Album der Woche: Mildlife – Automatic

Album der Woche: Mildlife – Automatic

Melbournes kosmisches Kraut-Jazz-Quartett Mildlife sollten mit ihrer neuen Scheibe Automatic eigentlich gerade die Tanzflächen der Welt erobern. Stattdessen werden während des Lockdowns wohl erstmal virtuelle Räume bespielt. Ihre Musik liefert dazu einen überraschend passenden Soundtrack.

Ganz in der Tradition ihres viel gefeierten Debut Albums Phase liefern die vier Vintage-Nerds auch auf Automatic wieder eingängige Tanzgrooves im 70er Jahre Disco Dress mit weit ausladenden Solo-Passagen. Dabei verfeinern sie ihre Rezeptur und gehen noch konsequenter in Richtung psychedelisch-grooviger Tanzmusik. Wer hier Referenzen zu den Krautrock-Legenden Can, zu Pink Floyd oder Chic’s euphorischem Funk ziehen will, kann das gerne tun. In der liebevollen Manier achtsamer Restauratoren dekonstruieren die Australier ihre musikalischen Einflüsse und setzen sie zu diszipliniert ausufernden Songs wieder zusammen. Ihr Sound zwischen atmosphärischen Synthie Flächen, geradlinigen Four-to-the-Floors, verspielten Gitarrenriffs und Querflöten Soli sucht dabei seinesgleichen.

„Eyes fixed far ahead, horizon never met“ tönt es auf dem ersten Song „Rare Air“ von Keyboarder und Sänger Kevin McDowell nach einem extensiven Fade In – und tatsächlich fühlt es sich wie der Start einer großen Reise ins Unerreichbare an. Synthesizer Arpeggios und Flöten-Soli steigern sich in Ekstase. Der darauffolgende Song „Vapour“ mit seinem erdigen Rhythmus bringt uns wieder auf den Boden. Hier dominieren Drums und Bass weit im Vordergrund den Groove. Die Flötenbrüche von Adam Halliwell verleihen dem Track ein tribales, fast amazonisches Gefühl. Während eine Roboter-Stimme singt „You get what you wanted, you get all you needed“ – mein wippender Kopf gibt ihm Recht.

Zur Albummitte hin verlieren die Songs etwas an Tempo und wir finden uns in Mike Oldfields Echo-Kammern der Zukunft wieder. Impressionistische Synth Flächen und tragender Gesang strukturieren den Song „Citations“. Man stellt sich vor, hier kommt das Publikum in Live Situationen zur Ruhe. Dem Gesang fällt nun eine bedeutendere Rolle zu. Ganz entgegen ihres Debuts nimmt dieser nicht mehr nur eine rein dekorative Rolle ein, sondern schnürt das Album unter dem subtilen thematischen Faden der Technologiekritik zusammen. Nicht dass, die vier hier fundiert etwas zum philosophischen Diskurs beitragen wollen, vielmehr haben sich viele ihrer Fragen im Albumprozess ganz organisch ergeben, wie sie dem Musikmagazin NME berichten.

Mit dem Titelsong „Automatic“ schließt die Combo abschließend noch einmal in einem meditativen Acid-House Groove an die ersten Songs des Albums an und vollendet in Form dieses Destillats ihre kosmische Reise.

Mildlife haben es geschafft ein weiteres großartiges Album in die Welt zu setzen, das in gleicher Weise konsistent wie abwechslungsreich klingt und vor Ideenreichtum nur so übersprudelt. Ihr charmant immer leicht zurückhaltender Stil lädt dabei ebenso zum staunenden Zuhören wie auch zum ekstatischen Tanzen ein. Wollen wir hoffen, dass Zweiteres bald wieder während ihren Live Konzerten möglich sein wird!

von Joel Beierer

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Veröffentlicht am 22. September 2020

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