Stressprävention bei Lehrkräften: Mit den Nerven am Ende?

Stressprävention bei Lehrkräften: Mit den Nerven am Ende?

Das Klischee sagt: Lehrer und Lehrerinnen haben nachmittags frei und jede Menge Ferien. Doch Lehrende sind die Berufsgruppe mit der höchsten Burnout-Rate. Was steckt dahinter? Dr. Alexander Wünsch, Diplom-Psychologe an der Uniklinik Freiburg ist Leiter der „Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell“ und weiß, warum gerade Lehrende betroffen sind und was bereits Studierende dagegen tun können.

Dr. Alexander Wünsch ist Leiter der “Lehrer-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell”.

Herr Dr. Wünsch, sie bieten Lehrer-Coachings an, die Stress bei Lehrkräften vorbeugen sollen. Wieso ist diese Berufsgruppe besonders gestresst?

Es gibt eine Vielzahl an Stressoren. Ein Hauptstressor ist Aggression, verbale Aggression von Schülern und es gibt sogar Lehrer, die persönliche Gewalt erfahren haben. Andere Stressoren sind Konflikte im Kollegium oder mit Schulleitern.

Ein weiterer Aspekt ist der Fokus auf das Beziehungsgeschehen. Studien belegen, dass der Lehrerberuf ein ganz klarer Beziehungsberuf ist. Und – das weiß man aus persönlicher Erfahrung, aber das weiß man auch durch Studien – wenn die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler gut ist, funktioniert es im Klassenzimmer, dann kann man auch lernen. Und wenn es nicht gut ist, dann funktioniert es einfach nicht: Die Schüler sind gestresst und der Lehrer ist gestresst und dann funktioniert gar nichts.

Und vor diesem Hintergrund wurde dann das Lehrer-Coaching entwickelt, um diese Beziehungsqualität in den Fokus zu setzen, und diese Beziehung zu reflektieren, zu fördern und zu pflegen.

Würden Sie sagen, dass sich tendenziell besonders stressanfällige Menschen für den Lehrerberuf entscheiden?

Also wer tatsächlich Lehrer wird, ist eine Frage, die ich nicht wissenschaftlich beantworten kann. Ich kenn dazu keine Untersuchungen. Aber es gibt bestimmte Lehrertypen und viele Lehrertypen sind hochengagiert und leicht perfektionistisch. Diese Lehrer sind besonders gefährdet in ihrer Gesundheit, machen viel und haben größere Schwierigkeiten sich abzugrenzen. Sie landen eventuell eher im Burnout als die Lehrer, die nicht so involviert sind. Gleichwohl gibt es auch in diesem Bereich die Möglichkeit, dass sie in ein Burnout kommen können.

Woran zeigt sich die starke Stressbelastung der Lehrkräfte?

Es gibt dazu einige Zahlen, die auch der Initiator des Projekts, Prof. Dr. Bauer, gefunden hat, zum Beispiel, dass circa 30 Prozent der Lehrer tatsächlich so stark belastet sind, dass sie eigentlich gar nicht arbeiten gehen sollten. Eine andere sehr frappierende Zahl ist die Zahl der Frühberentung von Lehrern: Nur etwas mehr als ein Viertel erreichen die Regelaltersgrenze. Circa 10 Prozent werden aufgrund von Dienstunfähigkeit vorzeitig berentet und ungefähr die Hälfte davon wegen psychischer Gründe.  Diese Zahl ist enorm hoch und irgendjemand musste da was tun. Mein Vorgänger Professor Bauer hat das gemacht und die Lehrergesundheit und die Stressoren der Lehrer genauer angeguckt und sich überlegt, was man dagegen tun kann.

Und was beinhalten diese Coachings konkret?

Das Coaching ist modular aufgebaut, es gibt insgesamt fünf Module. Es gibt immer theoretischen Input, zum Beispiel zu Beziehung, Identität oder zu schwierigen Schülerkonflikten, Konflikten im Kollegium oder Konflikten mit Eltern. Kernpunkt des Ganzen ist jedoch die Reflektion von schwierigen Fällen. Beim Coaching wurde auf ein bewährtes Konzept zurückgegriffen: Auf Balint Arbeit.

Die Idee dabei ist, dass jemand von einem schwierigen Fall berichtet, erst mal nur informativ, dann werden Rückfragen gestellt. Derjenige, der berichtet muss dann einen Schritt zurückgehen und die Anderen assoziieren frei zu diesem Fall. In dieser freien Assoziation passiert was, das heißt der schwierige Fall wird anders beleuchtet und es kommen neue Ideen und Impulse hinein. Und der Lehrer, die Lehrerin, der oder die dann eher zuhörend war, kann den schwierigen Fall nochmal anders angucken und kann mit dieser Erkenntnis nochmal anders rausgehen und die Beziehung dann wieder zum Schwingen bringen.

Die Teilnahme an dem Lehrer-Coaching ist kostenlos. Wie wird das Programm finanziert?

Es wird komplett vom Kultusministerium in Baden-Württemberg finanziert. Das ist absolut einmalig, das gibt’s in keinem anderen Bundesland in Deutschland. Das Kultusministerium stellt Geld zur Verfügung für ein kleines Team in Freiburg und für die niedergelassenen Psychotherapeuten – unsere Moderatoren – damit diese das Coaching kostenfrei für die Lehrer durchführen können.

Wie kam es dazu, dass das Programm so gefördert wurde?

Das Kultusministerium in Baden-Württemberg hat die Zahlen der Frühberentungen und der psychischen und körperlichen Gesundheit der Lehrkräfte ernst genommen.

Dann ist sicherlich auch der Entwickler dieses Programms, Professor Bauer, positiv zu erwähnen, weil er einfach diesen Blick für die Lehrer hatte und ins Kultusministerium gegangen ist und sein Programm präsentiert hat. Dann hat er noch Kontakt mit der Psychotherapeutenkammer im Land aufgenommen und hat diese auch noch mit ins Boot geholt.

Da das Programm kostenlos ist, ist das ja möglicherweise auch interessant für Studierende. Zu welchem Zeitpunkt ist es sinnvoll das Lehrer-Coaching zu machen?

Ursprünglich war es als Präventionsprogramm konzipiert, dass Lehrer lange lehren können und lange gesund bleiben. Und die ursprüngliche Konzeption war tatsächlich für Lehrer, die lange im Beruf stehen. Aber – das ist auch unsere Erfahrung – von diesem Programm profitieren auch die jungen Lehrerinnen und Lehrer und zwar bevor sie ins erste Burnout geschlittert sind.

Das Programm ist so aufgebaut, dass wir mit konkreten Fällen arbeiten – wenn jetzt Studierende einen Fall aus dem Schulpraktikum mitbringen, wäre ein Coaching natürlich auch möglich. Wenn das aber nicht gegeben ist, dann bringt das Programm nicht so viel, es braucht tatsächlich den konkreten Fall.

Gibt es noch andere Maßnahmen, mit denen man als Lehrer oder Lehrerin Stress vorbeugen kann?

Es gibt das magische Dreieck der Lehrergesundheit: Wichtig sind die Punkte Beziehung, soziale Unterstützung und Identität. Das heißt die Lehrer thematisieren selber, wie sie sich zeigen, denn als Lehrer oder Lehrerin muss man sich zeigen. Gleichzeitig braucht man eine gewisse Privatsphäre. Und dieses Auspendeln von sich zeigen, aber auch nicht zu viel zeigen, ist ein großes Thema. Ein weiterer wichtiger protektiver Faktor ist die soziale Unterstützung. Wenn ein Lehrer Unterstützung von einem Kollegen oder durch das Kollegium oder den Schulleiter bekommt, ist es leichter, den Stress auszuhalten.

Wenn man das alles gut hinkriegt, wenn man die Identität und Beziehungsarbeit hinkriegt und die soziale Unterstützung hat, dann gehen wir davon aus, dass ein Lehrer oder eine Lehrerin gesund bleiben kann und das somit die Gesundheit fördert.

Gibt es Maßnahmen, zu denen sie Studierenden raten würde, um Stress vorzubeugen?

Vielleicht das gleiche: Soziale Unterstützung, Beziehung und Identität. Eine Balance zu finden aus sozialem Rückhalt durch Kommilitonen und Kommilitoninnen, anderen Beziehungsarbeiten – zu Hause, Freundeskreis, wie auch immer – ist da sehr wichtig. Und natürlich die anderen Dinge: Bewegung, Entspannung, Ressourcen – im Sinne von Dingen, die einem gut tun – pflegen, um wieder mit den stressigen Momenten vor einer Prüfung, bei einer Hausarbeit oder vor anderen Dingen, besser zurecht zu kommen.

Info

Die Coachings finden als Kompaktkurse an 1,5 Tagen statt, in der Regel samstags und an einem Nachmittag oder fortlaufend über die gleiche Stundenzahl (6 Termine à 2 Stunden).

Von Moderatoren, welche meistens niedergelassene Psychotherapeuten sind, werden die Coachings geleitet und finden nicht nur in Freiburg, sondern in ganz Baden-Württemberg statt. Das heißt es werden über 100 Gruppen im Land dezentral angeboten.

Über die Website kann man sich über das Programm weiter informieren und direkt anmelden: www.lehrer-coachinggruppen.de/freiburger-modell.html

Foto: Mareike Heihoff
Veröffentlicht am 14. März 2019

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