Das Buch über Guelakh

Das Buch über Guelakh

Über Afrika werden viele Geschichten erzählt. Selten dürfen dabei die eigentlichen Experten mitreden: Die Bewohner und Bewohnerinnen. Zwei Freiburger Studentinnen haben nun die Geschichte eines senegalesischen Dorfes mit einer ungewöhnlichen Methode erzählt.

Im März 2018 sind die Ethnologin und Romanistin Stephanie Boye und die Kamerafrau und FrankoMedia Studentin Constanze Knothe für einen Monat nach Afrika gereist. Dort haben sie einen Film über das senegalesische Dorf Guelakh gedreht. In diesem Film berichten die Bewohnerinnen und Bewohner selbst von ihrem Dorf und ihrem erfolgreichen Ausbildungsprojekt. „Das Buch des senegalischen Dorfes Guelakh“ ist ein wissenschaftlicher Film und ein Teil von Stephanies Masterarbeit in Ethnologie. In Freiburg ist der Film am 2.4.2019 im kommunalen Kino zu sehen.

Stephanie und Constanze

Stephanie (links) und Constanze haben zusammen das Filmprojekt umgesetzt.

Stephanie, Constanze, ihr habt einen Film über das senegalesische Dorf Guelakh gedreht. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Stephanie: Ich habe sieben Jahre lang in Senegal gelebt und als Reiseleiterin gearbeitet. Ich habe dort Touristen auf einer Tagestour nach Guelakh gebracht. Mit dem Dorf stehe ich seither in enger Verbindung. Wann immer ich nach Senegal gehe, besuche ich das Dorf. Die Bewohnerinnen und Bewohner sehen mich inzwischen als Teil ihres Dorfes.

2017 war ich dann wieder in Guelakh und Fatou, die Ausbilderin in der Näherei, sagte zu mir: „Was uns jetzt noch fehlt, das ist ein Buch. Wie wäre es, wenn du ein Buch über uns schreibst?“ Mein Ethnologie-Professor fand diese Idee interessant und meinte, ich könne doch eine gemeinschaftliche Ethnographie erstellen. Da es nicht besonders gemeinschaftlich wäre, wenn ich einfach nur ein Buch schreibe, wollte ich gerne noch filmisches Bildmaterial sammeln. Conny ist mir dann am Romanischen Seminar über den Weg gelaufen. Ich habe sie dann spontan eingeladen mit nach Guelakh zu kommen.

Constanze: Stephanie wusste, dass ich bei uniTV bin und filmen kann. Ich habe ihr erzählt, dass wir bei uniTV die Leute begleiten und sie selber erzählen lassen. Als sie gefragt hat, ob ich Lust habe mit in den Senegal zu kommen, habe ich einfach ja gesagt, obwohl wir uns kaum kannten.

Um was geht es in eurem Film?

Stephanie: Es geht in dem Film darum, in welchem Format man über Menschen und für Menschen erzählen kann. Der Film thematisiert die filmische Form, aber es ist sehr schwer, das in den Vordergrund zu rücken, weil man sobald der Film anfängt sofort auf die Suche nach dem geht, was die Leute erzählen. Dadurch verschwindet dieser Rahmen. Der Film ist entstanden, weil ich die Stimme der einzelnen Dorfbewohner einbeziehen wollte. Wenn man den Film ansieht, ist es schwierig zu erkennen, dass es vorrangig um den Rahmen geht und nicht nur um die Geschichten die erzählt werden. Das Projekt im Dorf ist im Film sozusagen nur die Binnenhandlung.

Das Projekt in Guelakh gibt es seit 27 Jahren und bildet Menschen vor Ort aus. Wie ist das Projekt entstanden?

Stephanie: Ganz am Anfang ging es in dem Projekt darum, der Landflucht und dem Analphabetismus in der Region ein Ende zu setzen. Außerdem waren die Dorfbewohner ursprünglich Nomaden. Wegen der Wüste, die sich immer weiter ausbreitet, konnten sie nicht mehr mit ihren Herden durch die Lande ziehen und mussten deshalb sesshaft werden.

Constanze: In dem Projekt geht es heute vor allem um die Ausbildung der Menschen, die in dem Dorf und in der Region leben. Sie lernen zum Beispiel nähen, gärtnern oder Käse herzustellen. Während der Ausbildung verdienen die Menschen zwar kein Geld, danach können sie sich aber in unterschiedlichen Bereichen selbstständig machen. Viele Menschen aus verschiedenen Regionen kommen dorthin, um sich das Wissen aus Gualekh anzueignen und weiterzutragen.

Was hat euch besonders beeindruckt?

Stephanie: Besonders beeindruckt haben uns die zwei Gründer des Projekts, Doudou und Ousmane. Die beiden haben ein unglaubliches Rückgrat und eine unerschüttliche Überzeugung. Man kommt in das Dorf und hat nicht das Gefühl Afrika sei bedürftig. Die wissen sehr genau was sie wollen und lassen sich da auch nicht reinreden. Klar, wir als Ethnologen erforschen diese Leute, aber warum können nicht auch die Erforschten unsere Lehrer sein?

Constanze: Die beiden stehen mit allem was sie haben und allem was sie sind hinter dem Projekt. Doudou und Ousmane hatten beide einen Job in der Stadt und hätten das alles gar nicht auf die Beine stellen müssen. Trotzdem sind sie zurück in das Dorf gegangen und arbeiten jetzt seit 27 Jahren, mit einem unglaublichen Feuer, an diesem inspirierenden Projekt. Ich bin extrem davon beeindruckt, dass diese Motivation so lange und so stark anhält.

Wie habt ihr das alltägliche Leben im Dorf wahrgenommen?

Constanze: Wir haben in einer Hütte mit zwei Betten gelebt. Das Bad war nur mit einem Vorhang vom Rest der Hütte getrennt. Es war schon ein ziemlich intimes Wohnerlebnis. Das hätte echt in die Hose gehen können, aber wir waren ein super Team. An sich haben wir gelebt wie die Dorfbewohner, nur mit dem Unterschied, dass wir eine Kamera hatten.

Stephanie: Um am Dorfleben teilzuhaben und mitzuarbeiten hatten wir aber keine Zeit. Wir waren mit unserem wahnsinnig umfangreichen Drehplan beschäftigt.

Constanze: Wir haben die Leute begleitet, während sie ihr Ding gemacht haben und wir mussten selbst schauen, dass wir hinterherkommen. Wir wurden nicht sehr oft herumgeführt, die Dorfbewohner waren ja selber von früh bis spät beschäftigt.

Der Film wurde im Stil des „Cinéma vérité“ gedreht. Was hat es mit diesem Format auf sich?

Constanze: Das „Cinéma vérité“ ist eine ethnologische Herangehensweise, die vom Filmemacher Jean Rouch geprägt wurde. Gemeinschaftsarbeit und realitätsnahes Filmen gehört zu diesem Konzept dazu. Deshalb hatten wir keinen Fragekatalog dabei, sondern nur eine Hauptfrage: „Was sollte deiner Meinung nach in dem Buch über das Dorf geschrieben werden?“. So konnten die Leute selber erzählen was ihnen wichtig war. Wir haben auch versucht die Leute, die wir interviewt haben, in einer alltäglichen Situation zu filmen, sodass man ein Gefühl für ihre Lebenswirklichkeit bekommen kann. Vor der Veröffentlichung haben wir den Dorfbewohnern den Film gezeigt, zur Diskussion gestellt und anschließend verbessert.

Constanze, wie hast du den Filmdreh als Ortsfremde erlebt?

Constanze: Ich habe mich hinter der Kamera immer wie ein fremder Beobachter gefühlt. Ich habe gar nichts verstanden, außer wenn Französisch gesprochen wurde. Ich wusste nie, ob jemand etwas Wichtiges sagt, das ich filmen soll. Dadurch hatten wir oft den Ton, den wir brauchten, aber nicht das passende Bild dazu.

Stephanie: Wir hatten die, für die Ethnologie typische, Insider-Outsider Konstellation. Ich als „Halb-Senegalesin“, die die Sprache spricht und sich dort sehr gut auskennt, sieht manche Sachen gar nicht mehr. Mir erzählen die Leute auch nicht mehr alles, weil es für sie selbstverständlich ist, dass ich das weiß. Conny haben sie solche Sachen erzählt, weil sie das alles natürlich noch nicht wusste.

Was war für euch die größte Herausforderung während des Drehs?

Stephanie: Es war wahnsinnig heiß und stickig in Guelakh. Im Film kommt das gar nicht so extrem rüber. Einen Sandsturm haben wir dann auch noch bekommen. Der Sturm hat vier Tage angehalten. Es war draußen durch den ganzen Sand so neblig, dass man nichts mehr sehen konnte. Die Kamera wollten wir unter diesen Umständen nicht aus der Tasche holen. Generell konnten wir keine elektronischen Geräte in dieser Zeit nutzen, weil der Staub so fein war, dass er sich überall reingesetzt hätte. Wir haben dadurch vier Drehtage verloren. Das hat wirklich an den Nerven gezehrt.

Was macht euer Filmprojekt so außergewöhnlich?

Constanze: Gemeinschaftlichkeit. Ohne Fatou, die vorgeschlagen hatte das Buch zu schreiben, wären wir ja gar nicht dorthin gefahren. Wir sind ja auch nicht alleine, sondern zu zweit losgegangen. Und wir haben die erste Fassung des Films in der Dorfgemeinschaft gezeigt, damit diese uns Rückmeldung und Verbesserungsvorschläge geben konnten. Der Film ist im ständigen Austausch entstanden.

Stephanie: Transparenz ist auch eine Besonderheit des Projekts. Man sieht ganz genau wer filmt, wer fragt, wer antwortet, wer spricht, welche Sprache gesprochen wird und unter welchen Umständen der Film entstanden ist. Wir sind alle sichtbar und das macht es auch so authentisch.

Ihr habt euch mit dem Filmprojekt eine Menge Ziele gesetzt. Habt ihr diese Ziele alle erreichen können?

Stephanie: Erreichen wollte ich, den Wunsch von Fatou zu erfüllen und ein Buch über das Dorf schreiben. Gleichzeitig wollte ich meine Masterarbeit verfassen. Ein weiteres Ziel ist es, die Öffentlichkeit zu erreichen. Durch diese verschiedenen Wünsche befinden wir uns jetzt in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Ansprüche und stellen fest, dass man niemandem wirklich gerecht werden kann.

Constanze: Mit dieser Tatsache muss man sich einfach abfinden. Guelakh ist sowieso in einem ständigen Wandel.

Das Projekt hatte auch einen großen Einfluss auf das private Leben von Constanze.

Stephanie: Ich hatte zu Conny gesagt, dass wir unbedingt Klaas, den Sohn von Fatou und Ousmane, der hier in Deutschland wohnt, auf mein Sofa in Freiburg bekommen müssen, um ihm den Film zu zeigen und ihn zu interviewen.

Constanze: Nach dem Interview mit Klaas hatte ich noch so viele Fragen zu Guelakh, weil ich ja immer nur beobachtet habe und nie wirklich teilgenommen hatte. Jetzt hatte ich endlich jemanden der mich versteht, weil er die Situation dort kennt, aber auch den Blick von außen hat, weil er ja in Deutschland wohnt. Die Treffen gingen dann immer so weiter. Heute sind wir verheiratet. Schlussendlich bin ich jetzt ein Teil des Dorfes und der Familie geworden.

Info

Den Film mit anschließender Gesprächsrunde könnt ihr hier sehen:

2. April 2019 im Kommunalen Kino, Freiburg

24. April 2019 im Ethnologischen Seminar, Basel

23. Mai 2019 um 20 Uhr im Seminarraum des Ethnologischen Instituts, Werthmannstraße 10

Weitere Informationen zur Arbeitsweise und die Termine findet ihr auf der Website des Filmprojekts.

Foto: Constanze Knothe (Titelbild), Melanie Weißmann
Veröffentlicht am 28. März 2019

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