Was wir vermissen

Was wir vermissen

Durch den Corona-Lockdown haben wir Freiheiten sehr zu schätzen gelernt. Die zunehmenden Lockerungen ermöglichen das Ausleben der ein oder anderen Freiheit wieder, doch einige Beschränkungen werden wir wohl noch aushalten müssen. uniCROSS-Redaktionsmitglieder erzählen, was sie vermissen, auf was sie sich freuen und was sie noch kritisch sehen.

Long time no sea

Hinter uns liegen kuriose Wochen. Wir mussten wohltuende Sonnenstrahlen durch kalte Schreibtischlampen ersetzen. Unser erfrischendes Bierchen an der Dreisam wurde zum wachhaltenden Kaffee in den eigenen vier Wänden. Das gemeinsame Grillen am See musste der einsamen Lieferbestellung direkt vor die Wohnungstür weichen. Die Freiburger Seenachmittage – einfach ersetzt durch das Home-Office.

Wir hatten Zeit um uns von Zeitschriften, TV-Sendungen und Influencern beraten zu lassen, wie man seine Hobbies coronagerecht abwandelt. Doch so kreativ ich bei der Indoor-Freizeitbeschäftigung auch war, die Fotos über meinem Schreibtisch erinnern mich an andere Tage.

An eine Zeit, in der ich mich am See schnell um den besten Halbschattenplatz bemühte, um gemütlich Leuten beim Kanufahren zuzuschauen. Gerade rechtzeitig, um meine Freunde mit ihren Drahteseln und einem Sixpack Lieblingsbier unter’m Arm zu empfangen. Mein Bikini war mein All-Day-Look und es war kein Ende in Sicht.

Heute ist unser Look zum Schutz anderer wesentlich bedeckter. Anstatt unserer Bademode ist die Maske der treue Tagesbegleiter und damit ein bedeutsamer Teil der Lockerungen. Behutsam, aber zielbewusst, werden die Coronaregelungen Stück für Stück aufgelöst. Nach jeder kleinen Lockerung freue ich mich auf eine Zeit nach dem ‚bösen C‘.

Dann, wenn ich bis zum Sonnenuntergang im Seewasser plantschen kann und meinen Grill mit mehr als nur einem weiteren Haushalt teilen darf. Wir könnten guten Gewissens unsere Schutzmasken abnehmen, uns herzlich umarmen, dürften aus derselben Bierflasche trinken und nach dem letzten Schluck zu zwanzigst ins kühle Nass springen. Freiburger Seenachmittage – sie wären wieder da.

Larissa Wallenreiter

Maskenpflicht

Lächeln ist ansteckend. Andere Menschen lachen zu sehen, regt uns an „unfreiwillig“ mitzulachen. Momentan wird das jedoch durch die Maskenpflicht verhindert. Sowohl unsere nonverbale als auch verbale Kommunikation wird dadurch eingeschränkt. Ein Großteil unseres Gesichts ist durch die Maske verdeckt, ein großer Teil unserer Mimik verschwindet einfach.

Den emotionalen Standpunkt des Gegenübers zu erfassen, wird erschwert. Und auch, wenn das auf den ersten Blick als nicht allzu einschränkend erscheint, da man die Masken ja nur im Supermarkt und im Bus tragen muss, verändert es trotzdem etwas. Besonders wer im Einzelhandel arbeitet, in essentiellen Berufen oder ehrenamtlich aushilft, wird diesen Effekt zu spüren bekommen.

Zudem wird auch unsere verbale Kommunikation eingeschränkt. Die Stoffschicht vor unserem Mund dämpft und verzerrt die Worte. Lippenlesen, worauf selbst Menschen mit gutem Gehör unbewusst ein klein wenig zurückgreifen, wird komplett unmöglich. Oft muss man sich mehrfach wiederholen, bis beide Seiten das Gesagte verstanden haben und Missverständnisse entstehen leichter. Hinzu kommt das physische Unbehagen beim Tragen. Unter der Maske ist es heiß. Der Gummi zieht hinter den Ohren. Das Atmen wird erschwert.

Persönlich freue ich mich schon darauf, auf diese verzichten zu dürfen. Dies wird jedoch wahrscheinlich eine der letzten Lockerungen der Coronamaßnahmen sein und noch eine ganze Weile dauern. Zu Recht! Es ist wichtig, dass andere Maßnahmen jetzt sehr viel weiter oben auf unserer Prioritätenliste stehen. Bis Corona wirklich vorbei ist, werde ich daher auch weiterhin mit meiner bunten, selbstgenähten Maske einkaufen gehen und mich der farbenfrohen, gemusterten Gesichtsbedeckung der anderen erfreuen.

Zoe Rauch

Von Wurzeln und Gleisen

“Warum in die Ferne streifen, wenn das Gute liegt so nah?” Einem gesellschaftlichen Kollektiv folgend, genießen viele Menschen momentan in ihrer Heimat die Freizeit, anstatt in den Zug zu steigen. Das scheint doch auch für alle machbar. Was aber, wenn “Ferne” nicht für alle das Gleiche bedeutet?

“Du bist ja auch entwurzelt!”, meint meine Freundin, als wir das Thema Heimat streifen, während wir uns einer Geröllsteigung stellen. Wir befinden uns auf einer Wanderung Richtung Schluchsee. Ein bisschen beneide ich sie um die Tatsache, in dieser wundervollen Landschaft daheim zu sein.

Heimat ist nicht für jede*n ein klar definierbarer Ort. Für mich wären es wohl ohnehin eher Orte. Stuttgart, München, Berlin. Allesamt Stationen in meinem Leben, wie auch auf Fahrplänen der Deutschen Bahn. Sechs Wochen sind meist die magische Grenze, dann zieht es mich wieder mal weg von Freiburg. Ich habe nichts gegen lange Wegstrecken. Ich liebe Bahnhöfe. Vielleicht fühle ich hier “Heimat” sogar am ehesten, mit einem Fuß im ICE.

Wir wandern weiter. Mit unserer heutigen Freizeitgestaltung liegen wir voll im Trend. Es gleicht einem gesellschaftlichen Bekenntnis zu sozialpolitischen Maßnahmen der letzten Zeit: Zu Hause bleiben und das Umland entdecken sind in Mode. Das zeigen auch aktuelle Statistiken. Ein bisschen überrascht war ich trotzdem, auch im eigenen Freundeskreis Gegenwind zu spüren, wenn ich meine Reisepläne kundtat. Unterschwellig, aber doch da: verhalten geteilte Freude, Blicke oder die direkte Frage „Ist denn was Besonderes, dass du fährst?“

Ich denke an die archivierten Bahntickets in meiner DB-App. Und komme mir ein bisschen kriminell vor. Entwurzelt sein ist in Corona Zeiten so anstrengend wie nie. Ich kann es kaum erwarten, mich wieder ohne schlechtes Gewissen über Sparpreise und meine BahnCard zu freuen.

Die klare, süße Luft holt mich in den Moment zurück, als sie mit einer Note von warmem Fichtenharz meine Nase streift, die hier draußen – ohne Mund-Nasen-Schutz – die Freiheit genießt.

Komisch, denke ich mir insgeheim, dass ich sie ganz neu zu schätzen weiß, jetzt wo sie manchmal eingeschränkt ist.

Julia Prinzen

Eingeschränkte Geselligkeit

Die gesellige Atmosphäre des Kastaniengartens erleben wir dieses Jahr nicht wie gewohnt. Auch nicht, dicht gepackt mit gefühlt halb Freiburg am Opfinger See zu liegen. Dennoch bin ich dankbar für das reduzierte Beisammensein mit meinen vier engsten Freund*innen nach den Lockerungen, für die Geselligkeit in kleiner Runde.  Wieso?

Der Lockdown ab Mitte März hat vom einen auf den anderen Tag gezeigt: Vieles so scheinbar Selbstverständliches ist es eigentlich nicht. Die digitalen Kontaktmöglichkeiten ermöglichten es, Menschen, sofern die Technik vorhanden war, zumindest zu sehen. Das gemeinsame Bier mit mehreren Freund*innen an der Dreisam oder die lebendige Atmosphäre an einem warmen Abend auf dem Platz der alten Synagoge konnten sie dennoch nicht ersetzen.

Präsenter schien mir immer mehr die Gefahr, die in solchen Veranstaltungen lag und auch für lange Zeit liegen wird. Dazu wuchs auch das Bewusstsein der ungleichen gesellschaftlichen Betroffenheit durch die Krise. Für Alleinerziehende, Kinder und Menschen mit Kindern im KiTa- und Schulalter ist das Zuhausebleiben eine noch massivere Belastung, für Menschen in gewaltvollen Beziehungen eine Gefahr. Vielfach erleben jene, die in systemrelevanten Tätigkeiten arbeiten oder in Flüchtlingsunterkünften Social Distancing als ein Privileg. Angesichts dessen ist der Wunsch nach einem randvollen Biergarten oder einer dicht gedrängten WG-Party für mich illusorisch und nicht vertretbar.

So sprichwörtlich die kleinen Freuden das Leben ausmachen, so sehr trifft dies auf die erlaubten kleinen und begrenzten Zusammenkünfte nach den Lockerungen zu. Und so freue ich mich auf das, was ich mit diesen kleinen Runden habe. Nämlich das gerade Wichtigste in meinem Leben.

Christoph Hardt

Kein Grund zur Freude

Kaffee trinken gehen. Bei Freund*innen zu Hause frühstücken. Vor Kneipen mit Fremden quatschen. Meine Freund*innen umarmen. Diese Dinge gehörten vor vier Monaten noch zum normalen Alltag, jetzt erscheinen sie mir traumhaft schön bis komplett absurd.

Mittlerweile werden die Corona-Maßnahmen zur Eindämmung des Virus immer weiter gelockert.

Am Vatertag liefen saufende Männertrupps ohne Abstand durch die Straßen, die Innenstädte sind proppenvoll, und in den meisten Bundesländern sind private Feiern bald oder auch jetzt schon wieder erlaubt. Abgesehen von den Masken, die in öffentlichen Verkehrsmitteln und Supermärkten getragen werden, könnte man fast meinen, es gäbe auf einmal keine Pandemie mehr.

Natürlich sind die Lockerungen für einige Menschen dringend notwendig und eine große Entlastung (beispielsweise für Menschen, die zu Hause Gewalt erfahren, für Menschen mit Kindern oder mit psychischen Erkrankungen).

Als Studierende bin ich privilegiert. Ich habe keinen systemrelevanten Job, im Gegensatz zu anderen Menschen ist es für mich sehr einfach, Abstand zu halten und zu Hause zu bleiben. Das einzige, was von mir erwartet wird, ist, keine riesigen Partys zu feiern und mich nicht zusammen mit mehreren Menschen durch die engen Straßen zu drücken. Nur, weil das wieder erlaubt ist, bedeutet das aber nicht, dass es vernünftig oder solidarisch ist.

Die Lockerungen sind für mich kein Grund zur Freude. Ich habe Angst vor der zweiten Welle, die kommen wird, wenn die Menschen weiterhin so tun, als wäre Corona vorbei.

Für mich ändern die Lockerungen nichts. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich noch sehr lange in Quasi-Quarantäne leben und meine Freund*innen höchstens draußen mit anderthalb Metern Abstand sehen werde. In ein Café oder meinen Ansatz färben lassen zu gehen würde sich anfühlen, als würde ich mich selbst belügen.

Emma Rotermund

Fotos: Larissa Wallenreiter (See), Zoe Rauch (Masken), Julia Prinzen (Zug),Christoph Hardt (Biergarten),
Emma Rotermund (Zuhause).
Veröffentlicht am 5. Juni 2020

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