Punktgenaue, schnelle Genmutation

Punktgenaue, schnelle Genmutation

Was ist das neue CRISPR/Cas-Verfahren eigentlich? Zählt die Genschere zur konventionellen Gentechnik oder wird CRISPR/Cas diese eines Tages revolutionieren? Hannah hat sich mit zwei Experten der Uni Freiburg über den Einsatz der Genschere in Landwirtschaft und Medizin unterhalten, um die Vor- und Nachteile dieser Methode zu erfahren.

Professor Dr. Ralf Reski forscht am Biologischen Institut

Professor Reski ist Pflanzenbiotechnologe am Biologischen Institut der Uni Freiburg und forscht mit seinem Team hauptsächlich an Moosen.

Prof. Dr. Ralf Reski sieht CRISPR/Cas als eine sichere Methode.

Professor Reski, was ist die CRISPR/Cas- Methode?

CRISPR/Cas ist ein molekularbiologisches Verfahren, um Erbsubstanz zu verändern. Ursprünglich haben das CRISPR/Cas-Verfahren Bakterien entwickelt, um sich vor Viren zu schützen. Verschiedene Forscher haben das Prinzip jetzt optimiert, sodass es als Methode angewendet werden kann, eine DNA basengenau zu verändern. In einem Chromosom kann eine einzelne Base oder auch ein ganzer Abschnitt herausgenommen, beziehungsweise geändert werden. Es ist also ein sehr präzises Werkzeug, in der DNA zu schneiden und zu kleben.

Diese neue Methode wird auch als „Genschere“ bezeichnet. Sie ist günstiger und schneller als alte Genommanipulations-Werkzeuge. Wie funktionierte das zuvor?

Bis dato wurde zusätzliche DNA über ein Bakterium in das Genom von Blütenpflanzen eingeführt. Rausschneiden ging mit bisherigen Methoden nicht, zielgerichtetes Einfügen genauso wenig. Je nachdem, wo das DNA-Stück in das Genom integriert wurde, konnte es besser oder schlechter abgelesen werden. Das war trotzdem ein Fortschritt gegenüber den klassischen Züchtungsmethoden, wo man das Saatgut mit Chemikalien oder mit Radioaktivität behandelt hat, um diese genetischen Veränderungen in der weiteren Züchtung zu verwenden. CRISPR/Cas ist mit seiner genauen Technik der klassischen Molekulargenetik also nochmal überlegen.

Heute sind für wenige hundert Euro die erforderlichen CRISPR-Werkzeuge zu bekommen. Natürlich braucht man dann immer noch das Labor und die Forschungs-Infrastruktur. Das Entscheidende ist aber der Zeitvorteil. Veröffentlichungen haben gezeigt, dass zum Beispiel an der Wildtomate nur drei Gene verändert werden mussten, damit sie zu einer kaufüblichen Tomate wurde. Was im klassischen Züchtungsprozess sehr viele Jahre gedauert hat, wurde mit CRISPR/Cas innerhalb eines Jahres geschaffen.

Die CRISPR/Cas Methode wurde vom europäischen Gerichtshof der Gentechnik zugeordnet, wodurch für die neue Methode dieselben strengen Richtlinien gelten wie für die bisherigen Verfahren. Für Ihre Forschung im pflanzentechnologischem Bereich fordern Sie von der Bundesregierung „klare Richtlinien“ und wollen erreichen, dass CRISPR nicht mehr zu der über 25 Jahre alten rechtlichen Einstufung / Gesetzeslage der Gentechnik gezählt wird. Für Sie zählt das Endprodukt und seine Effektivität. Warum ist CRISPR/Cas ihrer Meinung nach anders als die bisherigen Methoden?

In Deutschland wird das Verfahren bisher nur in der Forschung eingesetzt. In den USA und Kanada wird es bereits in der Landwirtschaft genutzt. Weil CRISPR/Cas keine Spuren im Genom hinterlässt, sind wir jetzt in der komischen Situation, dass wir nicht regulierte Produkte aus den USA importieren, diese aber nicht als gentechnisch verändert nachgewiesen werden können. Dieselben Produkte dürften in Europa aber nur unter strengsten Auflagen erzeugt werden.

Das einzig Vernünftige ist, dass dieses Gentechnik-Gesetz korrigiert wird, damit das CRISPR/Cas-Verfahren wie auch in den USA oder Kanada eingesetzt werden kann und nicht mehr als Gentechnik angesehen wird.

Im Prinzip ist der wesentliche Fortschritt von CRISPR/Cas die gezielte Gen-Veränderung. In der klassischen Züchtung werden eigentlich keine molekularen Veränderungen nachgewiesen, sondern anhand des Phänotyps gezüchtet, wobei man nicht molekular untersucht, welche Allele, also Genvarianten, in welcher Kombination weiter vererbt werden.

Wichtig finde ich, dass man sich bewusst wird, dass Mutationen andauernd stattfinden und in der Umwelt ganz normal sind. Nichts ist unverändertes Erbgut. In einem Hektar Weizenfeld findet man bei Untersuchung der Körner jedes Gen mindestens einmal mutiert. Wenn man aber eine einzige dieser Veränderungen gezielt über CRISPR/Cas machen wollte, würde das nach Gentechnikgesetz streng reguliert werden. Das ist absurd.

Wie sieht es aktuell bei der Änderung der Regulierungen aus?

Nach dem EuGH Urteil letzten Sommer gibt es eine große Diskussion. Vor kurzem haben wir einen öffentlichen Brief an die zuständigen Bundesministerien geschickt.
Die Thematik wird in der Politik in diesem komplexen Zusammenhang nicht so viel diskutiert. Es existiert dort oft eine ideologische Sicht nach dem Motto „Gentechnik ist böse“ und „Bio ist gut“. Wobei es aus meiner Sicht eine Verbindung von modernen Züchtungsformen und nachhaltiger Landwirtschaft geben sollte. Meiner Meinung nach zählt das Ergebnis, nicht das Verfahren.

In Karlsruhe forscht Prof. Holger Puchta im selben Bereich der Biologie wie Sie. Er sagt in Interviews, dass es mit Hilfe der neuen Genommanipulation–Methode zu einer zweiten „Grünen Revolution“ kommen würde. Pflanzen würden ertragreicher und Resistenzen könnten gezüchtet werden. Wie sehen Sie das?

Schon durch die klassische Züchtung wurde der Ertrag der Pflanzen erhöht und der Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft reduziert. Durch CRISPR/Cas bräuchte man von diesen Chemikalien noch weniger. Resistenzen können vor allem gegen Pilze, virale Infektionen aber auch gegen Versalzung oder Trockenheit gezüchtet werden. Zum Teil waren diese in den natürlichen Ursprungsformen der Pflanze vorhanden und gingen im Züchtungsprozess verloren. Wie am Beispiel der Tomate, die nur auf Ertrag gezüchtet wurde. Tomaten werden zwar immer größer und haltbarer, haben aber an Geschmack verloren. Mit heutigem Wissen kann man Geschmack, Größe und Haltbarkeit vereinen. Durch normale Züchtung ist das schwer hinzukriegen.

Man muss bei diesen Revolutionen zwischen Pflanzenbiotechnologie und politischer Umsetzung unterscheiden. Die Begrifflichkeit der zweiten „Grünen Revolution“ unterstütze ich. Wir können damit Erträge steigern und damit einerseits mehr Menschen ernähren, andererseits die benötigte Fläche für Landwirtschaft reduzieren.
Je effizienter also der Ertrag pro Hektar ist, desto mehr Flächen hat man, die auswildern, ganz normal CO2 fixieren und zur Biodiversität beitragen. Flächen, die, wenn wir effizienter mit unserem Land umgehen, nicht gebraucht werden und der Natur überlassen werden können.

Kann der Einsatz der „effizienten Pflanzen“ nicht gefährlich für die Biodiversität werden?

Natürlich wird durch jede Landwirtschaft Biodiversität eingeschränkt. Ohne moderne Landwirtschaft können heute die Menschen nicht mehr ernährt werden. Durch CRISPR/Cas würde diese politische Diskussion meiner Meinung nach nicht verändert werden. Das was wir essen, egal in welcher Form, ist das Ergebnis von Züchtung. Früher wurden diese neuen Mutationen noch mit krebserregenden Chemikalien erzeugt. Oder sie sind, wie alle heute angebauten Süßkartoffeln, das Resultat einer vor über tausenden von Jahren natürlich aufgetretener Mutation und anthropogener Selektion.

Welche Risiken gibt es beim CRISPR/Cas- Verfahren?

CRISPR/Cas ist eine sichere Methode. Natürlich gibt es in jeder Technologie negative Begleiterscheinungen, nichts in der Welt ist 100 Prozent sicher. Auch bei CRISPR-Cas gibt es sogenannte Off-target-Mutationen, bei der nicht nur das gewollte Gen verändert wird, sondern auch andere. Aber diese unerwünschten Mutationen können im nachfolgenden Züchtungsprozess eliminiert werden.

Was halten Sie von dem umstrittenen Versuch des chinesischen Wissenschaftlers He Jiankui, mit Hilfe der CRISPR/Cas-Methode das Erbgut von menschlichen Embryonen zu ändern, um Immunität gegen HIV zu erschaffen?

Das ist eine schwierige Diskussion. Es ist völlig klar, dass das was in China passiert ist, sämtlichen Regularien widerspricht – selbst den chinesischen. Entsprechend sind von dem dortigen Institut die Konsequenzen gezogen worden und das ist auch richtig so. Vor dem Einsatz bei Menschen muss noch mehr drauf geachtet werden, dass keine Off-target-Mutationen stattfinden. Dazu muss die Technologie sicherlich noch weiterentwickelt werden.

Bei Tieren und Menschen kann man solche Methoden nicht ohne noch größere Sicherheit anwenden. Ich würde es auf die Dauer aber nicht zu 100 Prozent ausschließen, denn auch hier muss man sich überlegen, wie viele seltene Krankheiten es gibt, für die wir heute keine Medikamente haben. Je kleiner der Patientenstamm, desto weniger Gewinn kann man damit machen, desto weniger wird Forschung gerade von den großen Firmen gemacht. Zudem sind die Regulierungen für neue Medikamente so hoch, dass die Kosten der Entwicklung immens ansteigen. Je höher die Regulierungen, desto teurer die Entwicklung, daher können sich in diesem Teufelskreis Forschung und Entwicklung meist nur die großen Firmen leisten. Das gilt gleichermaßen für Medizin und Landwirtschaft.

Es gibt viele Krankheiten, für die es heute noch keine Therapien gibt mit dem Resultat, dass Menschen lebenslang leiden oder relativ früh sterben. Der Patientenstamm aller seltener Krankheiten zusammengenommen macht aber etwa 50 Prozent aller Krankheiten aus.
Daher ist es bei Krankheiten, die man auf ein Gen zurückführen kann, schon von großer Relevanz die CRISPR/Cas-Methode in Betracht zu ziehen. Als Gegenargument kommt natürlich oft, dass man sich mit der Methode „Menschen züchten“ könnte. Natürlich muss man solche Risiken beachten. Nur sind Intelligenz, Schönheit, Charakter und so weiter keine monogen bedingten Eigenschaften. Man kann solche Eigenschaften deshalb nicht modifizieren, da sie von Hunderten Genen abhängig sind und nicht von einem. Dennoch muss es hier sehr strenge, weltweit geltende ethische Standards geben.

Professor Dr. Toni Cathomen forscht in der Molekularbiologie

Professor Cathomen ist als Molekularbiologe an der medizinischen Fakultät der Uni Freiburg und als Direktor für Transfusionsmedizin und Gentherapie an der neusten Forschung beteiligt, auch an der „Genschere“ CRISPR/Cas.

Für Prof. Dr. Toni Cathomen sind CRISPR-Pflanzen eine Möglichkeit, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

Professor Cathomen, Sie forschen als Molekularbiologe mit Genscheren. Wie ist ihr Bezug zu CRISPR/Cas?

Ich arbeite schon seit 15, fast 20 Jahren mit Genscheren. Seit ein paar Jahren auch mit CRISPR/Cas. Die Intension die hinter meiner Arbeit steht, ist, die Genscheren therapeutisch anzuwenden, um neue Therapieverfahren und auf Zelltherapie basierende Medikamente für Patienten mit Erb- oder Infektionskrankheiten und bei Krebs zu entwickeln. Ich glaube aber auch, dass CRISPR/Cas – und andere Genscheren-Technologien – enorm dazu beigetragen haben, dass die Grundlagenforschung sich heute immer schneller entwickelt. Das Überzeugende an dieser Technologie ist, dass man genetische Veränderungen in verschiedenen Organismen sehr schnell herbeiführen kann.

Wo sehen Sie die Grenzen des CRISPR/Cas-Verfahrens?

Bei der Anwendung im Menschen gibt es schon noch ein paar Hürden, über die man sprechen muss. In Form der Zelltherapie ist es wichtig, dass die Methode extrem präzise arbeitet. Wir wissen, dass CRISPR/Cas und auch andere Genscheren Fehlschnitte im Erbgut machen können. Dies gilt es zu berücksichtigen.

Die sogenannten Off-Target-Mutationen. Was ist dabei problematisch?

Je nachdem wo sich die Off-Target-Sites befinden, kann das mehr oder weniger schwerwiegende Folgen für die Zelle beziehungsweise den Organismus haben. In dem Kontext der Therapie ist es wichtig nachzuweisen, dass unsere Werkzeuge präzise sind und wenig Off-Target-Aktivität haben. Noch wichtiger ist es, dass wir verstehen, welche Off-Target-Aktivität wir haben, um eine Risiko-Abschätzung vornehmen zu können. Beispielsweise könnte eine bestimmte Off-Target-Mutation zur Transformation der Zelle und damit zu Krebs beim Patienten führen.

Bisher gibt es noch keine Langzeitstudien dazu.

Das ist richtig. Auch gibt es keine biologischen Tests, die vorhersagen würden, was mit den genetisch veränderten Zellen passiert. Der Grund dafür ist, dass wir die Zellen nicht lange genug in Kultur halten können. Wir wissen aus der Gentherapie, dass bei genetisch veränderten Blutstammzellen, die dem Patienten transplantiert werden, erst nach drei bis fünf Jahren Nebeneffekte auftreten können. Die Genscheren werden im Rahmen von klinischen Studien bereits therapeutisch eingesetzt, die Beobachtungszeit jedoch ist bei keinem der Patienten schon so lange.

Ist der ethische Aspekt in der medizinischen Gentechnik stärker verankert als in der landwirtschaftlichen Gentechnik?

Es gibt sowohl in der „roten“ als auch der „grünen“ Gentechnik große Chancen aber auch ethische Bedenken. Beispielsweise lässt sich genetisch verändertes Saatgut nicht immer reproduzieren oder es müssen hohe Lizenzgebühren an den Saatguthersteller abgeführt werden*. Das heißt, die Abhängigkeit der Landwirte von Saatgutproduzenten wird immer größer, denn sie müssen jedes Jahr wieder neues Saatgut kaufen. Die Folgen davon sind in Indien oder Afrika sichtbar. Landwirte gehen Bankrott, da sie im Vorjahr beispielsweise eine schlechte Ernte hatten und deswegen keine Gelder für weitere Saatgut-Käufe haben.

Im Zuge der wachsenden Weltbevölkerung ist aber auf der anderen Seite eine weitere wichtige ethische Komponente die Ernährungssicherung der Menschen, die irgendwie bewerkstelligt werden muss. Mit Genscheren wäre es zum Beispiel möglich Pflanzen zu züchten, die robuster sind und mehr Ertrag bringen oder die resistent gegenüber bestimmten Krankheitserregern oder Schädlingen sind.

Was würde geschehen, wenn in der „grünen Gentechnik“ sogenannte epigenetische Effekte auftreten? Wenn also die genveränderten Pflanzen auf Umweltveränderungen anders reagieren, als vorgestellt. Auch dazu gibt es bis heute keine Langzeitstudien.

Ja, das sind beispielsweise umweltpolitische Aspekte, die man unbedingt bedenken muss.

Das klingt nach vielen negativen Aspekten, die noch gar nicht oder nicht gerne betrachtet werden.

Ich denke schon, dass wir am Anfang einer genetischen Revolution stehen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, das auf die richtige Bahn zu bringen. Wir müssen uns immer gut überlegen, wo wir die Leitplanken setzen: Nicht zu eng, aber auch nicht zu breit.

CRISPR-Pflanzen sind eine, wenn auch sicherlich nicht die einzige Möglichkeit, um die Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels und der Schwierigkeiten, die er für die Landwirtschaft mit sich bringt, zu gewährleisten. Diesen Weg hat man sich aber im Moment in Europa verbaut.

Sie sprechen das EUGH- Urteil von letztem Sommer an, welches CRISPR/Cas der konventionellen Gentechnik zugeordnet und damit in Deutschland verboten hat. Wie stehen Sie dazu?

Ich finde es eine Katastrophe. In Europa ist es kaum mehr möglich, gentechnisch veränderte Pflanzen herzustellen und auszutesten. Ich denke, dass vor allem jetzt, in Zeiten des schnellen Klimawandels, unsere Nutzpflanzen zum Teil gar nicht mehr mit dem Klimawandel mithalten können. Wenn es uns gelingen würde, trockenheits-, salz- oder schädlingsresistente Pflanzen mittels Genscheren zu züchten und einsetzen zu können, sollten wir uns diese Möglichkeit nicht verbauen.

Was mich an dem EUGH Urteil weiter stört, ist, dass die Herstellung genetisch veränderter Pflanzen mittels konventioneller Verfahren erlaubt ist, währenddessen die gezielte Mutagenese durch CRISPR/Cas verboten ist. Viele wissen gar nicht, wie unsere „normalen“ Nutzpflanzen hergestellt werden, nämlich durch Bestrahlung und chemische Behandlung, um eine Veränderung des Erbguts zu erzielen. Danach wird aus einem großen Pool nach Pflanzen mit den gewünschten Merkmalen gesucht. Ein sehr ineffizientes Verfahren, da die chemische oder radiologische Mutagenese – im Gegensatz zu CRISPR – ungerichtet ist.

Hat die Entwicklung der Landwirtschaft in den letzten Jahren nicht auch Schuld an der heutigen Bodendegradation, der Verschlechterung durch intensive (Über-)Nutzung, hin zu immer unfruchtbareren Böden?

Ich glaube nicht, dass CRISPR-Pflanzen die einzige Möglichkeit der Zukunft sind. Aber ich denke, dass sie einen guten Ansatz darstellen und ein Teil der Lösung sind.

Durch die konventionelle Landwirtschaft wurde die Saatgut-Vielfalt bereits um 90 Prozent reduziert. Die Gentechnik würde diesen Anteil der übrig gebliebenen Saatgüter noch weiter einschränken, da man einen Pool an ausgewählten Sorten weiter reduziert, indem man mithilfe von Genscheren versucht, die effizienteste Pflanze zu züchten.

Das ist ein wichtiger Aspekt. Es gibt wahrscheinlich Tausende von Sorten, die wir heute gar nicht mehr anbauen, weil sie vielleicht nicht dieselben Erträge erzielen wie hochgezüchtete Nutzpflanzen. Vielleicht hat man noch irgendwo ungehobene Schätze, das sollte man sich noch einmal ansehen.

Zurück zur medizinischen Sicht: Was sind die Vorteile der Anwendung von CRISPR/Cas?

Heutzutage kann das Verfahren für therapeutische Zwecke in der somatischen Gentherapie unter Berücksichtigung der regulatorischen Vorgaben eingesetzt werden. Beispielsweise kann man in der Immunzelltherapie CAR-T-Zellen genetisch so verändern, dass sie Tumorzellen zielgerichtet angreifen und somit der Patient geheilt werden kann. Diese Methode funktioniert sehr gut bei Leukämie und Lymphknotenkrebs, bei soliden Tumoren noch nicht. Man weiß jedoch, wie man die CAR-T-Zellen genetisch verändern kann, sodass diese in Zukunft hoffentlich auch solide Tumoren angreifen können.

Ich glaube, dass es naher Zukunft möglich sein wird mit Genscheren neue Therapiemöglichkeiten zu entwickeln, für die es heute gar keine Heilungsmöglichkeiten gibt, beispielsweise bei Erb- und Infektionskrankheiten. Uns interessiert in diesem Zusammenhang die HIV-Therapie sehr. Wir sind momentan in Freiburg dabei eine klinische Studie aufzusetzen, die die Lymphom-Therapie mit einer Genscheren-Therapie verbindet. So könnte bei einem HIV-positiven Lymphom-Patienten nicht nur der Krebs, sondern auch HIV therapiert werden.

Info

CRISPR = Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats sind Abschnitte sich wiederholender DNA (repeats), die im Erbgut vieler Bakterien und Archaeen auftreten. Sie dienen dem Immunsystem- Äquivalenten CRISPR/Cas-System, das Resistenz gegen das Eindringen fremden Erbguts von Viren oder Plasmiden erzeugt.

Als Entdeckerinnen des CRISPR/Cas- Verfahren werden in erster Linie Emmanuelle Charpentier, Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut, und Jennifer Doudna mit ihrer Arbeitsgruppe gefeiert, die 2012 die erste wissenschaftliche Dokumentation dazu veröffentlichten. Die „Entdeckerinnen“ bekamen viele Auszeichnungen und Preise für ihre Arbeit. Jedoch gab es dazu Patentstreitigkeiten, denn auch andere Forscher meldeten ihre jeweilige Beteiligung an der Erfindung.

Institut für Transfusionsmedizin und Gentherapie: www.uniklinik-freiburg.de/itg/itg-im-detail.html

Mehr Infos zur Arbeit von Prof. Dr. Ralf Reski gibt’s auf seiner Website: plant-biotech.net

Fotos: Teaser: Uniklinik Freiburg / Britt Schilling; Porträts: Universität Freiburg

*Die Aussage “Beispielsweise reproduziert sich genetisch verändertes Saatgut nicht.” haben wir am 23.7.2019 angepasst und erweitert.

Autoren:
Veröffentlicht am 18. Juli 2019

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