Zuhause in zwei Welten

Zuhause in zwei Welten

Was ist das Zeichen für „taub“ in der Gebärdensprache? Gibt es in der Gebärdensprache auch regionale Dialekte? Den Fragen von Moderator Gottfried Haufe stellte sich Zrinka Bebic, eine taube Freiburgerin, am 23. Oktober in der Archäologischen Sammlung. Die Veranstaltung wird am 30. Oktober 2019 im Kulturaggregat und am 19. November 2019 im Strandcafé, jeweils um 20 Uhr, wiederholt.

Zrinka Bebic erzählt mit zwei Dolmetscherinnen aus ihrem Leben, über die Gebärdensprache und über das Lippenlesen.

„Ich bin taub geboren“, erklärt Zrinka – umgeben von griechischen und römischen Statuen. Die Kommunikation mit ihren Eltern war nicht immer einfach, denn diese waren beide hörend und hatten keine Zeit, Gebärdensprache zu lernen. Zrinka, die heute kommunalpolitisch sehr aktiv ist, erzählt in der Archäologischen Sammlung im Herderbau davon, wie es ist, in einer Welt ohne Töne zu leben. Die Stuhlreihen sind gut besetzt, einige der Anwesenden scheinen zumindest einige Zeichen der Gebärdensprache zu verstehen.

Die Veranstaltung wird gleich doppelt gedolmetscht: Ilse Thomas übersetzt die Fragen des Moderators Gottfried Haufe und des Publikums für Zrinka in die Gebärdensprache, und Bea Blumrich übersetzt Zrinkas Gebärden für Hörende. Es entstehen nur kurze Pausen durch die Übersetzung – denn Gebärdensprache ist effizienter als gesprochenes Deutsch. Während Zrinka oft bereits ihren Satz beendet hat und einen Schluck Wasser trinkt, ist Bea noch mitten in der Übersetzung.

„Vor allem für Kinder ist beim Lippenlesen die Mimik entscheidend.“ Denn Lippenlesen ist nicht so leicht und unmissverständlich, wie das oft dargestellt wird. Ähnliche Wörter – Mutter und Butter zum Beispiel, ein Bart, der einen Teil des Mundes verdeckt oder eingeschränkter Sichtkontakt machen es oft schwer, sich komplett auf das Lippenlesen zu verlassen. Nur 30 Prozent des Gesagten können über Lippenlesen verstanden werden. „Wenn ich nochmal nachgehakt habe, wurde ich oft mit: ‚Ach, das war nicht so wichtig‘, abgewiesen.“

Die Idee für die Veranstaltung stammt von Zrinka Bebic selbst. Sie machte sich zusammen mit Gottfried Haufe an die Konzeption. Mit der Stabsstelle für Inklusion der Stadt und der Stabsstelle Gender and Diversity der Uni Freiburg wurden der Veranstaltungsort in der Archäologischen Sammlung gefunden und auch die Dolmetscherinnen finanziert. Der Wunsch der Stabstelle Gender and Diversity ist es, Unterschiede sichtbar, hörbar und erlebbar zu machen und in den Vordergrund zu stellen, was Menschen verbindet.

Eine Herausforderung für das Publikum stellt die Geschichte dar, die Zrinka ohne Übersetzung erzählt. „Irgendwann kamen Turbulenzen und das Flugzeug ist abgestürzt,“ wird aus dem Publikum interpretiert. „Du standest auf einer hohen Brücke,“ ein anderer Vorschlag. Naja fast. Einige Gebärden sind leichter zu erkennen als andere: Das Känguru zum Beispiel, dem Zrinka auf ihrer Reise begegnete, kann man durchaus erraten. Außerdem lernen wir, dass das Zeichen für Deutschland – ein an die Stirn gelegter ausgestreckter Zeigefinger, der nach oben deutet – von der Pickelhaube herstammt.

Zum Schluss betont Zrinka nochmals, wie wichtig die Gebärdensprache ist. Zwar können Hörschnecken-Implantate auch eine große Hilfe für viele sein, sie können aber auch kaputt oder verloren gehen. „Die Hörenden sagen immer, es ist schwer, die Gebärdensprache zu lernen. Dabei ist das gar nicht so,“ sagt Zrinka. 1880 war auf dem Mailänder Kongress beschlossen worden, dass die Gebärdensprache im Unterricht verboten werden solle. Erst 2010 gab es eine öffentliche Entschuldigung für dieses Verbot, welches inzwischen gemeinhin als schädigend gesehen wird. Im Alltag, so schätzt Zrinka, stößt sie noch immer in 80% der Fälle auf Barrieren. „Viele denken, Zrinka kann ja gut ablesen und artikulieren, da müssen wir das nicht lernen. Aber wenn jemand ein bisschen Gebärdensprache lernen würde, könnten wir uns sehr gut ergänzen.“

Info

Mehr Infos findet ihr auf den Facebook-Seiten für die Veranstaltungen am 30.10.2019 und am 19.11.2019. Die beiden Termine sind Wiederholungen der hier thematisierten Veranstaltung.

Foto: Hannah Sill
Veröffentlicht am 29. Oktober 2019

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