uniFM Halbjahres-Charts: Die Sterne vs. BLOND

uniFM Halbjahres-Charts: Die Sterne vs. BLOND

Das einzig Gute an 2020 ist die Musik. Um die besten Platten des bisherigen Jahres zu würdigen, stellen Redakteur*innen zwei ihrer Alben des Halbjahres gegenüber und müssen sich für eines entscheiden. Heute: Maximilian Heß und die Frage, welche Relevanz Alter im Deutschpop hat.

Deutschpop ist dominiert von Alter. Gruppen wie Tocotronic, Blumfeld oder die hier besprochenen Die Sterne finden auch mit ihrer 25. Wiederveröffentlichung des Debüts genug Kritiker, die Lobeshymnen anstimmen und sich die Platte (originalverpackt) ins eigene Regal stellen. Newcomer haben es da oft schwerer– auch wenn sie aus einem etablierten Umfeld stammen wie das Projekt Blond, hinter dem sich die Schwestern der Brummer-Brüder von Kraftklub verbergen. Aber ist das 12. Album von einer Band wie Die Sterne automatisch besser als das Debüt von einer Band wie BLOND?

BLOND liefern mit Martini Sprite ein vor Energie und Ideen übersprudelndes Debütalbum ab. Das Trio um Nina und Lotta Brummer orientiert sich musikalisch dabei eindeutig an den “großen Brüdern” von Kraftklub, lässt aber deren angestaubte Hives-Attitüde außen vor. Ihr Sound ist alles in allem geradliniger und schielt soundtechnisch weniger Richtung Rock-Am-Ring-Mainstage. Sei es der Brecher “Thorsten” oder das basslastige “Las Vegas Glamour”, das mit seinem Upbeat-Refrain allerdings unangenehm an karierte VANS-Schuhe erinnert – BLOND verbinden die frühen Zweitausender mit der Gegenwart. Für all jene, die den Tod des Indie-Rock herbeisehnen, mag das eine schlechte Nachricht sein.

Was das BLOND-Album überhaupt erwähnenswert macht, ist die Auswahl und Vielfalt der diskutierten Themen. Sei es Menstruation, der überraschend ungeile Alltag auf Tour, der Umgang mit Mansplainern – BLOND haben absolut keine Angst, über Dinge zu singen, die sonst leider kaum im Deutschpop-Diskurs vorkommen. Hier stoßen Blond in eine Lücke, die sich zu erforschen lohnen würde.

Ganz anders gestaltet sich die Situation bei Die Sterne. Die reißen sich mit ihrem 12. Album Die Sterne wahrlich kein Bein aus. Die Platte tröpfelt mit einer fast schon meditativ anmutenden Lakonie und Trägheit vor sich hin. Musikalisch ist der Einfluss der Düsseldorf Düsterboys und des Kaiser Quartetts, die viele Instrumentals beisteuern, kaum zu überhören. Der Sound des Albums ist unaufgeregt und tut das, was man als geneigter Sterne-Fan erwartet: Er bietet ein Fundament für die Ausführungen von Frank Spilker.

Als das Album veröffentlicht wurde, kriegten sich viele Rezensent*innen vor Freude kaum mehr ein: Der Pop-Poet Spilker ist zurück! Songs wie “Das Elend kommt (nicht)” sollten Zeugnis darüber ablegen, wie aktuell und relevant die Platte sei. Es geht um die Gesellschaft, um Deutschland, um die Moderne. Das Problem ist leider, das Spilker anscheinend eine ähnliche Entwicklung durchmacht wie sein Kollege Dirk Von Lotzow (Tocotronic). Genau wie die Fans von Die Sterne ist auch Spilker dem ursprünglichen Milieu der Band entwachsen. Seine Texte entwickeln sich immer mehr zum letztlich erfolglosen Versuch, den Sound und die Idee von Die Sterne mit seiner Form von zeitgenössischer Lyrik zu verbinden. Dabei will er Lee Ranaldo sein und ist letztendlich aber nur Mos Def.

Würde man aus den Platten Erkenntnisse über jung und alt im Deutschpop ableiten wollen, wären es wohl folgende: Die Jugend traut sich insbesondere textlich Dinge, und begibt sich dabei doch immer in Gefahr, die künstlerische Radikalität, die nötig wäre, um relevant zu werden, nicht aufbringen zu wollen. Andererseits scheint langfristiger Erfolg und Bauchpinselei vom Feuilleton älteren Deutschpop-Granden eine gewisse lyrische Hybris zu bescheren, die ihre Alben heute mehr zu Sammlerobjekten für Kolleg*innen machen als zu relevanten Platten.

BLOND werden ihren Weg gehen. Ihr Sound ist sowohl breiten- als auch kritiker*innen-tauglich und ihre Energie wird ihnen den Weg auf die große Bühne ebnen. An der Wahrnehmung der Sterne ändert deren aktueller Release eh nichts. Im Zweifel entscheidet hier der Inhalt. Jede Platte, die, wenngleich musikalisch abgedroschen – mit radikaler Offenheit über schwierige und neue Themen spricht, ist besser als das selbstreferenzielle Spätwerk einstiger Deutschpop-Pioniere.

von Maximilian Heß

 

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Veröffentlicht am 20. Juli 2020

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