Von Büchern, Nadeldruckern und Fahrrädern

Von Büchern, Nadeldruckern und Fahrrädern

Die meisten Studierenden haben es schon gemacht oder werden es noch tun: Ein Buch in der UB ausleihen. Der Großteil der Bücher steht jedoch nicht frei zugänglich bereit, sondern im Tiefmagazin unter der UB. uniCROSS hat sich dorthin begeben, wo sonst nur Angestellte der UB hinkommen.

Es ist 9.15 Uhr. Regina Flamm, die Leiterin der Abteilung Ausleihe und Magazin, erwartet uns bereits an der Infotheke im Foyer der UB. Sie begleitet uns heute ins Tiefmagazin. Mit ihrem Chip am Schlüsselbund ruft sie einen Aufzug und wir zwängen uns mitsamt Kamera-Equipment in die kleine Kabine. Es geht abwärts, die rote Zahl der Anzeige wechselt von EG über U1 und U2, bis wir schließlich 14 Meter unter der Erde im U3 ankommen.

Die Türen des Aufzugs öffnen sich und Bücherregale schieben sich in unser Blickfeld. Im Hintergrund ertönt aus einem Radio ‚Bohemian Rhapsody’ von Queen. Das Licht der Neonröhren ist leicht gelblich, wie man es aus der Bibliothek im KG IV kennt. Die nackten Betonpfeiler zwischen den Bücherregalen erinnern eher an eine Tiefgarage als an eine Bibliothek. An manchen Pfeilern hängen einzelne Poster, Kalenderblätter oder Postkarten. Nur ein ganz leichter Geruch nach Büchern liegt in der Luft.

Die Ursprünge

Das Tiefmagazin der UB Freiburg ist seit 1978 in Betrieb. Wo heute die neue UB steht, stand ursprünglich das Rotteck-Gymnasium und danach der Vorläufer der heutigen UB. Von beiden Gebäuden kann man noch heute die Grundsteine im Treppenhaus zwischen U3 und U2 sehen.

Von 2008 bis 2015 wurde schließlich die neue UB gebaut. Auch während dieser Umbauphase war das Tiefmagazin bis auf zwei Tage immer in Betrieb. An einem Tag gab es einen Stromausfall, am anderen wurde der letzte benutzbare Eingangsbereich des Tiefmagazins abgerissen, sodass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht hineingelangen konnten.

Der Weg der Bestellung

Wir folgen Regina Flamm in den Gang zwischen den Bücherregalen bis wir einen Arbeitsplatz erreichen, der fast wie eine Kommandozentrale aussieht: Eine kleine Nische mit zwei Schreibtischen, ein großer Drucker, Stifte, Zettel, ein Computerbildschirm, ein schwarzes Panel, wie an der Ausleihe der Infotheke, auf dem Bücher verbucht werden können, leere Bücherwagen, wie man sie auch aus den Lesesälen der UB kennt. Ein lautes Geräusch durchbricht die Stille:

Es ist der Nadeldrucker. Mit ihm werden alle zehn Minuten die aktuellen Bestellungen ausgedruckt. Die Bestellzettel werden gesammelt und verschiedenen Bereichen zugeordnet, für die jeweils eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zuständig sind.

Warum die verschiedenen Bereiche auf einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgeteilt sind, wird deutlich, wenn man sich die Dimensionen des Tiefmagazins klarmacht: Ein Untergeschoss ist fast so groß wie ein Fußballfeld – 100 x 60 Meter. Bei so weiten Strecken kommen die Angestellten des Tiefmagazins schon mal auf 13.000 bis 14.000 Schritte pro Arbeitstag. Zur Entlastung gibt es in jedem Untergeschoss – typisch Freiburg – Fahrräder, oder vielmehr Dreiräder.

Gelb bedeutet ‚Ausgeliehen’

Susanne Maier ist Angestellte im Tiefmagazin. Sie nimmt sich ihren Stapel Bestellzettel und einen leeren Bücherwagen. Zielstrebig macht sie sich auf den Weg zum Regal, in dem das Buch des ersten Bestellzettels steht. Sie nimmt das Buch aus dem Regal und steckt eine kleine gelbe Karte als Platzhalter an den Standplatz des Buchs. Bei genauerem Hinsehen fallen uns in jedem Regal zahlreiche gelbe Karten auf.

An einem durchschnittlichen Tag werden heute etwa 800 bis 1.000 Bücher bestellt. Zwischen 2007 und 2008 gab es die meisten Bestellungen: In diesen Hochzeiten waren es bis zu 2.500 Bestellungen pro Tag. Die Gründe für diese vielen Bestellungen kann Regina Flamm nur vermuten: Mehr Studierende oder einfacherer Bestellvorgang durch den Online-Katalog.

Dass die Bestellungen seit 2008 um mehr als ein Drittel zurückgegangen sind, lasse sich zum Teil dadurch erklären, dass heute viele Bücher in digitalisierter Form genutzt werden können. Abteilungsleiterin Regina Flamm glaubt dennoch nicht, dass Bücher so bald überflüssig werden.

Susanne Maier hat mittlerweile alle Bestellungen eingesammelt und bringt die Bücher zu der kleinen Kommandozentrale. Am Schreibtisch neben dem Nadeldrucker sitzt ihre Kollegin Stefanie Grumann, die bereits dabei ist, Bücher freizubuchen. Sie legt ein Buch nach dem anderen auf das schwarze Panel. Die integrierte Antenne übermittelt per Funk die Informationen des Buches an den Computer. Sobald es erkannt wurde, wird ein kleiner Zettel mit der Abholnummer ausgedruckt.

Bestellte Bücher werden in den Abholregalen im U1 oder in den Lesesälen bereitgestellt. Anhand der Abholnummer, die man per E-Mail erhält, lässt sich das Buch leicht finden. Anschließend muss es noch an einem der Terminals selbst ausgeliehen werden. Wie bei allen Büchern der UB, können die Nutzerinnen und Nutzer auch die aus dem Tiefmagazin für vier Wochen ausleihen. Danach sind bis zu drei Verlängerungen möglich, sofern das Buch nicht vorgemerkt ist.

Rückkehr der Bücher

Es rumpelt neben dem Nadeldrucker und kurz darauf fahren zwei blaue Kisten mit Büchern auf Rollbändern aus einer Öffnung in der Wand: Auch die zurückgegebenen Bücher durchlaufen die Hände von Susanne Maier. Sie nimmt die Kisten entgegen und sortiert die Bücher nach Bereichen auf Bücherwagen.

Für die Nutzerinnen und Nutzer beginnt die Rückgabe der Bücher an einem der drei Rückgabeschlitze neben der Infotheke im Foyer der UB. Über ein Förderband gelangen die Bücher in die blauen Kisten. Bereits hier findet eine automatische Vorsortierung auf die beiden Stockwerke U2 und U3 statt. Anschließend werden die blauen Kisten über ein automatisches Aufzugsystem in das entsprechende Stockwerk transportiert.

Eine Frage des Platzes

“Im Tiefmagazin befinden sich etwa 2,8 Millionen Bücher”, erzählt Regina Flamm, während wir durch die langen Reihen laufen. Nur ein Teil der Bücher befindet sich auf feststehenden Regalen. Im U3 gibt es zusätzlich sogenannte Fahrregale. An der Seite jedes Regals befindet sich ein langer Hebel, der unten ansetzt.

Fahrregale können per Knopfdruck bewegt werden. Das bedeutet, dass sie zusammen- und auseinandergefahren werden können. Dadurch lässt sich Platz sparen. Bewegt werden die älteren Fahrregale durch einen Seilzug, der in ein Schienensystem im Boden eingelassen ist.

Regina Flamm drückt auf einen Knopf und schiebt den Hebel nach rechts. Es knarzt und quietscht als sich vier Regale gleichzeitig nach rechts bewegen. Mit einer Hand verschiebt sie Bücher mit einem Gewicht von vier Tonnen – fast so viel wie ein Flusspferd wiegt. Eine Lücke tut sich vor uns auf. Regina Flamm lässt den Hebel wieder los und die Regale kommen zum Stehen.

Neugierig sehen wir uns den Seilzug im Boden an, der nun sichtbar ist. An der unteren Kante der Regale befindet sich eine bewegliche Leiste: Eine Sicherheitsmaßnahme. Sobald etwas gegen die Leiste stößt, stoppt der Seilzug. So wird sichergestellt, dass niemand eingeklemmt wird.

Die neueren Fahrregale funktionieren ohne Seilzug, sie sind direkt mit einem Schienensystem verbunden und jedes hat einen eigenen Motor.

Der Umbau geht weiter

Insgesamt stehen in der UB Freiburg 3.325.429 gedruckte Medien. Die ältesten Bücher befinden sich im Tiefmagazin – dazu kommt die weniger häufig genutzte Literatur. Häufig genutzte Bücher finden sich zur Selbstbedienung im U1 und wenn dort der Platz eng wird, werden Jahrgänge oder Bereiche ins Tiefmagazin “abgesenkt”.

Die Fläche im Tiefmagazin muss also hocheffizient genutzt werden. Deswegen soll auch das U2 in Zukunft wie das U3 mit Fahrregalen ausgestattet werden. Die Umbauarbeiten hierfür sind aufwendig und können nur Stück für Stück stattfinden: Bücher umschichten, neuer Boden, neue Schienen, neue Regale, Bücher zurückbringen. “Rein rechnerisch hat jedes Buch schon zwei Umzüge hinter sich”, sagt Regina Flamm.

Doch noch gibt es Platz. Wir kommen an einem leeren Raum vorbei, der aussieht wie eine Turnhalle, und tatsächlich – in der Ecke liegt ein türkisfarbener Gymnastikball. Regina Flamm lächelt, als wir sie fragen, ob dieser Raum von den Angestellten für Sport in der Mittagspause genutzt wird. “Nein, der Ball ist während den Umbauarbeiten aufgetaucht und seitdem liegt er hier”, sagt sie. Hier werden bald Regale eingebaut.

Das “Gedächtnis der Bibliothek”

Uns fällt ein großer brauner Kasten mit zahlreichen beschrifteten Schubladen auf. Auf dem Kasten steht ein Schild mit der Aufschrift “Bücher bis 1500 siehe im Katalog der Handschriftenabteilung”. Regina Flamm klärt uns auf: Es handle sich um das “Gedächtnis der Bibliothek” – den alten Papierkatalog.

Den Online-Katalog, mit dem man heute Bücher sucht und bestellt, gibt es erst seit 1994. Davor nutzte man den Papierkatalog: Zum Teil handschriftlich beschriebene Karteikarten, alphabetisch sortiert nach Autoren und Titeln. Regina Flamm kennt die überraschten Reaktionen der Leute, die zum ersten Mal von diesem System hören. Heute sei der Online-Katalog für Studierende normal. “Aber auch davor haben Leute ihre Bücher gefunden”, sagt sie.

Gespannt öffnen wir einige der Schubladen und bestaunen die Karteikarten.

Diese Papierkataloge standen in der vorherigen UB in der Kataloghalle. Die Übertragung der Karteikarten in das Onlinesystem begann im April 1990 und ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Regina Flamm schätzt, dass es wohl noch einige Jahre dauern wird, bis alle Karten digitalisiert sind. “Heute sind die Kärtchen tot” – denn die Recherche nach Büchern läuft eben ausschließlich über den Online-Katalog.

Feierabend

Mittlerweile ist es 15.30 Uhr. Die Spätschicht beginnt. In jedem Untergeschoss befindet sich jetzt nur noch ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin. Der Nadeldrucker wirft eine neue Ladung Bestellungen aus. Bei den weiten Wegen, die jetzt von nur einer Person zurückgelegt werden müssen, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter froh über das Fahrrad. Das letzte Mal für diesen Tag werden die Bücher aus den Regalen geholt und dann mit dem Bücherwagen in die Abholregale im U1 gebracht.

Auch für uns ist jetzt Feierabend. Mit dem Aufzug fahren wir wieder ins Erdgeschoss. Die Türen öffnen sich, zwei Studentinnen laufen vor uns ins Foyer. Im Korb der einen liegt ein Buch, aus dem ein kleiner Bestellzettel ragt. Wir lächeln uns an, denn wir wissen jetzt ganz genau, welchen Weg dieses Buch hinter sich hat.

Eindrücke aus den Weiten des Tiefmagazins

Info

Das Tiefmagazin liegt in den Untergeschossen U2 und U3 der UB Freiburg. Bücher, die im Tiefmagazin stehen, sind im Online-Katalog mit dem Hinweis “Geschlossenes Magazin” versehen. 

Sofern sie nicht ausgeliehen sind, können sie nach Anmeldung mit dem Uni-Account über den Online-Katalog bestellt werden. Sobald das Buch zur Abholung in den Abholregalen im U1 bereitliegt, wird auf Wunsch eine E-Mail mit der Abholnummer an den Nutzer oder die Nutzerin geschickt.

Auch für die Bücher aus dem Tiefmagazin gelten die normalen Ausleihzeiten: Vier Wochen, danach gegebenenfalls drei Verlängerungen – sofern das Buch nicht vorgemerkt wurde.

Weitere Infos zum neuen Gebäude der UB Freiburg gibt es hier: www.ub.uni-freiburg.de/ihre-ub/das-neue-gebaeude

Fotos: Annkatrin Blessing
Video (Dreirad): Fig Leaf Times Two von Kevin MacLeod ist unter der Lizenz Creative Commons Attribution license 
(https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/) lizenziert. Quelle: http://incompetech.com/music/royalty-free/index.html?isrc=USUAN1200096 Interpret: http://incompetech.com/
Veröffentlicht am 8. März 2018

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