Männlich, weiblich, divers

Männlich, weiblich, divers

Seit Ende 2018 gibt es im Geburtenregister drei Geschlechtsoptionen: Männlich, weiblich und „divers.“ uniCROSS hat mit Aaron Goldbach, ehemaliges Mitglied des Regenbogen-Referats der Uni Freiburg darüber gesprochen, was die Gesetzesänderung bringen kann und was das für intergeschlechtliche und für transidente Menschen bedeutet.

2017 urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVG), dass die bestehende Regelung einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes darstelle. Für Neugeborene ist jetzt die Eintragung des Geschlechts als „divers“ möglich. Erwachsene, die ihre Eintragung ändern lassen wollen, müssen dafür allerdings ein ärztliches Attest vorlegen. Betroffen sind in Deutschland etwa 100.000 intergeschlechtliche Menschen, von denen sich viele nicht in ein binäres Geschlechter-System einordnen können und wollen.

Aaron Goldbach war mehrere Jahre Mitglied des Regenbogen-Referats und hat in der Themengruppe inter* mitgearbeitet.

Aaron, was war bis jetzt das Problem beim Geschlechtseintrag und was soll sich ändern?

 Seit 2013 ist das Personenstandsregister so ausgelegt, dass bei Neugeborenen männlich, weiblich oder kein Geschlecht eingetragen werden konnte. Letzteres ist eine problematische Kategorie; was bedeutet es kein Geschlecht zu haben? Es war also nicht möglich einen positiven dritten Geschlechtseintrag vorzunehmen. Kein Geschlecht in dem Sinne ist nicht wahr, intergeschlechtliche Menschen zum Beispiel haben sehr wohl ein Geschlecht, nur eben nicht das männliche und nicht das weibliche. Auf Grundlage dieser Argumentation hat sich eine intergeschlechtliche Person durch alle Instanzen des deutschen Rechts geklagt und am Ende Recht bekommen.

Vanja ist intergeschlechtlich und hat die Klage in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht, dem BVG, eingereicht. Wie lief das ab?

 Die Person forderte, einen Geschlechtseintrag im Geburtenregister einzutragen, der weder männlich noch weiblich ist, weil diese Person das schlicht auch nicht ist. Das BVG hat entschieden, dass es möglich sein muss, einen dritten positiven Geschlechtseintrag vorzunehmen. Der Gesetzgeber hatte Zeit bis Ende 2018 eine Kategorie zu finden und diesen dritten Geschlechtseintrag möglich zu machen.

Das BVG hat beschlossen, dass die Änderung des Eintrages zwar möglich sein soll, aber nur mit ärztlichem Attest. Was hältst du davon?

Leider ist es mit diesem ersten Schritt noch lange nicht getan. Der neue Eintrag „divers“ umfasst ja nun theoretisch eine ganze Reihe ganz unterschiedlicher Menschen. Da geht es um intergeschlechtliche Menschen, transidente Menschen, oder zum Beispiel non-binary Personen: Kurz gesagt um alle die sich nicht oder nicht ausschließlich als männlich oder weiblich verstehen. Ein ärztliches Attest ist selbstverständlich nicht tragbar. Warum sollte ein Arzt oder eine Ärztin darüber entscheiden welchem Geschlecht ich mich zugehörig fühle? Diese Fremdbestimmung hat traurige Tradition bei verschiedenen Gruppen. Transidente Menschen, die ihr Passgeschlecht ändern wollen, brauchen ein oder mehrere ärztliche Gutachten, um zu „beweisen“ dass sie wirklich transident sind. Warum ist das Geschlecht so wichtig, dass es von außen „objektiv“ festgestellt werden muss, damit ich es ändern darf?

Denkst du, dass der Beschluss mehr Frieden in die Debatte generell bringt oder erst recht die Fronten verschärft hat?

Auf der einen Seite hatte ich das Gefühl, viele Aktivist*innen haben sich gefreut, dass ihr Thema endlich so viel verdiente Aufmerksamkeit bekommen hat. Vor ein, zwei Jahren konnten sicher noch viel weniger Menschen mit dem Begriff intergeschlechtlich etwas anfangen. Auf der anderen Seite ist das entstandene Gesetz nicht besonders progressiv, da besteht durchaus Nachbesserungsbedarf. Aus meiner Sicht sollte es einen selbstbestimmten, unbürokratischen Prozess geben das eigene Geschlecht zu benennen und zu ändern, oder keine Geschlechtskategorie in Anspruch nehmen zu müssen.

Die Fronten sind in dem Sinne verschärft, dass das Thema vor allem von rechtspopulistischen und rechtsradikalen, aber auch von konservativen und christlichen Kreisen oft vollkommen abgelehnt wird. Da wird eine völlig andere Realität geschaffen, die Diskriminierung befördert und an sehr überkommenen Ideen festhält. Ich würde diesen Leuten raten wollen, einfach mal zuzuhören und wenigstens zu versuchen die Position nicht-binärer Menschen zu verstehen.

Denkst du der BVG-Beschluss bringt nur Änderungen auf Papier oder auch in unserer Lebenswelt? 

Der Beschluss wird auf jeden Fall mehr Sichtbarkeit schaffen und hoffentlich auch eine Grundlage für Menschen sein, gegen Gesetze und gesellschaftliche Strukturen vorzugehen, die oft zweigeschlechtlich aufgebaut sind. Toiletten die nicht nach Geschlechtern getrennt sind, sind da ein Beispiel. Da werden überall die gleichen Argumente wiederholt, zum Beispiel die Frage danach, wer das eigentlich braucht, da es nur eine sehr kleine Minderheit beträfe. Dafür alle Toiletten umzubauen sei doch sehr aufwendig. Man könne doch auch auf die Behindertentoilette ausweichen.

Ich finde aber, man sollte auf alle Minderheiten eingehen. Es gibt eine Gruppe, die es aufgrund ihres Geschlechts stört, wenn es zwei Toiletten gibt, da sie weder in die eine, noch in die andere Kategorie gehören. Und diese Menschen werden jedes Mal, wenn sie auf Toilette gehen wollen, darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft denkt, dass sie eigentlich nicht existieren. Dann gibt es eine Gruppe, Männer und Frauen, die meines Erachtens keinen Nachteil erleiden, wenn sie auf dieselbe Toilette gehen. In Flugzeugen, oder im Zug ist das übrigens ganz normal, auch wenn diese Toiletten nicht als All-Gender-Toiletten ausgeschrieben sind.

Eine Gesetzesänderung kann so durchaus unsere Lebenswelt verändern, nur eben nicht allein, sie bildet oft nur eine Art Grundstein, auf dem sich weiterarbeiten lässt. Interessant finde ich zum Beispiel bei wie vielen Stellenausschreibungen man seit Anfang des Jahres neben „m“ und „w“ auch das „d“ für divers findet.

Ist das Problem mit dem Beschluss gelöst?

Es gibt viele Gesetze, in denen Männer und Frauen explizit erwähnt werden und andere Geschlechter eben nicht. Da müsste theoretisch viel geändert werden. Zum Beispiel können ohne eine weitere Anpassung intergeschlechtliche Menschen nicht heiraten. Da gibt es eine ganze Reihe von Feldern auf denen sich etwas ändern muss, nicht zuletzt auch in unser aller Alltag. Ich denke der Gesetzgeber macht es sich zu einfach, wenn er nur das Personenstandsregister ändert.

Und wie wirkt sich das für transidente Menschen aus?

Im Bezug auf transidente Menschen gilt weiterhin: Eine offizielle „Änderung“ des Geschlechts von male to female, oder female to male ist möglich, aber mit einem sehr langen und teilweise sehr stereotypen und diskriminierenden Verfahren verbunden. Am Ende dieses Prozesses kann dann eben nur die Möglichkeit stehen sich eines der Geschlechter „Mann“ oder „Frau“ auszusuchen. Für manche transidenten Menschen reicht das aus, für andere nicht, sie würden sicher auch gerne die Option „divers“ oder ganz andere Optionen in Anspruch nehmen wollen.

Wie ist die Situation in Freiburg?

Das Regenbogenreferat hat in den letzten Jahren viel zu Intergeschlechtlichkeit gemacht, auch aufgrund der Uniklinik in Freiburg. Dort, wie in vielen Kliniken, werden intergeschlechtliche Menschen operiert, um sie den Geschlechtern männlich oder weiblich anzupassen. Die Kinderurologie der Uniklinik bewirbt in ihrem Leistungsspektrum solche Eingriffe offen als „Korrektur aller Genitalanomalien“. Neben medizinisch notwendigen Eingriffen gibt es auch kosmetische, also medizinisch nicht-notwendige Operationen an Säuglingen und Kleinkindern. Diese Kinder könnten gesund aufwachsen, aber es wird trotzdem operiert. Im Erwachsenenalter führt das oft zu Beeinträchtigungen der physischen und psychischen Gesundheit.  Das ist vollkommen inakzeptabel und verstößt gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Dazu gibt es sehr gut recherchierte Berichte, beispielsweise von Amnesty International, oder deutschsprachige Studien.

Ich persönlich denke, dass alle Menschen unterschiedlich sind, aber die gleichen Rechte genießen sollten, ohne Ausnahme.

Foto: Teaser: Johanna Skowronski, Aaron Goldbach: Deborah Watter


Veröffentlicht am 11. Juni 2019

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