Superfood – Berry good?

Superfood – Berry good?

Diese Woche lehnt sich Samantha in ihrer Kolumne einfach mal gemütlich zurück und greift auf ihre immerhin schon fast drei Jahrzehnte dauernde Lebenserfahrung zurück, um euch eine Geschichte über nötiges Misstrauen bei Insta-Trends und eine beängstigende Beerenmafia zu erzählen.

Manchmal versteht man doch einfach die Welt nicht mehr. Zugegeben, ich zähle bereits zu den eher älteren Semestern an der Uni, was bei 17-jährigen Erstsemester-Studierenden auch gar nicht so schwierig ist – dennoch komme ich den wilden 30ern so langsam bedrohlich nahe. Und als eben diese weise, reife, in einem gewissen Maße gebildete und meiner Ansicht nach angemessen emanzipierte Frau sehe ich mich gelegentlich in der Position, mir über den langen, grauen Bart zu streichen, den ich mir in solchen Situationen der erwarteten Gestik halber wünschen würde und in geschichtenonkeliger Manier, zurückgelehnt in einem Ohrensessel, die Hände auf dem Bauch gefaltet, über die Tücken des Lebens zu schwadronieren.

Dazu veranlasst mich nämlich bisweilen immer wieder bei der morgendlichen Überprüfung meines Instagram-Accounts die gelegentlich anschwellende Flut von „neumodischem Glump“, wie wir es im Schwabenlände gerne mal bezeichnen.

Das Wunderpulver aus Brasilien

So in jüngster Zeit geschehen mit dem geilen Shiiiit (man verzeihe die Wortwahl) aus Brasilien: Keineswegs damit gemeint der brasilianischen Exportschlager Kokain, der gerne mal nach Deutschland geschippert wird, sondern die Açai-Beere (“Asssa-i” ausgesprochen). Die Açai-Beere ist eine kirschgroße, violettschwarze Frucht der Euterpe oleracea, zu deutsch Kohlpalme, die im brasilianischen Amazonasgebiet zum Hauptnahrungsmittel der indigenen Bevölkerung zählt – oder besser bisher zumindest gezählt hat. Denn inzwischen scheint ein Gros dieser Beerensaat, als gefriergetrocknetes Pülverchen exportiert, mit Mandelmilch oder Sojajoghurt angerührt, übersät von akkurat gesteckten und strammstehenden Mandeln-, Chia- oder Obst-Toppings, als künstlerisch hochwertige Erscheinung mit Name Açai-Bowl in den sozialen Netzwerken abgelichtet, mir mein bewährtes Frühstück regionalerer Herkunft madig machen zu wollen.

Dank ihrer scheinbar vitalitätssteigernden, immunsystemstärkenden und fettzellenverbrennenden Wirkung wurde sie – wie der Prince oder Bowie des Superfoods – über Nacht zur Superheldin der Foodie-Bewegung, mit dem Ziel, die Gesundheit und Figur zu retten. Auch wenn die Superkräfte des beeregewordenen Underdogs wissenschaftlich in keiner Weise belegt werden können, der Hype um Superberry Açai wurde via Buschfunk von der immer mal wieder Quacksalber und Scharlatane fördernden Oprah Winfrey aus dem brasilianischen Regenwald geradewegs in die Müslischüsseln Deutschlands und vor die Linsen foodblogbegeisterter Hipster geschwemmt. Und weil ein geniegleiches marketingstratisches Erfolgskonzept nun mal darin besteht, zum erworbenen Produkt auch noch etwas geschenkt zu bekommen, wartet die Wunderbeere laut  Verbraucherzentrale eben doch gerne mal mit giftigen Mineralöl-Rückständen von rustikalen Verarbeitungsprozessen und der Saft der Beere mit der weniger charmanten Chagas-Krankheit auf.

Hausstaub, Feinstaub, Beerenstaub

Abgesehen davon, dass der Logos irgendwie bereits an der Stelle zu hinken beginnt, wo das Hauptnahrungsmittel indigener Stammeskulturen, die bereits vor der Kolonialisierung Brasiliens existierten und es bis heute tun, als drastisch gewichtsreduzierende Wunderwaffe vermarktet wird, mit deren Gehalt an Antioxidantien bereits jede noch so unexotische Heidelbeere mithalten kann, scheint die einzig erwiesene Superkraft des Exportschlagers zu sein, selbst die kleinste Bowl mit nur ein wenig Beerenstaub entgegengesetzter Ziele zu einer enormen calorie bomb zu verwandeln. Doch gepriesen von den Gesundheitsaposteln der Fit-for-„Jemand muss unser Gehalt ja bezahlen-Redakteuren“ werden die negativen Begleiterscheinungen zugunsten einer nicht abbrechenden Rezeptserie eben gelegentlich einfach mal verschluckt.

Mein Vorschlag zur Güte: Warum nicht einfach Obst, Samen und Nüsse in kathartischer Manier in Sojajoghurt oder Quark sortieren? Sieht schön und fotografierenswert aus und bis mittags endlich alle Toppings in Reih und Glied stehen, hat man immerhin schon die Kalorien des Frühstücks gespart.  

Daher, ihr Lieben, ist die Moral von meiner heutigen Geschicht: Neumodisches Glump traugt häufig nicht – neue Trends nicht kritisch zu hinterfragen, ist töricht und bei brasilianischen Wundersubstanzen in Pulverform schadet er sicherlich nicht, der Verzicht.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.

Samantha Happ findet wunderliche Dinge bemerkenswert und schreibt in ihrer Kolumne “Mein Senf” darüber.

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Bild: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 15. Mai 2018

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