Gerade im stoischen Sparalltag von Studierenden werden simple Aufgaben wie das Streichen des WG-Zimmers oder das Reparieren des Smartphones gerne einfach mal selbst übernommen – dank Tutorials und Lifehacks aus dem Internet. Gar kein Problem? Oder manchmal doch? In einer Welt des unbeschränkten Zugangs zu Expertenwissen hält Samantha den Expertenstatus für schützenswert – notfalls auch durch Zauberei.
Das Semester ist gerade einen Monat alt und schon scheinen die Köpfe der pflichtbewussten Vorlesungsbesucherinnen und –besucher zumindest scheinbar an Umfang gewonnen zu haben – vollgestopft mit neuem Wissen, das einige unsortiert einsaugen wie schwarze Löcher Materie, während andere es sich in kleinen, konzentrierten Dosen zwischen Kaffeehumpen und Mate verabreichen – all das mit dem Ziel, sich Expertenwissen anzueignen und damit später zum gesellschaftlichen Miteinander und nicht zu selten leider auch zu gesellschaftlichem Gegeneinander beizutragen.
Ob Gelehrter oder Zimmermann – seit jeher trägt Aus- und Weiterbildung zum Fortbestehen der Menschheit bei. Wissen, das nicht selten schmerzhaft durch klassische Homer Simpson „doh“-Momente erlernt wurde, galt es an die nächste Generation weiterzugeben … und weiter … und weiter. So entwickelt sich fast jeder im Laufe des Lebens durch Ausbildung zu einem Homo sapiens sapiens, dem legitimierten Klugscheißer eines bestimmten Fachbereichs. Mal abgesehen von jenen Individuen, bei denen das Prinzip des klassischen Flüsterpost-Partyspiel-Verfahrens endlich eine Erklärung liefert, für die mehr oder minder logik- und intelligenzbefreiten Werke, aufgelistet in zahlreichen fail-Listicals, die uns gelegentlich die menschliche Spezies in Frage stellen lassen.
Mit dem Konzept der Aus-, Weiter- und Fortbildung hat sich die Menschheit geradewegs von der Vertreibung aus dem Paradies, in dem man es heute auch ohne Schal und warme Jacke aushalten könnte #dankeAdamEva, bis ins Heute durch die Zeit gerettet, indem sie den Tauschhandel von Expertenwissen, ob in Form von Waren oder Dienstleistungen, als produktive Grundlage des gesellschaftlichen Gefüges etabliert hat.
Und am 8. Tage ward das Internet …
Dank dem World Wide Web – ob in der Edelvariante über Glasfaser oder in der sei-froh-dass-du-überhaupt-ins-Netz-kommst-Variante, die aktuell noch in den meisten Regionen Deutschlands zum Edge-istenzminimum zählt und mindestens 3G-arantierte Hassausbrüche am Tag verursacht, scheint the circle of acquiring knowledge allerdings durch kiebizende Heimwerker, selbstkreierte und kreierende Landschaftsgärtner oder netzapprobierte Fachärzte mal wieder dem Versuch einer Quadratur dieses Circles zum Opfer zu fallen. Von Tutorials und Lifehacks zu Visagistinnen-Tricks, KFZ Reparaturen, Abtastmethoden der Krebsfrüherkennung bis hin zu ausgeklügelten Küchentricks der Sterneköche – sie gewähren uns nicht nur Einblicke in andere Expertengebiete sondern werden darüber hinaus gleichzeitig auch zur Handreichung selbst Hand anzulegen – praktischerweise gleich mit Links zum Onlinehandel, in dem das nötige Handwerkszeug erworben werden kann.
Expertenwissen bedroht
Wie 80 Millionen Bundestrainer und –trainerinnen bei Welt- und Europameisterschaften oder die Millionen Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler bei politischen Entscheidungen, verwandeln wir uns so durch den grenzenlosen Zugang zu Wissen in Kombination mit einem strikten Sparplan, frei nach dem Werbeauftritt eines kosmischen, planetenhaften Elektronikmarktes und offenbar höchst motiviert von dem Credo „Selbst ist der Mann/ die Frau“, immer häufiger chamäleonartig zu Schein-Experten und Do-it-yourself-Klugscheissern in allen Bereichen.
Der freie Zugang zu Bildung zählt zu einem der wichtigsten Güter einer Gesellschaft und Bildung schadet schließlich nie – oder zumindest so lange nicht, bis das Inselwissen diskreditierender Klimawandelleugner beim noch so geringsten Anstieg des Meeresspiegels unterzugehen droht, der selbst reparierte Motor absäuft oder einem bei jeder anderen Scheinexpertise das Wasser bis zum Hals steht. Dann müssen es nämlich die wahren Experten richten und es wäre doch zu blöd, wenn diese bis dahin nur noch mit gruseligem gefällt-mir-Daumen und breitem Photoshopgrinsen schlecht synchronisierte Expertenempfehlungen in anspruchslosen Werbespots von windigen Werbefirmen aussprechen würden. Doch was nehme ich mir heraus, eine Expertise zum Expertenstatus zu geben …
Samantha findet wunderliche Dinge bemerkenswert und tut dies in ihrer Kolumne “Mein Senf” kund.
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Foto: Samantha HappVeröffentlicht am 13. November 2018