„Es geht um Grenzüberschreitungen“

„Es geht um Grenzüberschreitungen“

Zeugen suchen und Gegenwehr zeigen – das rät die Gleichstellungsbeauftragte der Uni Freiburg bei sexueller Belästigung. Doch wo fängt sexuelle Belästigung an und wie bekomme ich Hilfe? Annkatrin hat mit Dr. Ina Sieckmann-Bock anlässlich des aktuellen Vorfalls im Institutsviertel über Handlungsvorschläge und Anlaufstellen gesprochen.

Dr. Ina Sieckmann-Bock setzt an der Uni Freiburg auch auf Präventionsarbeit.

Frau Sieckmann-Bock, Sie waren bis Ende März 2018 Gleichstellungsbeauftragte der Uni Freiburg und Ansprechpartnerin bei Fragen zu sexueller Belästigung und Stalking. Kürzlich kam es im Chemiebau im Institutsviertel zu einem sexuellen Übergriff auf eine Studentin. Die Reaktion auf solche Nachrichten ist häufig Verunsicherung und Unwohlsein. Was empfehlen Sie in solchen Situationen zu tun?

Die Situation, wie sie in der Chemie vorgekommen ist, war natürlich schon extrem. Da geht es um einen konkreten Übergriff. Die Studentin hat vollkommen richtig gehandelt: Sie hat Gegenwehr gezeigt, ist weggelaufen und hat es nicht auf sich beruhen lassen, sondern sich Hilfe geholt.

Da es ein Samstag und an der Universität niemand unmittelbar zu erreichen war, ist sie dann zur Polizei gegangen. Das würde ich in so einem Fall auch sofort raten. Insbesondere jetzt, wo auch schon sexuelle Belästigung als Tatbestand in das Strafgesetz aufgenommen wurde. Die Polizei hat dadurch auch andere Handhabe gegenüber entsprechenden Tätern.

Wenn es also zu einem Vorfall kommt, sollte man sich auf jeden Fall sofort Zeugen suchen und natürlich Gegenwehr zeigen, indem man laut und deutlich bekundet, dass man das nicht möchte. Letztendlich ist Wegrennen auch eine Möglichkeit und im Zweifelsfall immer die Polizei alarmieren.

Sexuelle Belästigung mündet ja – zum Glück – nicht immer in einen konkreten Übergriff. Wo fängt sexuelle Belästigung an?

Es geht hier um sexualisiertes Verhalten und Grenzüberschreitungen. Man spürt, wenn es kein normaler Umgang mehr ist, sondern etwas anderes mitschwingt und einen sexuell berührt. Das kann zum Beispiel auch durch ein Poster eines Kollegen oder einer Kollegin mit nackten Frauen oder Männern am Arbeitsplatz ausgelöst werden. Auch entsprechende E-Mails mit anzüglichen Sprüchen zu versenden zählt dazu.

Bis zu einem gewissen Punkt ist es also auch immer eine sehr subjektive und individuelle Frage, was ich als Grenzüberschreitung wahrnehme.

Ganz genau. Aber in dem Moment, wo ich das Gefühl habe, das ist nicht in Ordnung und ich fühle mich unwohl, sollte man sich sofort Hilfe holen. In den meisten Fällen ist schnell klar, dass man einschreiten muss.

Der Handlungsleitfaden der Uni Freiburg enthält Leitlinien für Betroffene. Gibt es Verhaltensweisen, die Sie in entsprechenden Situationen empfehlen?

Sicheres Auftreten, gesunder Menschenverstand und dem Gegenüber zwar eine gewisse Offenheit, aber auch ein klares Verhalten zeigen, mit Signalen wie Mimik oder Gestik. Wir haben ungeschriebene Grenzen. Wenn unsere persönliche Grenze überschritten wird und uns jemand zu nahekommt, wird es einem automatisch unangenehm und man sollte sofort etwas sagen und sich Unterstützung holen.

Wir haben unseren Leitfaden auch ins Englische übersetzt, weil wir hier an der Uni ja mit der ganzen Welt und verschiedenen Kulturen zu tun haben.

Nehmen wir mal an, ich bin betroffen von sexueller Belästigung. Wo und bei wem finde ich Unterstützung und Hilfe an der Uni Freiburg?

Wenn es sich um Fälle sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oder im Studium handelt, können sich Betroffene in jedem Fall immer an das Gleichstellungsbüro wenden. Gemeinsam besprechen wir dann vertraulich, wie wir die Situation verbessern können und wie die Belästigung gestoppt werden kann.

In der Regel gehe ich dann mit einem Schreiben auf den Belästiger zu, in dem ich den Vorwurf schildere und um Stellungnahme und Entschuldigung bitte. Diese Vorgehensweise ist auch in unserem Handlungsleitfaden nachzulesen.

Je nach Fall raten wir auch Anzeige zu erstatten oder sich zum Beispiel bei der Fachberatungsstelle Frauenhorizonte weitere Unterstützung zu holen.

Auf der Webseite der Uni gibt es den Button ‚Hilfe bei Notfällen‘. Unter der Rubrik ‚Hilfe in persönlichen Konflikt- und Krisensituationen‘ findet man unter anderem auch das Gleichstellungsbüro als Anlaufstelle.

An wen kann ich mich bei akuten Situationen, zum Beispiel bei einem sexuellen Übergriff, wenden?

Sie können sich entweder an die Polizei oder in den Kollegiengebäuden an den Sicherheitsdienst oder den Hausmeister wenden. Die sind alle soweit geschult, dass man in solchen Fällen auf sie zugehen kann. Das gilt zum Beispiel auch, wenn man auffällige Personen sieht, durch die man sich in irgendeiner Form belästigt fühlt.

Auch wenn wir, wie im aktuellen Fall, nicht unmittelbar damit zu tun haben, ist es für uns immer ein Signal, wie wichtig es ist, Schutzmaßnahmen zu ergreifen oder Präventionsarbeit zu betreiben.

Wie sieht diese Präventionsarbeit konkret aus?

Wir schulen unsere Fakultätsgleichstellungsbeauftragten und auch andere Personen, die viel Kontakt mit Studierenden haben, also Studiengangkoordinatorinnen und -koordinatoren und das Personal des Studiensekretariats. Diese Schulungen finden regelmäßig einmal im Jahr statt. Es gibt auch gezielte Workshops für Studierende.

Es soll ein Bewusstsein hier an der Uni geschaffen werden, dass wir als öffentliche Institution genauso mit diesem Thema zu tun haben. Sexuelle Belästigung und Stalking macht auch vor uns nicht halt.

Sie setzen also auch stark auf allgemeine Aufklärung über das Thema sexuelle Belästigung an der Uni Freiburg. Denn es beschäftigt aktuell viele Studierende.

Ich merke hier an der Uni, dass dieses Thema im Moment gesellschaftsrelevanter geworden ist. Kommentare darüber, dass Flirten jetzt wohl nicht mehr erlaubt sei, sind albern – darum geht es ja nicht. Es geht um Grenzüberschreitungen. Das wissen und spüren auch alle, wo Grenzen sind und wenn sie überschritten werden.

Nehmen wir mal an, ich sehe als Außenstehender eine Situation, bei der ich mir nicht sicher bin, ob noch alles im grünen Bereich ist oder ob die Personen sich kennen. Was kann ich tun?

Was von der Polizei oder auch von Frauenhorizonte geraten wird, dass man in solchen Situationen nie alleine hingehen sollte. Stattdessen sollte man sich mit einer bekannten oder auch einer fremden Person absprechen, wie er oder sie die Situation einschätzt und gegebenenfalls gemeinsam einschreiten.

Eine weitere Möglichkeit ist, laut auf die Situation aufmerksam zu machen damit die Umgebung es mitbekommt, also zum Beispiel zu fragen „Geht es Ihnen gut, kann man Ihnen helfen?“. Falls die Situation es anzeigt, kann man auch immer die Polizei informieren. Wegschauen ist natürlich keine angemessene Reaktion.

Wie häufig kommt sexuelle Belästigung an der Uni Freiburg vor?

Das lässt sich so allgemein nicht sagen. Wir vermuten eine hohe Dunkelziffer. Es gibt Studien, die besagen, dass die Hälfte aller Frauen im Laufe ihrer Studienzeit in irgendeiner Form persönlich mit sexueller Belästigung in Kontakt kommt.

Laut der Statistik, die wir hier im Gleichstellungsbüro seit 2011 führen, gab es in dieser Zeit 14 Fälle von sexueller Belästigung an der Uni Freiburg. Dann haben wir nochmal ungefähr die gleiche Anzahl von Stalking-Fällen. Zum Teil gibt es da aber auch Überschneidungen.

Das klingt erstmal nach relativ wenig, aber das sind ja auch nur die Fälle, die tatsächlich hier im Gleichstellungsbüro angezeigt werden. Manche Fälle werden auch direkt innerhalb der jeweiligen Fakultät geklärt oder die Betroffenen suchen sich außerhalb der Universität Unterstützung, zum Beispiel bei Frauenhorizonte Unterstützung.

Sexuelle Belästigung kann natürlich nicht nur Frauen betreffen, sondern auch Männer. Unterscheiden sich die Situationen und die Art der sexuellen Belästigung bei Männern und wenn ja, wie?

Bei Männern handelt es sich tendenziell eher um fremde Täter, während es bei Frauen oft auch um Beziehungen, also bekannte Personen, geht. Mir ist bisher kein Fall von sexueller Belästigung eines Mannes bekannt. Aber Stalking von Männern gab es schon.

Info

Aktueller Zwischenstand im Fall des sexuellen Übergriffs im Institutsviertel: Am 11. April 2018 nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter aus dem Raum Müllheim fest.

Hilfe bei Notfällen & Handlungsleitfaden an der Uni Freiburg

Die Rubrik ‚Hilfe bei Notfällen‘ findet ihr auf der Website der Uni Freiburg im Footer (siehe Bild). Wenn man auf diese Link klickt, wird man weitergeleitet auf eine Seite mit allen Ansprechpartnern für verschiedene Situationen oder Probleme – unter anderem auch ‚Hilfe in persönlichen Konflikt – und Krisensituationen‘.

Handlungsleitfaden „Gegen sexuelle Belästigung und Stalking“

Der Handlungsleitfaden „Gegen sexuelle Belästigung und Stalking“ der Uni Freiburg dient zur Information darüber, was sexuelle Belästigung oder Stalking ist. Er richtet sich an Betroffene, Vorgesetzte und alle, die sich informieren möchten.

Danach gilt als sexuelle Belästigung unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, das bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Dazu gehören unter anderem:  

– unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen

– sexuell bestimmte körperliche Berührungen

– Bemerkungen sexuellen Inhalts

– unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen

Der Leitfaden weist darauf hin, dass sexuelle Diskriminierung (Benachteiligung aufgrund des Geschlechts) und sexuelle Gewalt (tätliche Bedrohung, Nötigung oder Vergewaltigung) von sexueller Belästigung zu unterscheiden sind.

Der Handlungsleitfaden liegt an vielen Stellen in der Uni in gedruckter Form aus oder kann als PDF-Dokument eingesehen werden.

Auch die englische Version liegt gedruckt oder als PDF-Dokument vor.

Gleichstellungsbüro der Uni Freiburg

Betroffene von sexueller Belästigung und Stalking können sich an das Gleichstellungsbüro wenden. Aktuelle Ansprechpartnerin ist Katja Limbächer.

Daneben steht auch Prof. Dr. Klaus Baumann als Ansprechpartner zur Verfügung.

Dr. Ina Sieckmann-Bock, die bis Ende März 2018 Gleichstellungsbeauftragte war, wird aktuell von ihren drei Stellvertreterinnen Prof. Dr. Annegret Wilde, Prof. Dr. Johanna Pink und Prof. Dr. Anca-Ligia Grosu vertreten.

Kontakt

Gleichstellungsbüro Uni Freiburg

Tel.: 0761/203-4222

E-Mail: gleichstellungsbuero@uni-freiburg.de

Sprechzeiten: Montag bis Freitag von 9 bis 13 Uhr oder nach Absprache

Fotos: Annkatrin Blessing
Veröffentlicht am 2. Mai 2018

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