„Meine Hand ist nicht aus Plastik!“

„Meine Hand ist nicht aus Plastik!“

Das Elektro-Avantgarde-Duo Matmos hat ein Album aufgenommen, für das es ausschließlich Plastikobjekte als Soundquelle verwendet hat. Im Interview mit uniFM spricht M.C. Schmidt, die eine Hälfte des Projekts, über den Aufnahmeprozess, den Spaß an konzeptioneller Kompromisslosigkeit und die oftmals diffuse Grenzziehung zwischen Künstlichkeit und Authentizität.

Im vergangenen Jahr wurde in der Nähe von Hawaii ein Gestein entdeckt, das zum Teil aus geschmolzenem Plastik besteht. Eine kanadische Geologin erklärte den Hybriden kurzerhand zu einer neuen Art. Während einst der Mensch Plastik verwendete, um Natürliches zu imitieren, tarnt sich der Werkstoff nun mitunter selbst als Natur. Schön war die Zeit, in der man lediglich die dekorativen Felsen im Garten des Nachbarn per Fingerklopfen fake-checken musste, bald schon könnte einen dieses Bedürfnis sogar beim Durchstreifen des Schwarzwalds überkommen.

Den neu entdeckten Plastikfelsen hat das Elektro-Avantgarte Duo Matmos zwar nicht abgeklopft, ansonsten kommt auf ihrem neuen Album aber so ziemlich jede Form des synthetischen Werkstoffs zum Einsatz. Für „Plastic Anniversary“ haben sie sich durch Schrottplatzcontainer gewühlt. Ähnlich der ästhetischen Erfahrungen von Kindern beim Spiel mit Ploppfolie erkundeten M.C. Schmidt und Drew Daniel die Objekte auf ihre akustischen Qualitäten hin. Ihr Lieblingsinstrument, eine riesige Plastikpille haben sie aber nicht dort entdeckt:

Die unmittelbaren Ergebnisse waren jedoch ziemlich ernüchternd. „Im direkten Vergleich mit Materialien wie Metall ist Plastik keine sehr gute Soundquelle. Man hört schnell, dass es aus Öl hergestellt ist, das nicht gerne schwingt“, so M.C. Schmidt im Interview. Das Ursprungsmaterial wurde deshalb im Studio mit digitaler Software modifiziert. Die Grenze zwischen Produktion und Postproduktion war im Schaffen des Duos schon immer unscharf:

Umso radikaler arbeiten die beiden hinsichtlich der konzeptionellen Reinheit ihrer Projekte. „Wie verrennen uns oft in diesen Regeln. Sie machen Spaß, aber sind gleichzeitig ein Fluch.“ Schmidt erzählt von Situationen, in denen er sich überlegte, ob es nicht inkonsequent sei, hätte man das Plastik mit der bloßen Hand bearbeitet. Wo muss die konzeptionelle Reinheit enden?

Man würde glauben, dass Musiker, die mit solcher Kompromisslosigkeit zu Werke gehen, mit ihrer Kunst auch eine politische Botschaft aussenden wollen. Doch einer allzu simplen Plastik-ist-böse-Rhetorik wollte sich das Duo nicht anschließen: „Klar ist es politisch, aber es ist kein primär politisches Album“, so Schmidt. Ob sie sich ein konzeptionelles Zwillingsalbum vorstellen könnten, auf dem keinerlei Plastik zum Einsatz kommt?

Letztlich mündet unser Gespräch mit Gedanken zur generell diffusen Grenzziehung zwischen Künstlichkeit und Authentizität. „Sogar kluge Menschen kommen zu mir und sagen, sie nutzen
keine digitalen Effekte, denn das sei nicht real.“ Dass jetzt auch natürliche Plastikfelsen existieren, macht diese Unterscheidung vermutlich nicht unkomplizierter. M.C. Schmidt war übrigens sehr interessiert, als ich ihm davon erzählte. Vielleicht kommt auf ihrem nächsten Album also ausschließlich natürliches Plastik zum Einsatz.

 

von Julian Tröndle

Autoren:
Veröffentlicht am 11. April 2019

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