Von der App zur Sucht

Von der App zur Sucht

Nicht nur unter Studierenden sieht man ihn immer häufiger und mittlerweile bietet jeder größere Technikkonzern einen eigenen Fitness-Tracker an. Aber handelt es sich bei den Geräten ausschließlich um nüchterne Datenerhebung für die eigene Fitness oder kann deren Gebrauch zur Sucht führen? Außerdem: Leistung als Druck und der Alltag eines Fitness-Influencers.

Wer kennt ihn nicht den Sportfanatiker? Fitness-Armband an, Sportsachen geschnappt und los geht’s. Auch das Smartphone darf auf keinen Fall fehlen, man muss schließlich die Freunde auf den sozialen Medien über die eigene Leistung informieren. Was viele als Aufmerksamkeitsheischerei abtun, sorgt bei anderen für ein schlechtes Gewissen, was die eigene Sportlichkeit angeht.

Doch nicht nur die Freunde wollen beeindruckt werden – es geht um harte Konkurrenz auf der Rennstrecke. Für Benjamin Fischer, Sportpsychologe aus Freiburg, ist das Netzwerk Strava ein bezeichnendes Beispiel. „Es begann als Portal für Radsportler, mittlerweile ist es auch für Läufer. Anfangs ging es nur um die Zeit“, sagt Fischer. Jedoch habe sich eine regelrechte Subkultur entwickelt, in der nur der reine Wettbewerb zähle. Der Sport trete in den Schatten des Wettkampfes. Es gehe darum zu beweisen, dass man die Leistung aufbringen könne. „If it’s not on Strava, it didn’t happen“ titelt das soziale Netzwerk in einer Werbung. „Es führt soweit, dass betrogen wird, dass Leute die Strecke mit dem Moped abfahren oder sogar mit dem Auto oder dem Fahrrad“, sagt Fischer.

Der Wahn nach gesund kann ungesund werden

Auch der Hobbysportler Alexander Grimm*, der in Freiburg Immobilienwirtschaft studierte, sah sich vor einiger Zeit einem ähnlichen Leistungsdruck ausgesetzt. Im Fitnessstudio und auf Instagram gab es auch bei ihm Bodybuilding-Wettbewerbe um den größten Bizeps, den definiertesten Waschbrettbauch, generell um eine stahlharte Muskulatur. Die letzten 48 Stunden vor einem Wettkampf trinkt man nur einen Liter Flüssigkeit. Damit man den Körper entwässert und die Haut besonders trocken aussieht und jeder Muskel hervorsticht“, sagt Alexander über die übliche Vorbereitung auf Bodybuilding-Wettkämpfe.

Er selbst war für einen Wettkampf angemeldet, hatte während der Vorbereitung allerdings Kreislaufprobleme bekommen. „Ich habe schnell gemerkt, dass es nicht wert ist, dadurch Probleme zu kriegen“, erklärt Alexander. Heute trainiert er statt im Fitnessstudio zuhause eine halbe bis eine Stunde täglich, fünf Mal die Woche. Seit drei Jahren trägt er statt einer Uhr ein Fitness-Armband, mit dem er seine sportlichen Aktivitäten überwacht. Herzfrequenz, Trainingsart und -dauer, verbrannte Kalorien. Vor Augen zu haben, wie viel er von seinem Tagessoll erreicht hat, helfe ihm, sich zu motivieren. „Dadurch kann ich überwachen, dass ich dann doch täglich was mache und nicht die ganze Zeit nur rumsitze und rumliege.“

Denn früher war er übergewichtig. Der Sport gab ihm mit einer guten Figur auch Selbstbewusstsein. Um dies nicht zu verlieren, ist noch heute das schlechte Gewissen ein wichtiger Antrieb.

Mit Fitness-Trackern zu mehr Selbstbewusstsein

Was bei Alexander noch in Maßen zu einem guten Körpergefühl führt, kann für andere zu einem Bewegungszwang werden. Nach dem guten Anfangsgefühl kann einen schnell das Verlangen nach mehr Training überkommen und der Sport kann zur Sucht werden. Aber was treibt einen Menschen dazu, von gesunder Bewegung in exzessiven Sport zu schlittern? Sportpsychologe Fischer erklärt, dass eine Sportsucht die gleichen Kriterien wie substanz- oder verhaltensbezogene Süchte wie Alkohol, Cannabis oder Glücksspiel habe. In der Sucht liege ein Verlangen, ein Craving, für etwas vor, von dem man immer mehr brauche, um befriedigt zu sein. Der Süchtige wisse hierbei selbst, dass ihm dieses Handeln schade und entwickle Entzugserscheinungen, wenn er ihm nicht nachgebe.

Fischer stellt fest, dass im Sport die Schere zwischen den Extremen immer weiter auseinander geht: „Die Gruppe der sportfernen, übergewichtigen Menschen wird größer und die Gruppe der Menschen, die Sport treibt und dies auch zunehmend leistungsbezogen macht, wird auch größer.“

Auch Alexander kennt das Phänomen. Wenn er abends mit 98 Prozent des Tagessolls an Bewegung im Bett liegt, steht er meist nocheinmal auf, um im Treppenhaus auf und ab zu rennen. Die 100 Prozent wollen erreicht werden. Jedoch legt er das Gerät am Wochenende auch mal ganz weg, frei von Zwang und Druck, wenn sich Alexander dann doch lieber mit Netflix statt mit Sport beschäftigen möchte.

Eine Sportsucht kommt selten allein – Hand in Hand mit der Essstörung

Wer einen Mittelweg findet, kann sich glücklich schätzen. Medizinern ist jedoch etwas ganz anderes wichtig. Benjamin Fischer zufolge erscheinen Sportsüchte nämlich oft in einer Komorbidität, also einem gleichzeitigen Auftreten verschiedener Erkrankungen. „Sportsucht tritt meistens auch mit einer Essstörung, also einer Anorexie, einer Magersucht oder einer Bulimie auf, eine so genannte Anorexia Athletica“, erklärt der Sportspsychologe. Hier werde die Sportsucht in den Dienst der Haupterkrankung, der Essstörung, gestellt. Immer häufiger sind auch Männer davon betroffen: „Wir hatten vor Jahren kaum magersüchtige Männer. Jetzt gibt es zunehmend mehr männliche Anorektiker. Diese holen sich jedoch seltener Hilfe.“

Eine Magersucht bei Frauen könne laut Fischer mit einem verzerrten Schönheitsideal beispielsweise durch Germanys Next Topmodel erklärt werden, da Mädchen, die dem Ideal nicht entsprächen, öffentlich gedemütigt werden. Beim anderen Geschlecht sei eine Erklärung schwieriger: Optisch seien Profi-Athleten für Männer kein Vorbild, da man ihnen die Sportlichkeit kaum ansehe. Auch hier scheine die Ursache ihre Wurzeln eher in der öffentlichen Darstellung zu haben. „Das ist auch so ein Mediending“, erklärt der Sportpsychologe. Hier herrsche ein ganz anderes Schönheitsideal vor. Eines, das laut Benjamin Fischer von der Gürtellinie aufwärts beginne: Muskulöser Bi- und Trizeps, ebenso eine muskulöse Rückenmuskulatur. Po und Beine? Egal.

Für Alexander ist klar, dass er sich früher oder später von seinem Fitness-Tracker trennen wird. Die Geräte werden teurer und anfälliger für Fehlfunktionen. Vor allem aber steht die Heirat mit seiner Verlobten an. Und damit verändern sich auch seine Prioritäten.

Im Sport wie im Leben kommt es auf die Menge an. Die Fitness-Geräte hingegen geben dabei allerdings einen anderen Ton an: Der Wettkampf wird gefördert, die eigene Selbstoptimierung vorangetrieben. Sportpsychologe Benjamin Fischer betont aber, dass Sportler zwar stets an einem Wettbewerb teilnehmen, man aber nicht immer direkt auf eine Sportsucht schließen könne. So seien Fitnesstracker schlussendlich nicht die Auslöser einer Sportsucht aber treue Gefährten auf dem Weg dahin.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert

Was sind Fitnesstracker?

Meist kann man sie gar nicht mehr von einer altmodischen Armbanduhr zu unterscheiden: Die Fitness-Tracker. Es gibt sie in den verschiedensten Ausführungen und Preisklassen. Ob nur als einfacher Schrittzähler, mit GPS-Empfänger oder sogar mit Pulsmesser, die Armbänder erheben Daten über die Gesundheit des Nutzers. Sogar im Schlaf kommen die elektronischen Geräte zum Einsatz und überprüfen die Schlafqualität. Innerhalb von Sekunden kann das Fitness-Armband mit der dazugehörigen App auf dem Smartphone synchronisiert werden. Hier werden die Daten dann anschaulich in Graphiken und Diagrammen präsentiert.

Leistung als Druck

Ob Struktur im Alltag, Koffein oder Sport. Studierende beweisen sich als äußerst kreativ, was die Optimierung ihrer Leistung im Studium angeht. Doch was, wenn das alles nicht mehr ausreicht?

Roman Schneider – Portrait eines Sportlers

Der Stärkste, der Schnellste, der Beste oder der Schönste? Aus dem Kult um die Optimierung des eigenen Körpers entwickelt sich seit einigen Jahren ein bemerkenswerter Trend. Wichtig ist hierbei vor allem eins: Gesehen werden. Influencer, Fitness-Gurus oder nur der fitte Typ von nebenan, es geht vor allem um die Reichweite. Wir zeigen euch den Alltag eines Fitness-Influencers aus Freiburg.


 

Eine Gemeinschaftsproduktion von Luis Friedrich, Philippe Andant, Bernhard L. Ruchti (Fotos) im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft.

Seminarleitung, Redaktion: Silvia Cavallucci, Ragna Plaehn, Andreas Nagel

Veröffentlicht am 21. September 2018

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