Slow Food, Soul Food & Solo Food

Slow Food, Soul Food & Solo Food

Mal eben ein Buch aus der Bib holen, das Paket zur Post bringen oder das jüngste Projekt besprechen: Die Integrität der Mittagspause scheint hoffnungslos verloren, denn niemand hat mehr Zeit. Was aber, wenn man trotzdem Hunger hat? Ein Snack auf die Hand oder alleine essen gehen? Samantha über die Einsamkeit in der Mittagspause.

Nie zuvor hat die Menschheit, zumindest der nicht zeitweise in Hungersnöten lebende Teil der Weltbevölkerung, so sehr an der ernährungswissenschaftlichen Expertenkost zu kauen gehabt wie in der heutigen Zeit. Nicht nur das längst lästige Hin und Her der Zuträglichkeit von Kaffee und Wein zur menschliche Gesundheit sorgt in halbjährlichen Abständen für Magenverstimmungen, auch die stetige Gluten- und Glucose-Apostelei kann einem schon einmal bitter aufstoßen. Spätestens seit Beginn der zunehmenden Popularität von Paleo-Diäten, einem Ernährungstrend, der die Menschheit zurück in eine steinzeitliche Zukunft befördern möchte, dürfte allen nicht fundamentalistischen Gläubigen bewusst geworden sein, dass mehr als nur die Gangart des Menschen sich im Laufe der Evolution verändert hat.

„Alles kommt irgendwann wieder“, das orakelte immerhin schon meine Oma, die verstaubten Modesünden in ihrem Schrank betreffend. Etwas scheint jedoch die 1,7 – 2 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte auf der Erde tatsächlich ununterbrochen überdauert zu haben, um heute, ähnlich wie die Artenvielfalt des Tierreichs, gefährdeter zu sein, denn je: Das gemeinsame Essen!

Social dinner

Ob im alten Griechenland, wo man das antike Äquivalent zu Gyros und Calamari nicht nur mit Menschen sondern auch mit Göttern teilte oder aber im römischen Reich, wo die Mahlzeiten von betuchten Herren, getreu unserem heutigen eher katertägischen Essverhalten, bevorzugt im Liegen eingenommen wurden: Gesellige Gesellschaften an der gut gedeckten Tafel hatten bislang höchste Priorität.

Vorbei sind auch die Zeiten der aus den gusseisernen Toren der Fabrikgelände strömenden 11 Uhr-Frauen, die ihre Liebsten Schlag 12 mit einem reichhaltigen und ausgewogenen Mahl am heimischen Esstisch in Empfang nahmen. Wahrlich, ein großer und nur allzu nötiger Meilenstein der Emanzipation, nicht jedoch im Hinblick auf die Wahrung der Integrität von Mittagspausen. Statt den Teller schaufeln wir uns in einem Strudel ständiger Selbstoptimierung und -verwirklichung den Kalender in minutiös geplanter Taktung voll – mit Terminen und Verpflichtungen, zu deren Einhaltung wir mit Siebenmeilenstiefeln eilend uns noch schnell an der Fleisch und Käse gewordenen Auslage der Fast Food-Sünden des Lebens bedienen.

Längst obsolet geworden sind auch die „Mahlzeit“-Wünsche – nicht jedoch etwa weil sie als ursprünglicher Segen in christlichen Klöstern in einer multireligiösen Gesellschaft längst nicht mehr angemessen sind, sondern weil das Phänomen Mittagspause die Zeit in vielen Berufs- und Lebensmodellen schlicht nicht überdauert hat.

Doch sind wir wirklich zu sehr im Stress, um etwa einer ordentlichen und ausgewogenen Nahrungsaufnahme nachzukommen oder ist des Pudels Kern dabei vielmehr die drohende Einsamkeit am Futternapf aus Gründen einer zunehmenden Verrohung festgelegter Sitten und Bräuche wie etwa einer geschützten Mittagspause entsprechend der Siesta in südlicheren Regionen?

Gemeinsam Essen ist viel schöner

Schon mal alleine in einem Restaurant gespeist oder die Mensa besucht und nicht während des Essens zur Ablenkung die Nase in ein Buch gesteckt, Zeitschriften gewälzt oder in akribischer Genauigkeit den Instagram- und Facebook Feed gecheckt? Oder sich stattdessen doch lieber von einem konstant über den Tag verteilten Snackring aus Laugenkringel und sonstigem Allerei zur rast- und ruhelosen Nahrungsaufnahme knechten lassen, um der Einsamkeit am öffentlichen Esstisch zu entgehen? Schließlich scheint alleine in öffentlichen Etablissements zu essen nur dann gesellschaftlich akzeptiert zu sein, wenn man sich wie ein wirtschaftsankurbelnder Tausendsasa, eine Art Superheld oder Superheldin in gestärkten Hemden oder Blusen, in Hast und Eile eine warme Mahlzeit einverleibt, ohne dabei die Arbeit aus den Augen zu verlieren.

Unter den mal bohrenden, mal mitleidigen Blicken und der Schaulust der Öffentlichkeit, wie etwa in Loriots Sketch “Schmeckt’s” rund um die Kalbshaxe Florida, auf sich selbst gestellt, in einem Restaurant essen zu gehen und dabei nicht etwa mit gestressten Fingern auf das Smartphone einzuhacken und in der lähmend langen Zeit des Wartens scheinbar wichtige Mails zu beantworten, während man vor Langeweile in Wirklichkeit zum hundertsten Mal das Wetter checkt, kann schon zu den wahren Herausforderungen des Lebens gezählt werden. Gehört man zufälligerweise und augenscheinlich nicht dieser Spezies geschäftiger Vielverdiener und Managertypen an, bleibt es einem nur, die Blicke zu ertragen und sich hinterher an dem überragenden Hochgefühl, über den eigenen Schatten gesprungen zu sein, zu laben wie die Made im Speck. Oder aber: Endlich die Integrität der Mittagspause zurückzufordern und sie in munterer Gemeinschaft von Familie, Freunden und Kollegen als liebenswerte Auszeit in einem eh schon viel zu hektischen Alltag ausgiebig zu zelebrieren.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

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Bild: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 17. April 2018

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