Auf die etwas andere Art

Auf die etwas andere Art

Trockenes Auswendiglernen war gestern? Neben dem Regelstudiengang bieten immer mehr Universitäten Medizinstudiengänge mit alternativen Studienverläufen an. Inklusive Blutabnahme ab Tag eins und Schauspielern im Seminar. Einfach nur experimentell oder eine echte Reform? Außerdem: Gibt es Alternativen zum NC und ist dieser überhaupt noch zeitgemäß?

Das Studium der Medizin ist mit seiner langen Tradition auch heute noch einer der beliebtesten Studiengänge an deutschen Universitäten. Gerade in Freiburg genießt die medizinische Fakultät dabei einen überaus guten Ruf. Doch trotz Ansehen und Popularität ist Kritik am üblichen Studienmodell der Medizin nicht selten. Dr. Jörg Hanusch, Arzt im Josefskrankenhaus in Freiburg, prüft regelmäßig Medizinstudierende für das Staatsexamen und gibt Kurse für frisch aus dem Studium kommende Ärzte. Dabei weiß er, worauf es in der Praxis ankommt. Er sieht im regulären Medizinstudiengang zwar eine gute theoretische Grundlage, würde sich bezüglich der beruflichen Vorbereitung jedoch etwas mehr Praxis wünschen: „Neben Aspekten wie mehr Team-Training und problemorientiertem Lernen fände ich insbesondere einen Klinik-Bezug von Anfang an sehr sinnvoll.“

Mit dieser Meinung steht Dr. Jörg Hanusch nicht alleine da. Denn seit 2003 gibt es in Deutschland eine wachsende Zahl von Universitäten, die eine reformierte Alternative zum regulären Studienmodell der Medizin bieten. Eine dieser Universitäten ist die Charité – Universitätsmedizin Berlin. Basieren beim regulären Studienmodell wie in Freiburg die ersten vier Studiensemester auf rein naturwissenschaftlichem und insbesondere theoretischem Wissen, spielt bei der Charité der Umgang mit Patienten ab dem ersten Tag eine große Rolle. Sophie studiert an der Charité Medizin und hat sich genau davon angesprochen gefühlt, als sie auf den Modellstudiengang aufmerksam wurde.

Erstis mit Stethoskop

Schon in der ersten Studienwoche machte Sophie eine Herzuntersuchung. „Da wusste ich noch nicht mal wie das Herz aufgebaut ist. Das ist natürlich teilweise echt verwirrend. Dafür motiviert es einen aber, sich dann Dinge selbst anzueignen, weil man in der Praxis schon so früh damit konfrontiert ist.“

Verglichen mit dem eher geführten Studienverlauf des Regelstudiengangs fördert der Modellstudiengang für sie ein hohes Maß an Eigeninitiative und eigener Motivation. „Die naturwissenschaftlichen Grundlagen gehören bei uns nicht so strikt zu den Pflichtkursen. Bestimmtes naturwissenschaftliches Wissen müssen wir uns aber je nach eigenen Vorkenntnissen in Wahlpflichttutorien aneignen. In den Semesterabschlussklausuren werden diese naturwissenschafltlichen Grundlagen dann abgefragt, deshalb ist es umso wichtiger, sich eigenverantwortlich mit dem Lernstoff auseinanderzusetzen.“

Einen großen Vorteil im Modellstudiengang sieht Sophie im Lernen nach Themengebieten: „Für mich macht es mehr Sinn, sich in direkter, anhaltender Verknüpfung von Praxis und Theorie mit einem Thema zu beschäftigen. Didaktisch wäre es für mich nichts, im ersten Semester den theoretischen Aufbau des Herzens zu lernen und ihn dann erst im fünften Semester anzuwenden, wenn man ihn möglicherweise schon wieder vergessen hat.“

Der herkömmliche Studiengang ist in drei Teile gegliedert und geht erst nach den ersten zwei vorklinischen Studienjahren in die praktische Phase über. Ab dem 5. Semester werden die naturwissenschaftlichen Grundlagen im Uniklinikum in die medizinische Praxis transportiert. Dort befassen sich die Studierenden erstmalig mit Krankheitsbildern und deren Behandlungen. Im abschließenden Praktischen Jahr sind die Medizinstudierenden dann ausschließlich in der Klinik tätig.

Ein Arzt muss auch zuhören lernen

Für Miriam, die in Freiburg im 6. Semester Medizin studiert, fehlt aber noch mehr als nur Praxiserfahrung: „Die sozialen Fähigkeiten kommen im Studium viel zu kurz“, hat sie festgestellt. Auch Dr. Hanusch sieht dort Verbessungspotenzial: „Was die Praxis anbelangt fehlt während des Studiengangs insbesondere der Bezug zu den Patienten, um die es später ausschließlich geht.“ Wünschenswert fände er deshalb mehr zwischenmenschliche Interaktion zwischen Arzt und Patient aber auch innerhalb eines Teams aus Pflege und Ärzten.

Auch dort setzen Modellstudiengänge an. Als Patientengespräch aufgebaut, schlüpft im Kommunikations-, Interaktions- und Teamfähigkeiten-Seminar an der Charité ein Schauspieler oder eine Schauspielerin in die Rolle des Patienten. „Dabei geht es auch erstmal nicht um die richtige Diagnose, sondern um die Gesprächsführung, auch mit schwierigen Patienten. Zum Beispiel kommt im Nachhinein raus, dass der Schauspielpatient darauf gepolt war, etwas zu verbergen“, erzählt Sophie. Während einige regulären Medizin-Studiengänge, wie auch Freiburg, ähnliche Seminare sehr vereinzelt im gesamten Studium vorsehen, ist das sogenannte KIT Seminar der Charité dabei von Anfang bis Ende des Studiums ein fester und wichtiger Bestandteil.

Gerade für den späteren Berufsalltag sind solche Übungen für Sophie mindestens genauso relevant, wie das medizinische Wissen. „Ein Arzt wird für mich erst ein guter Arzt, wenn er sensibel für die Probleme des Patienten ist und dafür sind diese Inhalte einfach essenziell.“ 

Auch Miriam stimmt dem zu. Für sie geht es im Freiburger Medizinstudium ganz besonders viel um Wissen und Leistung. „Das ist schade, weil es im Endeffekt als Arzt doch mindestens genauso wichtig ist, dass man einen Zugang zum Patienten bekommt.“ Doch nach ihrem Gefühl, bildet sich das generelle Bewusstsein der Wichtigkeit sozialer Fähigkeiten eines Arztes immer mehr aus, was auch bei Studierenden des regulären Studiengangs ankommt. Dieses Bewusstsein nun noch im Studium stärker zu verankern wäre ihr Wunsch. Und obwohl Seminare zu Gesprächsführung für Miriam noch stark ausgebaut werden könnten, ist es für sie schon viel wert, dass solche Übungen in Freiburg überhaupt vorhanden sind.

Gibt es Alternativen zum NC?

In der Auswahl des Studiums stehen angehende Studierende oft vor der Hürde des hohen Numerus Clausus. Die Art und Weise, wie Deutschland das Zulassungsverfahren regelt, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von anderen Ländern. Die Schweiz beispielsweise bietet ein alternatives System.

Der Numerus Clausus im Umbruch

Im Bewerbungsverfahren stellt der hohe NC als Zulassungsverfahren für viele eine enorme Hürde dar. Doch ist der NC überhaupt noch zeitgemäß?

Infos

Mehr zum Modellstudiengang gibt es auf der Website der Charité.

Eine Gemeinschaftsproduktion von Lea Haufler, Leon Schmalstieg und Vivian Hill (Foto) im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft.

Seminarleitung, Redaktion: Silvia Cavallucci, Ragna Plaehn, Andreas Nagel

Veröffentlicht am 31. Oktober 2018

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