Daten in Gefahr?

Daten in Gefahr?

Eine Festplatte mit den Daten von mehr als 25.000 Freiburger Studierenden wurde von der Polizei beschlagnahmt und der Verfassungsschutz versucht nun, diese zu entschlüsseln. Wie die Sicherheitsbehörden an die Daten gelangt sind, was die inzwischen verbotene Internetplattform linksunten.indymedia damit zu tun hat und welche Konsequenzen die mögliche Entschlüsselung für Studierende haben kann.

Am 25.8.2017 beschlagnahmte die Polizei einen Datenträger der Verfassten Studierendenschaft (VS) der Uni Freiburg. Hintergrund war das am gleichen Tag vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière verkündete Verbot der linksextremistisch eingestuften Internetplattform linksunten.indymedia.

Die Gründe für dieses Verbot waren laut Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums (BMI) Aufrufe zu Gewalt gegen Polizisten und zu gewaltsamen Angriffen auf Infrastruktureinrichtungen, die auf der Internetplattform veröffentlicht wurden. Kurz zuvor waren die Proteste beim G-20-Gipfel in Hamburg eskaliert.

Im Zuge des Verbots sowie der Auflösung der Vereinigung* und der Internetplattform wurden mehrere Einrichtungen in Freiburg, unter anderem die Räume des Kulturtreffs in Selbstverwaltung, der KTS, sowie Privatwohnungen von fünf mutmaßlichen Verantwortlichen von linksunten.indymedia durchsucht. Dabei wurden zahlreiche Computer, Laptops und Datenträger beschlagnahmt – darunter auch die Festplatte der VS.

Bei der Festplatte handle es sich um ein Backup des Servers der VS, erklärt Katharina Krahé, die im Vorstand der VS ist. Dieses Backup wurde auf einer verschlüsselten Festplatte bei wechselnden Mitarbeitern zu Hause aufbewahrt, da es zuvor mehrfach Einbrüche in die Räume der VS gegeben habe. Zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchungen befand sich die Festplatte in der Wohnung eines mutmaßlichen Betreibers von linksunten.indymedia, der bei der VS angestellt ist, wie Phillip Stöcks, ebenfalls im Vorstand der VS, der ‚Kontext Wochenzeitung’ bestätigte.

Versuch der Entschlüsselung

Der Datenträger der VS, der zusammen mit anderem möglichem Beweismaterial beschlagnahmt wurde, wurde wenige Wochen später vom BMI an die VS zurückgegeben. Auf Anfrage wurde der VS von den Sicherheitsbehörden mitgeteilt, dass eine Kopie des Datenträgers angefertigt worden sei – zunächst mit der Begründung, dass man sich dem Vorwurf der Manipulation des Datenträgers schützen wolle.

„Wir haben die Daten dann geprüft und schriftlich versichert, dass sie nicht manipuliert wurden. Daraufhin ist die Löschung der Daten aber immer noch nicht erfolgt“, sagt Katharina Krahé. Erst danach erfuhr die VS in einem Schreiben des Regierungspräsidiums Freiburg vom 26.10.2017, dass „nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann, dass die Daten Belege über die Zugehörigkeit (…) zum Verein „linksunten.indymedia“ und/oder über Aktivitäten des Vereins enthalten“ (Auszug zu lesen in der ersten Pressemitteilung der VS).

Aufgrund dieser nicht ausgeschlossenen und deshalb möglichen Verbindung werde nun versucht, die Daten auf der Festplatte zu entschlüsseln – inzwischen auch mit Amtshilfe des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Bisher sei das Passwort offiziell noch nicht entschlüsselt, so Krahé.

Es geht um hochbrisante Daten

Sollte die Entschlüsselung gelingen, hätten der Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium Zugang zu Daten, die laut einer eidesstattlichen Erklärung der VS nichts mit linksunten.indymedia zu tun haben, aber dennoch aus anderen Gründen hochbrisant seien. Auf dem Datenträger befinde sich das komplette hochschulpolitische Innenleben der Uni Freiburg und der Studierendenvertretung.

Neben einem Wähler- und Wählerinnenverzeichnis mit Namen, Studiengängen, Matrikelnummern von Freiburger Studierenden – darunter auch Daten von Studierenden der PH Freiburg, dessen Verwaltung die VS für ein Jahr übernommen hatte – auch Informationen wie Kontoverbindungen und Arbeitsverträge von aktuellen und ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Bilder von hochschulpolitischen Protestaktionen, sagt die VS.

Auch der gesamte E-Mailverkehr der VS sei auf dem Datenträger gespeichert – unter anderem die Korrespondenz mit dem Rektorat und anderen Gremien der Uni Freiburg in Bezug auf die Uniwahlen.

Die Festplatte enthalte auch den E-Mailkontakt mit Anwälten der VS bezüglich deren aktuell laufender Klage gegen das Land Baden-Württemberg aufgrund der neu eingeführten Studiengebühren für ausländische Studierende. Diese Absprachen über die Strategie in diesem Verfahren seien von der VS aus bewusst unter Verschluss gehalten worden.

War die Beschlagnahme des Datenträgers rechtmäßig?

Um eine Entschlüsselung zu verhindern, geht die VS mit Unterstützung ihres Rechtsanwalts Dr. Udo Kauß rechtlich gegen den Versuch der Auswertung vor. „Es geht uns hier nicht darum, ob die Verbotsverfügung [von linksunten.indymedia] zu Recht oder zu Unrecht ergangen ist. Es geht hier allein um die Frage der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme“, stellt Kauß klar.

Laut Kauß sei das Vorgehen der Sicherheitsbehörden in Bezug auf den Datenträger der VS rechtlich gesehen äußerst fragwürdig. Es gebe auch nach einem Jahr  keinerlei konkrete Anhaltspunkte, dass der Datenträger Informationen enthalte, die mit linksunten.indymedia zu tun haben. „Sie sind aus Zufall an eine Datei geraten, nach der sie nie gesucht haben.“ Man könne hier von einer Umkehr der Beweislast sprechen.

Die beiden Eilanträge der VS gegen eine Entschlüsselung des Datenträgers wurden beim Verwaltungsgericht Freiburg, das die Durchsuchungen genehmigt hatte, und beim Verwaltungsgericht Berlin gestellt, denn die Frage der Zuständigkeit ist komplex: „Die eigentlichen Chefs sind die Bundesbehörden, also das Bundesministerium des Inneren. Die eigentliche rechtliche Zuständigkeit für die Vollstreckung von Gesetzen hier hat aber ausschließlich das Land und damit das Regierungspräsidium Freiburg“, erklärt Kauß. Für die Ausführung der Hausdurchsuchungen wurde schließlich das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA BW) in Amtshilfe genommen.

Ende März und Anfang April 2018 wurden die beiden Eilanträge in erster Instanz abgelehnt. Der Datenträger befindet sich nach wie vor beim mit der Auswertung beauftragten Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln, das weiterhin versucht, ihn zu entschlüsseln.

Trennungsgebot: Nachrichtendienst und Polizei

Diese Weiterleitung des Datenträgers an den Verfassungsschutz müsse laut Kauß äußerst kritisch gesehen werden. Denn damit werde das sogenannte Trennungsgebot umgangen, das auf Grund der Erfahrungen mit der Gestapo (Geheime Staatspolizei) in der Nazi-Zeit seit 1949 Bestandteil unserer Rechtsordnung ist. Es verbietet den Geheimdiensten wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz, von polizeilichen Exekutivbefugnissen wie Durchsuchung und Beschlagnahmen Gebrauch zu machen.

Für uniCROSS gestaltete es sich langwierig und schwierig, Stellungnahmen der zuständigen Verwaltungsbehörden zum Vorgehen in Bezug auf den Datenträger zu erhalten. Die erste Anlaufstelle, das Regierungspräsidium Freiburg, teilte mit, dass es in diesem Fall nur „ausführendes Organ“ war und Anfragen direkt an das BMI zu richten seien, denn dieses habe das Verbot veranlasst.

Der Bürgerservice des Bundesinnenministeriums, welcher Anliegen von Bürgern und Fragen zu den Tätigkeiten des BMI bearbeitet, wiederum erklärte nach zwei Anfragen, dass „nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Polizeihoheit und die Ausübung der staatlichen Befugnisse den Bundesländern übertragen sind (Art. 30 GG: “Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt”).“

Aus diesen Vorgaben resultiere, dass der Bund, und damit auch das BMI, keine rechtlichen Möglichkeiten habe, auf Entscheidungen und Maßnahmen der Bundesländer Einfluss zu nehmen. Das BMI verwies deshalb auf das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration in Baden-Württemberg.

Von einem Sprecher des Innenministeriums des Landes erhielt uniCROSS schließlich folgende Antwort: „Die Verwaltungsgerichte Freiburg und Berlin haben in erster Instanz die Zulässigkeit der Entschlüsselung, Öffnung und Sichtung von Dateien auf einem Datenträger der Verfassten Studierendenschaft festgestellt und damit die Rechtsauffassung der Verwaltungsbehörden bestätigt.“

Wie sieht die Uni Freiburg die Beschlagnahmung des Datenträgers mit den Daten all ihrer Studierenden? Die Pressestelle erklärt, dass die Universität die Bedenken ihrer Studierenden hinsichtlich der Sicherheit ihrer Daten sehr ernst nehme. Jedoch könne man sich vor dem Hintergrund des laufenden Verfahrens, im Zuge dessen der Datenträger beschlagnahmt wurde, nicht zu dem Vorgang äußern.

Konsequenzen für Studierende?

Die Konsequenzen für die Studierenden bei einer möglichen Entschlüsselung des Datenträgers ist unklar. Betroffen seien zwar alle Studierende, aber Katharina Krahé ist besonders besorgt über die Konsequenzen für politisch interessierte und aktive Studierende. Sie sieht einen besorgniserregenden Trend, dass gerade politisch aktive, linksorientierte junge Menschen unter eine Art Generalverdacht gestellt werden könnten.

Auch Kauß äußert sich kritisch zu den möglichen Auswirkungen für Studierende bei einer Entschlüsselung. Ähnlich wie bei Rasterfahndungen komme es hier natürlich zunächst darauf an, welche Absichten die zuständigen Behörden haben und unter welchen Gesichtspunkten sie die Daten durchsuchen wollen. Auch wenn es vorgeblich nur um Unterstützungshandlungen für linksunten.indymedia gehe, so stünde damit die ganze gesellschaftskritische Berichtspalette von linksunten.indymedia und deren mögliche Beziehungen zur Studierendenschaft der Freiburger Universität im Fokus der Sicherheitsbehörden. Auch sei nicht absehbar und schon gar nicht kontrollierbar, wie mit den Daten nach einer Auswertung weiter verfahren werde.

„Mir ist ein solcher Fall einer Durchsuchung studentischer Daten in diesem großen Umfang, auf eine ganz pauschale Vermutung hin, weil etwas nicht ausgeschlossen werden könne, noch nie untergekommen. Wenn der Verfassungsschutz wirklich die Daten entschlüsselt und auswertet, halte ich das für den größten GAU beim sicherheitsbehördlichen Datenschutz“, sagt Rechtsanwalt Kauß.

Aktuell geht die VS gemeinsam mit Rechtsanwalt Kauß beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim und beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg weiter gegen die Entschlüsselung vor. Deren Enscheidungen stehen noch aus. Bis zu einer Entscheidung hofft die VS, dass die Kryptierung des Datenträgers den Entschlüsselungsversuchen durch den Verfassungsschutz standhält.

Ein erster Lichtblick für die VS ergab sich im Juni als der Verwaltungsgerichthof die Beschlagnahme aller Datenträger in letzter Instanz für rechtswidrig erklärte. Das scheint die Sicherheitsbehörden allerdings nicht von ihrem Vorhaben abzubringen. Kauß, der auch Landesvorsitzender der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union ist, erhielt als Antwort, dass man die Datenträger nur „durchsuchen“ und auswerten, nicht aber die bereits zurückgegebenen Datenträger „beschlagnahmen“ werde. Eine klärende Stellungnahme des Verwaltungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichtshof Berlin steht in diesem rechtlichen Präzedenzfall noch aus.

Info

Studierende, die sich über den aktuellen Stand des Verfahrens informieren möchten, können sich per E-Mail an die VS wenden: vorstand@stura.org

Hinweis: Auf Hinweis einer Leserin haben wir den Begriff Verein in Vereinigung geändert. Ob es sich bei indymedia.linksunten.org um einen Verein handelt ist umstritten und muss noch gerichtlich geklärt werden.

Foto: Annkatrin Blessing
Veröffentlicht am 17. Oktober 2018

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