Puppen statt Patienten

Puppen statt Patienten

Im neuen Simulationszentrum in der Uniklinik liegen statt Patienten Gummipuppen auf dem Behandlungstisch. Hier können Freiburger Medizinstudierende in ihrem Praktischen Jahr realitätsnahe Szenarien wie Narkoseeinleitungen oder Operationen üben. Carolin war bei einer Übung im OP dabei.

 „Ich bin aufgeregt“, nuschelt die Puppe undeutlich und ihre Augenlider flattern nervös. „Sie müssen sich keine Sorgen machen, wir spritzen Ihnen jetzt erst einmal ein beruhigendes Medikament“, erwidert Frederic ruhig und legt der Gummipuppe eine Hand auf den Arm. Das Piepen im Hintergrund wird regelmäßiger und der Blutdruck der Simulationspuppe stabilisiert sich, während Frederic und seine Mitstudierenden Sophia und Dorian Sauerstoffmaske und Medikamente bereitlegen.

In blauen Kitteln und mit grünen OP-Hauben stehen die drei im Freiburger Anästhesiologie- und Chirurgie-Trainings- und Simulationszentrum für Studierende, kurz FACTS-S, vor der Liege mit ihrer Simulationspuppe. Im Rahmen ihres Praktischen Jahres sind sie zurzeit in der Anästhesie tätig, bei dieser Simulation sind sie an diesem Übungstag aber ein OP-Team aus Arzt, Krankenpflegerin und einem Studenten im Praktischen Jahr und üben in diesen Rollen eine Narkoseeinleitung. Die Studierenden sind so konzentriert, dass völlig aus ihrem Blickfeld geraten ist, dass die Spritze mit Wasser befüllt, der Patient eine Gummipuppe und die ganze Situation nur erdacht ist.

Im Simulationszentrum werden realistische Szenarien geübt

Durch die moderne Technik und die vollständig ausgestatteten Räumlichkeiten des neuen Simulationszentrums ist das Szenario nahezu realistisch und das ist genauso gewollt. „Man lernt am besten durch Erfahrungen“, erklärt Dr. Axel Semmelmann, Facharzt für Anästhesie und Instruktor im neuen Simulationszentrum der Uniklinik. „Hier können die Studierenden üben, selbst zu handeln und vor allem auch im Team zu kommunizieren.“

Durch eine verspiegelte Glaswand und über Kameras beobachten die Ärzte aus einem Nebenraum die Studierenden und regulieren die „Vitalfunktionen“ der Simulationspuppe, um das Szenario möglichst realistisch zu halten. Eingreifen tun sie nur im Notfall. Denn die Simulationen sollen den Studierenden helfen, den Sprung aus der Theorie des Studiums hinein in die Praxis als Arzt erleichtern. Das neue Simulationszentrum ist dafür genau die richtige Schnittstelle zum Lernen.

Mehrere Monate lang wurde für das Simulationszentrum aufwändig umgebaut. Rund 1,7 Millionen Euro aus Landesmitteln und von der Medizinischen Fakultät der Uni flossen in die Renovierungsarbeiten, damit aus dem alten Chirurgischen Archiv im Keller des Chirurgischen Hauptgebäudes auf dem Gelände der Uniklinik das neue Simulationszentrum entstehen konnte.

Sophia und Dorian diskutieren die Medikamentendosierung für ihren “Patienten”.

Wohlfühlatmosphäre hilft beim Üben

Wer durch die Katakomben der Klinik mit metallenen Leitungen an der Decke, schwacher Beleuchtung und vielen Türen zu unbekannten Räumen läuft, wird niemals ahnen, was sich am Ende des Gangs versteckt. Doch aus der Tür strahlt schon ein warmes, helles Licht auf den Gang und lädt zum Eintreten ein.

Im Simulationszentrum herrscht eine angenehme Atmosphäre, die so gar nicht zu der Vorstellung von einer sterilen Klinik passt. Die helle Einrichtung, der große Tresen in Holzoptik und eine Dachluke mit Tageslicht wirken einladend. Die Atmosphäre trägt ebenso wie das familiäre Umfeld, in dem sich Ärzte und Studierende gegenseitig duzen, dazu bei, dass die Hemmschwelle sich einfach auszuprobieren niedriger ist. Und genau das ist das Ziel dieses Übungstags.

Wenn der Blutdruck hochgeht…

Während Sophia, Frederic und Dorian ihre Simulationspuppe in Narkose versetzen, sitzen im Seminarraum nebenan ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen und beobachten über einen großen Bildschirm das Geschehen. Plötzlich beginnt der Monitor immer schneller und lauter zu piepen. „Der Blutdruck geht total hoch“, kommentiert Stephan im Seminarraum und beobachtet seine Kommilitonen auf dem Bildschirm. Die haben das Problem noch gar nicht bemerkt und diskutieren noch über die richtige Dosierung des nächsten Medikaments.

„Wieviel soll ich ihm denn geben?“, fragt Sophia und lässt die grüne Plastikspritze über dem Arm der Puppe schweben. „Lass mich rechnen“, erwidert Dorian und konzentriert sich gleichzeitig darauf, der Puppe die richtige Sauerstoffzufuhr zu geben. Währenddessen steigen Blutdruck und Puls immer weiter an. Schließlich einigen sich Frederic und Sophia endlich für eine Dosierung, Sophia setzt die Spritze an und sofort stellt sich eine Normalisierung auf dem Monitor ein. Die Anspannung fällt spürbar von den Studierenden ab, da öffnet sich schon die Tür und Dr. Axel Semmelmann kommt in den OP – die Simulation ist beendet.

Die Simulationspuppe wird von Sophia, Frederic und Dorian (v.l.) für die anstehende Operation vorbereitet.

Fehler machen ist hier erlaubt

„Ich habe mich ein wenig unkoodiniert gefühlt“, gibt Frederic zu, als er den Raum verlässt. Das Szenario sei zwar relativ realitätsnah und gut gewesen, „aber irgendwie habe ich dann doch einiges vergessen, was ich gelernt habe“ Auch Sophia und Dorian sind eher kritisch mit ihren Handlungen. „Sonst ist immer jemand da, der weiß, was zu tun ist, wenn man mit Patienten arbeitet“, findet Sophia rückblickend. Ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen im Seminarraum hingegen kam es überhaupt nicht so unkoordiniert vor. „Ihr habt sehr strukturiert gearbeitet“, ist das allgemeine Lob.

Auch die Instruktoren sind trotz kleinerer Fehler zufrieden. Denn Fehler sollen und dürfen die Studierenden im Simulationszentrum machen. Bald stehen die Studierenden als fertige Ärzte selbst in der Verantwortung und vor wichtigen Entscheidungen und da sollten sie, betont Semmelmann, „lieber hier an einer Puppe die Unsicherheiten feststellen und aus Fehlern lernen, um sie an richtigen Patienten zu vermeiden.“

Info

Das Simulationszentrum wurde im Oktober 2018 neu eröffnet, da das alte Simulationszentrum nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entsprach. Das neue Simulationszentrum untersteht der Chirurgie, der Anästhesie und der Unfallchirurgie, die das Zentrum jeweils mehrfach wöchentlich nutzen. Das Angebot richtet sich an Studierende, Ärzte, Pflegekräfte und Mitarbeiter im Rettungsdienst. Einmal im Quartal finden im Simulationszentrum Übungstage für Medizinstudierende im Praktischen Jahr statt. Sie trainieren hier täuschend echte Szenarien aus dem anästhesiologischen Alltag und üben Notfallmaßnahmen.

Fotos: Carolin Johannsen
Veröffentlicht am 23. Januar 2019

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