FREM: Die Maschine hinter der Kamera

FREM: Die Maschine hinter der Kamera

Die experimentelle Doku FREM versucht die Antarktis aus Sicht einer Künstlichen Intelligenz zu zeigen. Die Regisseurin Viera Čákanyová erklärt im Interview, warum uns nicht-menschliche Blicke eine neue Perspektive auf den Planeten und die Menschheit geben können.

Der Film läuft in der Sektion Berlinale Forum, die dieses Jahr 50-jähriges Jubiläum feiert. Beim Forum geht es vor allem um unabhängiges und experimentierfreudiges Kino.

Interview mit Viera Čákanyová, Regisseurin der Dokumentation “FREM”

Antarktisches Atmen

Am 3. Tag verlasse ich erstmals den Berlinale-Kosmos am Potsdamer Platz. Mit den Tickets für den tschechisch-slowakischen Film FREM geht es zum Delphi Filmpalast am Zoo.

Der Delphi Filmpalast am Zoo

Der Delphi Filmpalast am Zoo

Vereiste Landschaften. Tiefe Gewässer. Ein Wechsel zwischen Weiß und Blau. Außerdem überall dunkelgraue Bergspitzen. Man hört es, das Knacken des Eises, das Rauschen des Meeres, das Kommunizieren der Pinguine und Robben und das Schwimmen der Wale. Alles klingt verzerrt, manchmal auch übereinander gelagert, oder als würde ein Plattenspieler rückwärts laufen. Und irgendetwas atmet schwermütig, wie ein Mensch, der eine Sauerstoffmaske trägt. Dann taucht plötzlich immer wieder ein insektenartiges Geräusch auf.

Die kriselnde, hämmernde und deformierte Geräuschkulisse und die teilweise sehr rauen Bewegungen der Kamera lassen mich erschaudern. Mein Herz klopft und ich merke, wie ich mich vor Anspannung in meinen Sitz grabe. Es ist komisch, weil es keine wirkliche Handlung gibt, die die Spannung steigern könnte. Und trotzdem packen mich die 73-minütigen Aufnahmen von menschenleeren Landschaften fernab jeglicher Zivilisation. Vielleicht gerade deshalb, weil ich die Situation im Film im starken Kontrast zu den Menschentrauben in der Millionenstadt Berlin erlebe. Es ist angenehm, die Ruhe der Landschaft in sich aufzunehmen, aber gleichzeitig fühle ich mich bedrängt und unwohl durch die bizarren Geräusche der Natur und das seltsame schwere Atmen.

Bei anderen Kinobesuchenden scheinen die fast schon ekstasenartigen Effekte das Gegenteil zu bewirken: Nach einem Viertel des Films verlassen Personen alle fünf bis zehn Minuten fluchtartig den Raum. Ich frage mich, warum sie das tun. Falls sie nach dem einen Anthropos gesucht haben, der dem Film eine für uns gewohnte menschliche Perspektive verleiht, dann hätten sie bis zum Ende bleiben sollen. Aber sie wären enttäuscht gewesen. Ein nackter, einsamer Mensch, der im Eiswasser badet und durch den Schnee stapft. Die Kamera zeigt ihn in einer Distanz, die es kaum möglich macht, seine Emotionen zu erkennen. Er ist da, aber er wirkt nicht lebendig. Irgendwann liegt der Mensch im Schnee und verschwindet. Der Schnee aber bleibt.

Die experimentelle Doku FREM der Regisseurin Viera Čákanyová

Die Regisseurin Viera Čákanyová kommt nach dem Abspann des Films auf die Bühne und freut sich, dass doch noch so viele Leute im Kinosaal geblieben sind. Sie sagt, dass der Film nicht für jedes Auge funktioniere. Er sei ein Experiment, das Raum für komplett eigene Interpretationen lasse: „It is the perspective of some post-human observer“. Auf die Frage aus dem Publikum, wieso der Film in der Antarktis gedreht wurde und nicht in der Wüste, antwortet Čákanyová: „You can really see climate change happening there and how it is transforming the environment.“

► Alle Beiträge zur Themenwoche Berlinale 2020

Fotos: Valentina Keller und Paul Stümke
Veröffentlicht am 23. Februar 2020

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