Am sprachlichen Scheideweg

Am sprachlichen Scheideweg

Es gibt vermutlich wenig anderes auf der Welt, das so häufig thematisiert und doch nie beim Namen genannt wird, wie die weiblichen Geschlechtsorgane. Zwischen bedeutungsschwangerer Doppeldeutigkeit und sprachlicher Niveaulosigkeit wissen selbst viele Frauen nicht so richtig, wie sie über ihr Untenrum sprechen sollen. Samantha findet: Es ist höchste Zeit, die Dinge bei einem Namen zu nennen!

Das weibliche Geschlechtsorgan – eine hinter einem Berg aus Scham versteckte und dennoch gelegentlich völlig haarlose Region, über deren vagi-tativen Schönheit selbst überraschend viele Frauen nur selten unverblümt reden – als wachse die Klitoris zwischen Gladiole und Clematis in der Zierpflanzenabteilung des Gartencenters. Ob so floralen Umschreibungen wie Lotusblüte, Röschen und Blume für das weibliche Geschlecht, vermag es einem schon mal blümerant zu werden.

Wo die paradiesische Verführung nicht durch einen Apfel symbolisiert, sondern Evas Pfläumchen gepflückt und Erbse aus der Schote gekitzelt wird, da machen Ähnlichkeitsbezüge und Euphemismen für das weibliche Geschlecht auch vor der Tierwelt nicht halt.

Der Elefant im Raum: Exkurse in die Tierwelt

Die Schnecke wird durch die Zweckentfremdung ihres Seins nicht nur um Haus und Hermaphroditentum gebracht, den nackten Tatsachen ins Auge blickend stolpert sie über Stock auf Schleim geradewegs hinein in das Schneckenhaus, in dem man sich hinter form-, konsistenz-, oder eigenschaftsbedingten Bezeichnungen vor der sprachlichen Konkretisierung zu verkriechen versucht. Da vergeht selbst den flauschigen Pussys, Muschis, Mumus und all den anderen wortwitzgeplagten Kätzchen dieser Welt trotz liebevollen Streichelns das Schnurren und auch das Mäuschen quiekt längst nicht mehr vor Verzückung über den Mangel an erstzunehmenden Bezeichnungen für das, was sich da im weiblichen Schoße befindet.

Die Lust an der Natur

Dort schwillt inmitten des Lusttales die kleitorís – besser bekannt als Klitoris oder Kitzler – an, altgriechisch für den „kleinen Hügel“, am Fluss Yoni, der sich vor der Lustgrotte erhebt, zumindest bis der französische Etymologe Chantraine Pierre sie im 20. Jahrhundert lieber von dem Verb κλείειν „verschließen“ ableiten und somit getreu der patriarchalischen Weltordnung lieber wieder hinter Schloss und Riegel des Keuschheitsgürtels sehen möchte.

Und wo bereits „schlecht“ im Wortstamm des Geschlechts steckt, können Möse, Mese, Musche, Dose, Fotze, Fut und all die anderen systemisch abwertenden, männlich konstruierten Manierlosigkeiten gegenüber Frauen nicht fern sein, die sich vermutlich seit jeher, nachweislich jedoch seit dem finsteren Mittelalter im Sprachgebrauch etabliert haben. So stellen Musche, Muschi, Müsche nicht nur einen fragwürdigen Vergleich zwischen Katzen und Schambehaarung her, sondern auch sprachliche Bezüge zu liederlichen Frauenpersonen, wodurch die Hure und ihr in Konfliktsituationen allseits beliebter Sohn auf eine jahrhundertalte Tradition zurückblicken können.

Etwas frischer im Sprachgebrauch ganz und gar nicht jedoch in ihrer olfaktorischen Wahrnehmung ist dagegen die Fotze, Fufu, Föt und Fut, die auf das 16. Jahrhundert zurück geht und ursprünglich das stinkende Geschlechtsteil von Hündinnen beschreiben oder eine „hundsföttische“ gemeine und niederträchtige Person.

Eine Leere, die es zu füllen gilt

In ihrer anatomischen Beschaffenheit für viele, Männer und Frauen gleichermaßen, ähnlich bekannt wie schwarze Löcher, spalten auch die Spalte und Ritze die Gesellschaft in Punkto Angemessenheit, denn spätestens seit der Abkehr von Schwertkämpfen sollte man meinen, dass einem auch die Vagina, lateinisch Scheide nur mit ausreichend Scham über die Lippen gehen sollte: Beschränkt sich ihre Bedeutung als Hülle doch ausschließlich darauf, Schwerter, Degen oder das männliche Geschlechtsteil zu beherbergen, wie eine Garage einen Luxusschlitten.

Den können sich Chirurginnen und Chirurgen dank der steigenden operativen Eingriffe an Schamlippen problemlos leisten, immerhin hat sie sich aber der Ruf von der Schande (vom althochdeutschen scama) im 8. Jahrhundert, über das Ärgernis (schame im Mittelhochdeutschen) zum reinen Schamgefühl im Heute gemausert.

Der Scheideweg: Zwischen Biologie und Benennung

Auch wenn die Vagina an einem ähnlichen Scheideweg zu stehen scheint, hat sie sich offenbar ihres dicken Mantels aus Antiquiertheit und medizinischer Fachsprachlichkeit entledigt, um heute als adäquatesten Ausdruck einer aufklärungsinteressierten Generation in aller Munde zu sein – wäre da nicht das Problem der „Medical Correctness“.

Wie Tim ohne Struppi, Thelma ohne Louise oder Abbott ohne Costello ist die Vagina ohne Vulva, lateinisch für das außenliegende, weibliche Geschlechtsorgan, eben nur der in sich gekehrte Teil eines ganz vergnüglichen Doppels – das bis heute abgesehen von seinem entscheidenden Beitrag zur Erhaltung der Menschheit nicht bedeutend genug war, um einen medizinisch korrekten und alltagstauglichen Namen zugewiesen zu bekommen.

Vielleicht könnten auf dieser Reise in eine aufgeklärte Zukunft Kofferworte wie Vajayjay oder Vulvina – und nicht zuletzt die Loslösung der Vulvalippen von ihrer Scham – dabei helfen, den vaginalen Freiraum zu zelebrieren und künftig zuallererst mal die Sprachlücke zu füllen.

V!

Gar nicht so einfach über eigentlich Alltägliches zu sprechen. uniCROSS hat sich die Tabus rund um weibliche Themen zum Anlass genommen, genauer hinzuschauen. In den kommenden Wochen rücken wir mit dem „V! Project“ die Vulva, die Menstruation und die Verhütung in den Mittelpunkt.

Alle bisher erschienenen Beiträge gibts hier: archiv.unicross.uni-freiburg.de/V!-Project

Foto: Samantha Happ
Autoren:
Veröffentlicht am 2. Juli 2019

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