An die Dosen, fertig, los!

An die Dosen, fertig, los!

Professor Stephan Lengsfeld hat im Rahmen eines Seminars zur Entrepreneurship Education ein Graffiti-Projekt ins Leben gerufen, bei dem Studierende gemeinsam mit Street Art-Künstler*innen dem „Blauen Container“ in der Stefan-Meier-Straße einen neuen Anstrich verpassen. Wie es dazu kam und was die Studierenden dabei lernen, hat uniCROSS Professor Lengsfeld gefragt.

Herr Professor Lengsfeld, Sie bieten dieses Semester das Seminar “Fostering Creativity and Innovation: CoWorking Spaces, Environments and Incentives” an und haben im Zuge dessen ein Graffiti-Projekt ins Leben gerufen. Dabei soll der sogenannte „Blaue Container“ neben dem Gebäude der Makromolekularen Chemie von Ihren Studierenden mit Graffiti Bildern neu gestaltet werden. Wie entstand die Idee zu diesem Projekt?

Professor Stephan Lengsfeld, Lehrstuhl für Finanzwesen, Rechnungswesen und Controlling will mehr Dialog zwischen Uni und Gesellschaft schaffen.

Ich baue seit knapp drei Jahren den Bereich Entrepreneurship Education auf, motiviere also die Studierenden zum Entwickeln von neuen, eigenen Ideen und vermittle ihnen gleichzeitig die nötigen Kompetenzen, diese zu verwirklichen. Ich mache aber seit insgesamt sechs Jahren schon viel interaktive Lehre zum Thema Innovation. Wir nennen das  EconRealPlay, ein Lehrformat, bei dem die Studierenden über Simulationen Prozessveränderungen und Innovationen „im Kleinen“ erleben können.

Innerhalb dieses Bereichs verfolge ich nach wie vor den Ansatz, dass Studierende selbst ins Handeln kommen und nicht nur übers Handeln reden oder über Handeln nachdenken. Gerade beim Thema Innovation macht es einen Riesenunterschied, ob ich nur eine Idee habe oder ob ich in der Lage bin, die Idee auch umzusetzen. Und das ist häufig ein sehr weiter Weg. Man stellt dann plötzlich fest, welche Hürden da sind. Die spannende Frage ist dann, welche Lösung man findet, um diese Hürden aus dem Weg zu räumen.

An dieser Stelle kam das Thema Kreativität und Räume auf, sowohl Arbeitsräume als auch Räume in der Stadt und ich habe mir die Frage gestellt: Was beflügelt Kreativität?

Durch Urlaubsbesuche war mir aufgefallen, dass es in einigen Städten mehr Graffiti und Street Art gibt als in Freiburg, teilweise sogar gefördert. In Freiburg gibt es nur einzelne Orte, wo Graffiti und Street Art erlaubt ist. Und dann hatte ich die Idee, dass das doch was Schönes wäre, wenn man Graffiti zum Thema macht, weil das etwas mit Gestalten zu tun hat.

Gleichzeitig interessiert mich ein Transfer zwischen Universität und Gesellschaft. Mit Street Art, mit Kunst kann man ja auch etwas transportieren. Mein Wunsch war, das zu thematisieren – gemeinsam mit der Tatsache, dass die Studierenden etwas entwickeln. Und dann habe ich mich darum gekümmert, wie man diesen Wunsch umsetzen kann.

Am Anfang habe ich nur stark in Richtung Graffiti und Street Art mit Sprühen gedacht und habe mit Pone einen solchen Künstler gewinnen können. Dann haben wir aber festgestellt, dass bestimmte Ideen der Studierenden auch ganz gut zur Stencil-Technik passen, also zur Schablonentechnik. Da habe ich mit TTF einen Schablonenkünstler dazu geholt, der einen Workshop macht im Laufe des Seminars.

Was wollen Sie mit diesem Projekt erreichen?

Zum einen will ich einen Dialog zwischen den Studierenden und kreativen Menschen anstoßen, der die Studierenden anregt, aus der „Komfortzone“ heraus zu gehen, Neuland zu betreten, das sowohl kreativ ist, als auch Spaß macht und gleichzeitig die Studierenden ins Handeln bringt.

Dazu eignet sich Interdiszipinarität, gerade auch zwischen verschiedenen Forschungsdisziplinen, aber auch zwischen Künstler*innen, Musiker*innen, Literat*innen. Auch kreativ schaffende Menschen können einen Beitrag leisten, dass Studierende wiederum eine Veränderung ihres eigenen Möglichkeitsraums erfahren und feststellen, dass vielleicht manche Schritte, die vorher undenkbar waren, mit Hilfe gegangen werden können und damit in eine Weiterentwicklung reingehen.

Zum einen haben wir verschiedene Themengruppen: Nachhaltigkeit, Kreativität, Bildung. Das sind verschiedene Ideen, die auf dem Container stattfinden können und die wir noch mal abschließend diskutieren. Das ist ein Prozess, der stark durch die Studierenden getrieben wird. Es geht nicht darum, eine Idee zu verwirklichen, die ich hatte, sondern die zu verwirklichen, die die Studierenden haben.

Das zweite ist das Thema Transfer zwischen Universität und Gesellschaft, das mich seit vielen Jahren umtreibt. Ich engagiere mich dafür, dass mehr Transfer, mehr Dialog, zwischen Universität und Gesellschaft stattfindet. Die Möglichkeit, mit Street Art und Graffiti zu arbeiten, heißt, man hat ein Medium, bei dem wiederum die Studierenden in der Lage sind, den Dialog mit der Gesellschaft aufzugreifen. In der Vorbereitung des Projektes kann man andere Menschen fragen: „Was sollte bei der Gestaltung passieren?“.

Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, wenn man so eine Wandfläche dann gestaltet, dass etwas stattfinden kann, was die Gesellschaft wahrnimmt. Da kommen Radfahrer und Fußgänger vorbei und damit besteht die Möglichkeit, dass eine andere Art von Transfer zwischen Universität und Gesellschaft stattfindet, als das üblicherweise im Rahmen des Studiums der Fall ist.

Als Drittes engagiere ich mich für Kulturveränderung an der Universität dahingehend, dass mehr Kooperation, mehr Co-Creation stattfindet. Dass also interdisziplinär, aber auch zwischen Statusgruppen neue Zusammenarbeiten entstehen.

In dem Container, den wir gestalten, haben auch Studierende der Hydrologie einige Veranstaltungen. Ich habe auch sie eingeladen mitzumachen und es wurde ganz toll aufgegriffen. Wir machen jetzt ein gemischtes Projekt, an dem zwölf Studierende von mir und knapp zehn Studierende von den Hydrologen plus zwei Profs teilnehmen. Ich mache da auch mit.

Auch hier findet also ein Austausch statt. Sprich, es gibt nicht eine Wandgestaltung nur von wirtschaftswissenschaftlichen Studierenden, sondern es sind Ideen aus zwei Fachrichtungen drin. Wir haben auch gemeinsame Graffiti- und Stencil-Workshops gemacht. Das ist die interne Ebene, auf der neue Formen der Zusammenarbeit gedacht werden und bestehende Grenzen freundlich ignoriert und zu was kreativem Neuem übergangen werden.

Sie haben sich den „Blauen Container“ an der Stefan-Meier-Straße für Ihr Projekt ausgesucht. Wieso? 

Ich hatte bei der Bau- und Entwicklungsleitung angefragt, welches Gebäude man nehmen darf, und der „Blaue Container“ war ein Vorschlag, den ich sofort prima fand, weil viele Leute daran vorbei gehen.

Die meisten Gebäude, in denen Universitätsveranstaltungen stattfinden, gehören gar nicht der Universität, sondern dem Land. Das heißt, da darf man gar nicht ran, beziehungsweise da muss man die Landesbehörde und die Stadt fragen. Die Stadt ist eher rigide bei Flächen, die für Street Art und Graffiti zur Verfügung gestellt werden.

Vor der Gestaltung des Containers haben wir eine Umfrage gemacht und schauen jetzt, wie das Gebäude vor dem Projekt wahrgenommen wurde und wie es später wahrgenommen wird. Das ist ein Teil des Projekts, das die Studierenden dann beforschen. Wie verändert sich der Social Impact, der an dieser Stelle stattfindet? Wie verändert sich die Wahrnehmung der Kreativität, die in der Uni stattfindet?

Nach welchen Kriterien haben Sie die Street Art-Künstler, die Sie bei Ihrem Projekt unterstützen, ausgewählt?

Es sollten lokale Künstler sein, damit der Dialog mit Leuten vor Ort stattfindet, die sowohl Freiburg kennen als auch greifbar sind für die Studierenden, die Lust haben, so einen Austausch zu machen.

Die positiven Rückläufe, die ich auf meine Anfragen hatte, zeigen, dass sich diese Leute auch für den Dialog mit der Uni interessieren. Diese umgekehrte Offenheit hilft eben auch, dass man in einen Austausch-Prozess kommt, der dann für so eine Gestaltung schön ist.

Bei so vielen kreativen Köpfen entstanden bestimmt einige Ideen zur Umsetzung des Projekts. Wie haben Sie sich auf das schlussendliche Motiv festgelegt? Oder entschied sich das erst direkt an der Wand?

Wir haben ja zwei Techniken verwendet. Wenn man mit Schablonen-Technik arbeitet, muss die Entscheidung schon vorher fallen und die Schablone schon vorher angefertigt werden. Beim Graffiti erstellt man vorab lediglich eine Skizze. Die Motive, die an die Wand kommen werden, haben wir vorher mit den Studierenden zusammen entwickelt. Bestimmte Prozesse müssen vorab geklärt sein, auch mit den Experten.

Wir haben Workshops mit einem Stencil-Künstler angeboten, der die Schablonen-Technik sehr gut kann, und mit einem Graffiti-Künstler der seit vielen Jahren hier in Freiburg aktiv ist.

Wir haben mit den Studierenden aber auch Workshops und Stadtführungen zum Thema Graffiti gemacht, damit die das Thema schon mal kennenlernen und auch Fragen erörtern wie: Was macht Graffiti in der Stadt? Wie beeinflusst eine Stadt Graffiti, beziehungsweise wie beeinflusst Graffiti eine Stadt? Dazu können die Künstler*innen viel besser etwas erzählen als ich.

Wie meistert man die Herausforderung, Laien und Expertinnen und Experten für Street Art unter einen Hut zu bekommen?

Die Grunddialogbereitschaft und das Interesse war bei allen da. Das heißt, es war sehr unproblematisch, das unter einen Hut zu bringen, zumindest mit den Street Art-Künstlern und den Graffiti-Künstlern, die wir mit einbezogen haben.

Bestimmte Herausforderungen kommen in einem solchen Projekt erst, wenn man an die Umsetzung geht. Aber diese liegen nicht im Dialog zwischen den Gruppierungen, sondern eher bei der Frage: Welche Ideen kann man jetzt wie tatsächlich realisieren?

Könnten Sie sich vorstellen, in Zukunft auch weitere Fassaden von Universitätsgebäuden zu gestalten?

Auf jeden Fall! Im Sinne von Entrepreneurship Education und Forschung, die wir am Lehrstuhl machen, befassen wir uns damit, wie man so ein Entrepreneural Mindset greifen kann. Sowohl bei den Studierenden, als auch in der Organisation.
 

Vom Container zur bunten Wand

 
 
Welche Erfahrungen die Teilnehmer*innen des Seminars gemacht haben, seht ihr im Video StreetArt meets Uni.

Fotos: Tatjana Wihlenda
Veröffentlicht am 9. August 2019

Empfohlene Artikel