Zirkus? Avantgarde? Goldies!

Zirkus? Avantgarde? Goldies!

Seit nun mehr 35 Jahren stellen Die Goldenen Zitronen schon das linke politische Gewissen der Hamburger Schule dar. Mit ihrem inzwischen 13. Album, More Than A Feeling im Gepäck, gastierte die Band aus der Hansestadt am Donnerstagabend im Café Atlantik.

Nach 5 Jahren Abwesenheit beehrten Die Goldenen Zitronen, oder „Goldies“, wie sie sich den ganzen Abend nannten, Freiburg wieder mit einem Konzert. Was auffällt ist die Wahl ihrer Konzertlocation. Nach Auftritten im Theater 2009 und im Schmitz Katze 2014 spielten sie nun also im Café Atlantic, einer engen und für ihre intensiven und exzessiven Punkshows bekannten Club-Institution Freiburgs. Sollte alleine die Wahl des Ortes ein Hinweis darauf sein, dass sich Die Goldenen Zitronen wieder mehr auf ihre Frühphase als Punkband besinnen wollen? Weniger Art-Pop und mehr Totschlag?

Als die Zitronen nach einer kurzen Umbaupause die Bühne betreten ist das Atlantik bis auf den letzten Quadratzentimeter gefüllt. Das Publikum ist angenehm divers, das einende Element scheint zu sein, dass jede Person im Publikum mal eine Punk-Phase hatte, beziehungsweise immer noch drinsteckt. Neben Mittvierzigern in ihren letzten Punkshirts, die noch im Schrank lagen, stehen Mittzwanziger in Springerstiefeln. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es zwischen diesen Gruppen immer wieder zu kleineren Konflikten kommt, weil die Punks zu sehr pogen und die älteren Leute eher zuschauen möchten.

Organisiertes Chaos als Stimulanz

Die Zitronen geben sich gänzlich unbeeindruckt von der Enge und der Hitze des Atlantik. Die Band um Schorsch Kamerun und Ted Gaier spielt größtenteils Songs aus ihrem aktuellen Album More Than A Feeling. Was etwas betroffen macht, ist, dass Sänger Schorsch Kamerun einen Notenständer mit seinen Texten auf der Bühne dabei hat. Als dieser ausgerechnet bei einem älteren Song umfällt ist Kamerun tatsächlich textlich total aufgeschmissen. Dass das Publikum mehrheitlich textsicherer ist als der Sänger einer seit 35 Jahren existierenden Band ist eine Seltenheit.

Ansonsten lassen die Zitronen musikalisch aber nichts anbrennen. Dass viele der Bandmitglieder Multiinstrumentalisten sind, sorgt für eine angenehme Fluktuation und viel Bewegung auf der Bühne. Allgemein trägt die Band vieler ihrer Tracks mit einer gewissen künstlerischen Freiheit vor. Diese, teils jam-artige Atmosphäre, kombiniert mit Outfits, die auch dem Sun Ra-Arkestra gut zu Gesicht stehen würden, bringt eine wilde Energie ins Atlantik. Gönner würden den Auftritt der Band Avantgardistisch nennen, Hater ihn Zirkus. Die Wahrheit liegt in der Mitte.

Es ist keine Frage, die Goldenen Zitronen sind 2019 nicht die selben wie 1984 oder 2006. Sie sind alt geworden. Dabei haben sie es aber geschafft, ihre Schaffensphasen soweit live miteinander zu harmonisieren, dass erstaunlicherweise alle Spaß haben! So schaffen es Die Goldenen Zitronen, die die Bühne erst nach mehreren Zugaben endgültig verlassen dürfen, auch 2019 noch relevanter zu sein, als die meisten Bands, die 35 Jahre nach ihrem Debüt noch auf Tour sind.

Foto: Maximilian Heß
Veröffentlicht am 4. Oktober 2019

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