Maske an und los

Maske an und los

An Fastnacht erobern die Narren der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht die Städte und Dörfer der Region. Holzmasken und bunte Häser sind in der fünften Jahreszeit auch in und um Freiburg nicht wegzudenken. Doch wer steckt hinter diesen Verkleidungen? Sofie Herbster nimmt euch mit hinter ihre Maske und auf einen Umzug bei der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht.

Fastnacht hat eine lange Tradition. Früher war es das letzte Fest vor der langen Fastenzeit. Heute fasten nur noch wenige in vollem Umfang. Viele Menschen feiern heute aber weiterhin das ehemalige “Sau raus lassen” vor der Fastenzeit. Denn in einer Zeit, in der unser Leben immer geordnetere Züge annimmt, erfüllt sie meist eine Ventilfunktion, die Möglichkeit einmal im Jahr aus dem tristen Alltag auszubrechen. Doch nicht jeder macht begeistert mit. Für die einen ist es die Hochzeit des Jahres, für andere nur lästig und unverständlich.

Ich wollte schon als Kind eine Närrin sein. Ich wollte auch unbedingt einmal unter einer Maske stecken. Mit zehn wollte ich meine eigene Fastnachtsgruppe gründen. Leider war ich dafür zu jung, eine Vereinsgründung ohne Erwachsene nicht möglich. Als ich dann alt genug war, mit 16 Jahren, trat ich den Hügelheimer Höllbergfratzen bei. In der Gruppe dürfen nur Frauen mitmachen – eine Entscheidung der Gründungsmitglieder: “Bei der Gründung 1995 waren wir 16 Mädels, daraus hat sich die Entscheidung, nur Frauen aufzunehmen, einfach ergeben”, sagt Nicole Schmoland, erste Vorsitzende des Vereins. Seit neun Jahren bin ich nun schon begeistert dabei.

3.000 Hästräger beim Umzug in Müllheim

Es ist Sonntag vor dem „Schmutzige Dunnschdig“, der Tag an dem die Müllheimer Hudeli jedes Jahr den großen Fastnachtsumzug durch Müllheim organisieren. Der Müllheimer Umzug ist ein Highlight im Narrenfahrplan vieler Cliquen und Zünfte der Gegend und jedes Jahr sehr gut besucht. In diesem Jahr sind rund 3.000 Hästräger angemeldet. Schätzungsweise 10.000 Besucherinnen und Besucher kommen in die Müllheimer Einkaufsstraße, um den Umzug zu sehen.

Fast schon traditionell trifft sich ein Teil der Clique zum gemeinsamen Frühstück – sozusagen zum Warm up bis zum Umzugsbeginn um 13.11 Uhr.  Während wir gemütlich im Warmen frühstücken, hören wir die Musik der ankommenden Fastnachtswagen und die klingelnden Häser. Ein Häs ist die Verkleidung eines Narren in der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht, es gibt sie in den verschiedensten Ausführungen: Aus bunten Stoffen, weiß und handbemalt oder mit Fellen besetzt. Viele Häser zieren kleine oder große Schellen, die bei jedem Schritt des Narren erklingen.

Zwiebellook gegen die Kälte

Um 12.30 Uhr neigt sich unser Frühstück allmählich dem Ende entgegen. Es ist soweit: Ich ziehe mein Häs an und packe mich darunter dick ein. Lange Skiunterwäsche, Pullover und eine dünne winddichte Jacke, darüber das Oberteil des Häs’. Angelehnt an den Weinbau, der in Hügelheim auf eine lange Tradition zurückblickt, zieren das weinrote Oberteil der Häsfigur Weinblätter, die mit kleinen Schellen versehen sind. Die mittelbraune Häshose ist an den Beinenden, wo ebenfalls kleine Schellen befestigt sind, ausgefranst und erinnert an einen Rebstock. Dass örtliche Traditionen oder Sagen in die Häs- und Namensgestaltung neuer Häsfiguren einbezogen werden, ist in der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht weit verbreitet. So gibt es in Freiburg beispielsweise die Schlossberggeister, deren Figur sich auf eine alte Sage stützt.

Hügelheim ist ein Dorf mit rund 1.400 Einwohnern circa 25 Kilometer südlich von Freiburg und gehört zur Gemeinde Müllheim. Den Namen hat die Zunft von einem der Weinberge Hügelheims, dem Höllberg. Und Fratze? „Wir wollten keine weitere Hexengruppe also haben wir uns etwas Anderes überlegt”, sagt Nicole Schmoland.

Nach einem etwa zehn minütigen Fußmarsch erreichen wir die Hauptstraße. Entlang der Umzugsaufstellung stehen Schilder mit den Namen der angemeldeten Zünfte und der Nummerierung. Wir sind die Nummer 63 – Mittelfeld. Bei unserem Schild stehen schon die anderen aus unserer Zunft. Das Gewimmel ist groß. Wir stehen in einer großen roten Traube zusammen. Viele meiner Zunftkolleginnen sind Mütter, die ihre Kinder dabeihaben. Gefühlt 1.000 Küsschen werden verteilt. Mit dem obligatorischen Alubecher in der Hand, gefüllt mit Hügelheimer Wein und Sprudel, warten wir bis es losgeht.

Warten bis es los geht

Wir reden, lachen, tanzen und machen ein Gruppenfoto. Um 13.11 Uhr laufen die ersten Gruppen los, doch bis sich der Zug in Bewegung setzt und wir an der Reihe sind, dauert es noch. Für die Süßigkeiten, den Wein und das Konfetti haben wir einen kleinen Leiterwagen dabei, an dem ein Holzschild mit unserem Namen befestigt ist. Dicht gedrängt um den Leiterwagen stehen die Kinder und warten auf das Go der Erwachsenen, damit sie die Süßigkeiten verteilen können.

Große Tüten mit Lutschern, Marshmallows und “Gutzle” werden durch unsere Reihen gereicht. Jeder nimmt sich ein, zwei oder auch drei Hände voll und steckt die Süßigkeiten in die blaue Umhängetasche, die wie das blaue Halstuch ebenfalls zum Häs gehört. Wir sind bereit. Bis wir an der Reihe sind vergeht aber noch beinahe eine Stunde. Doch dann ist es soweit, die Gruppen vor uns setzen sich in Bewegung. Die ersten Zuschauerinnen und Zuschauer säumen die Straße. Das bedeutet für uns: Maske auf und los. 

Die Holzmaske der Hügelheimer Höllbergfratzen zieht eine Grimasse, auf der hakigen Nase kriecht eine kleine Raupe. Eingerahmt wird das Gesicht von einer Mähne aus bunten Basthaaren. Die Idee hatten die Gründungsmitglieder gemeinsam. Die Masken werden in March handgeschnitzt und handbemalt, jede ist ein Einzelstück. In der March gibt es einen der wenigen noch existierenden Maskenschnitzer in der Region. Eine Maske kostet rund 300 Euro und besitzt für die meisten Narren einen hohen Stellenwert. Jedes Vereinsmitglied muss selbst für die Häskosten aufkommen.

Langsam bewegen wir uns mit dem Umzug vorwärts. Durch meine Holzmaske habe ich nur ein sehr eingeschränktes Blickfeld. Um rechts und links etwas zu sehen muss ich den Kopf komplett drehen. Auch nach unten ist die Sicht stark eingeschränkt – stolpern vorprogrammiert. Kleinere Kinder und der mitgezogene Leiterwagen werden dadurch gerne übersehen. Auch Zusammenstöße mit anderen Hästrägern sind während des Umzugs keine Seltenheit. Ich weiß, dass mich mit der Maske niemand erkennt. Das gibt mir die Möglichkeit, mich anders zu verhalten als sonst. Ich schaue den Menschen im Publikum mit intensiven Blicken direkt in die Augen, bohre mir mit dem Finger in der Holznase oder Tanze ohne darüber nachzudenken, wie ich dabei aussehe. Für ein paar Minuten kann ich in eine andere Rolle steigen. Für ein paar Minuten vielleicht sogar jemand anderes sein.

Die Hand voll mit Konfetti

Vor uns laufen die Motocrosshexen aus Neuenburg. Sie haben einen Wagen aus dem laute Musik dröhnt. “Herzbeben lass uns leben wir wollen was erleben…” – der Takt ist schrittgebend. Ich greife in den Sack mit Konfetti, nehme so viel in meine Hand passt und schon suche ich mir mit einem Streifzug durchs Publikum mein erstes „Opfer“. Die Kinder stehen in bunten Kostümen dicht gedrängt vor den Erwachsenen am Straßenrand, die ebenfalls dicht gedrängt auf den Gehwegen links und rechts der Straße stehen. In der Menge entdecke ich ein bekanntes Gesicht. Ein Griff und das Konfetti aus meiner Hand landet so tief wie möglich unter der Kleidung. Noch einmal durch die Haare gewuschelt und weg.

Wir werden immer ausgelassener: Die Sonne wärmt, die Musik beschwingt und die Hästräger tanzen. Ich rufe: “Narrii”, das Publikum antwortet: “Narroo”. Konfetti fliegt durch die Luft.

Mir ist warm unter der Maske, es riecht nach Holz. Einige Hästrägerinnen unserer Zunft verteilen kleine Becher mit Wein – sie tragen dabei keine Maske, um besser zu sehen und um nichts zu verschütten. Ab und zu stockt der Umzug – Zeit um mit den anderen Höllbergfratzen zu tanzen. Bei der Polonaise schließen sich auch die Hästräger der anderen Zünfte an.

Ein dreifaches „Höllberg – Fratzen“

Im letzten Viertel der Umzugsstrecke steht der Moderationswagen. Der Oberzunftmeister der Müllheimer Hudeli nennt die Namen der vorbeiziehenden Gruppen, deren Herkunft und Vorstand. Im Anschluss erklingt der Narrenruf der jeweiligen Zunft. Bei uns ist das ein dreifaches “Höllberg – Fratzen”. Das Publikum stimmt laut mit ein.

Buntes Gedränge im Narrendorf

Bis zum Ende des Umzugs stehen die Zuschauer dicht gedrängt an den Seiten. Die Umzugsordner in gelben Warnwesten weisen den Zug von der Straße auf den Markgräfler Platz. Nach einer Stunde Euphorie bin ich müde und hungrig. „Das war’s, bis zum nächsten Jahr“, denke ich und winke noch einmal in die Menschenmenge.

Wir erreichen das Narrendorf auf dem Markgräflerplatz, wo alle teilnehmenden Zünfte zusammenkommen. Ein buntes Gewimmel.  Ich nehme meine Maske ab und hänge sie mir um die Schulter. Ich kann wieder frei atmen. Geschafft – erstmal wieder richtig durchatmen und dann etwas gegen den Hunger machen. Örtliche Fastnachtsvereine verkaufen Essen und Getränke. Es riecht nach frischen Pommes und Bratwürsten. Zahlreiche Narren drücken sich um die Stände herum. Ich treffe bekannte Gesichter aus anderen Zünften. Wir unterhalten uns, tanzen zu den schrägen Tönen der Guggenmusiken und feiern bis in die Abendstunden. 

Auf dem Heimweg lasse ich den Tag Revue passieren. Mit einem Lächeln im Gesicht denke ich an die vielen Eindrücke. Die Musik schwirrt mir noch lange durch den Kopf. Schade, dass es schon vorbei ist. Ich freue mich schon aufs nächste Jahr und darauf, wieder unter der Maske zu verschwinden und für ein paar Minuten in eine andere Rolle zu schlüpfen.

Sofie Herbster studiert Europäische Ethnologie und Sprachwissenschaft des Deutschen an der Uni Freiburg und wohnt in Müllheim.

Info

Die Narrenzunft Müllheimer Hudeli wurde im Jahr 1958 gegründet und organisiert den großen Fastnachtsumzug – der als Kinderumzug begann – durch Müllheim. In der Zunft vereinen sich vier Fastnachtsfiguren: Die „Wiiküfer“, die „Hudeli“, die „Eichwaldgeister“ und die Garde.

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Veröffentlicht am 21. März 2018

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