kamera, die es mir ermöglicht, wo immer ich bin schöne, lustige, skurrile oder informative Dinge festzuhalten.

Auch WhatsApp kann und will ich nicht mehr aus meinem Leben wegdenken – schnell und unkompliziert ein Treffen ausmachen, mit einem Klick Bilder aus dem Urlaub an die Familie und Freunde schicken, sich unterhalten mit Freunden, die mittlerweile in einer anderen Stadt wohnen. Das ist schon ziemlich cool.

Ich nehme mir vor: Das nächste Mal, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Smartphone wieder mal all zu dominant wird in meinem Alltag, werde ich einfach ein Offline-Wochenende einlegen. Das wird meiner ‚Screentime‘-Bilanz mit Sicherheit nicht schaden.

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Fotos: Annkatrin Blessing
Veröffentlicht am 16. März 2018

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