Disarstar sagt mit seinem neuen Album „Hamburger Aufstand“ der Selbstgefälligkeit eines kaputten gesellschaftlichen Systems den Kampf an. Im Interview spricht er über seinen Kunststil und die politische Dimension seiner Musik.
Deine Texte zeigen schonungslos die Realität von Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Kann man in deiner Musik trotzdem so etwas wie Trost finden?
Ich glaube schon. Ich finde, dass eine realistische Auseinandersetzung mit der Welt am Ende des Tages das Einzige ist, das auch eine Verbesserung herbeiführen kann, worin dann auch wieder Trost und Hoffnung sein kann. Darüber hinaus ist, glaube ich, Trost darin, sich nicht alleine zu fühlen und sich vielleicht verstanden zu fühlen. Und mich tröstet meine eigene Musik ja sowieso – ich mein, ich schreib‘ sie. Jedes Schreiben ist irgendwie ein intensiver Prozess und eine intensive Auseinandersetzung mit mir. Also ich finde viel Trost in meiner Musik.
Auf eine Art bin ich mir schon sehr im Klaren darüber, dass ich Musik mache, die von den Zuhörern was verlangt, und ich es den Zuhörern nicht einfach mache. Umso mehr freue ich mich, dass es mittlerweile so viele Leute gibt, die sich das anhören und die Bock haben, sich damit auseinanderzusetzen. Ich glaube, das ist das erste, das passieren muss. Es ist vielleicht ja auch immer ein bisschen eine Ideologiekritik. Man kann natürlich einfach durch die Welt laufen und sich alles schönreden. Das funktioniert bestimmt auch für einige Leute. Aber für mich funktioniert das nicht, und ich glaube, für die meisten, die meine Musik schätzen, funktioniert das auch nicht.
Was sagst du Leuten, die meinen, du wärst zu politisch?
Ach, ich find, man kann nicht zu politisch sein. Also ich bin eher, wenn dann, nicht politisch genug. Wenn ich „zu politisch“ bin, dann ja wahrscheinlich im Kontrast zu Leuten, die halt einfach schwer nachvollziehbar total unpolitisch sind. Und ich finde, es gibt keinen Grund dafür, unpolitisch zu sein. Es gibt auch 2025 wenig Rechtfertigung dafür, als mündiger Erwachsener unpolitisch zu sein.
Also ich glaube, es ist nicht nur, dass ein Christian Lindner ein bisschen der Bezug dazu fehlt. Irgendwie ist das Problem auch, dass es ihn einfach nicht interessiert.
Welchen Politiker*innen würde es ganz guttun, mal z.B. …Nachbarschaft oder deinen neuen Track Großraumbüro zu hören?
Wenn man sich in einer Bubble bewegt, in der das Elend dieser Welt vielleicht weniger stattfindet, wenn man nur von Profiteuren dieses Systems umgeben ist, dann ist es natürlich schwieriger, Lebensrealitäten nachzuvollziehen von Menschen, die zu den Verlierern in dieser Welt gehören. Aber ich glaube, dass ganz viele dieser Politiker doch auch findige, gebildete und intelligente Leute sind, und das Problem weniger ist, dass sie es nicht wissen, sondern dass sie einfach ideologisch Entscheidungen treffen und es nicht wissen wollen. Also ich glaube, es ist nicht nur, dass ein Christian Lindner ein bisschen der Bezug dazu fehlt. Irgendwie ist das Problem auch, dass es ihn einfach nicht interessiert.
Aber vielleicht hören meine Musik Leute, mit denen es etwas macht, denen es Power gibt, die dann wieder andere Hebel in Bewegung setzen, die vielleicht auch den einen oder anderen Politiker betreffen. Ich glaube, wenn es einfach nur um Fakten ginge, dann könnte ich mich auch mit Nazis zusammensetzen und debattieren, und am Ende müsste ich ja, weil ich Recht habe, weil ich einfach Recht habe, und die nicht, müsste ich am Ende sie auf meine Seite holen können. Aber so funktioniert’s ja leider nicht.
Wie kam es dazu, dass deine Musik so politisch wurde?
Ich habe mit 16 meine erste EP veröffentlicht. Ich hab in der Zeit angefangen, mich politisch zu beschäftigen, auch schon die ein, zwei Jahre davor. Und dann habe ich diese EP gemacht – das war so mein erstes Aha-Erlebnis künstlerisch – und hab damit irgendwie meinen Weg gefunden. Und dann ist es natürlich irgendwie immer eine Wechselwirkung: Ich bin ein politischer Mensch, habe politische Musik gemacht. Die politische Musik hat mich aber auch in Auseinandersetzungen gebracht, die mich wiederum politisiert haben. Also das eine bedingt das andere vielleicht ein bisschen. Und heute ist Disarstar das, was es ist, und ich bin das auch als Typ. Ich bin ein politisch denkender Mensch.
Ich laufe ja mit meinen Filtern durch die Welt: Wenn ich durch Las Vegas laufe, dann sehen andere vielleicht eine Oberfläche und haben da die Zeit ihres Lebens. Und ich habe halt Filter, aus denen ich auch nicht wieder rauskomme, die mich das anders sehen lassen, als es vielleicht andere sehen. Und das kann man auf alles beziehen. Wenn ich mich dann ins Studio setze und darüber schreibe, was mich beschäftigt, dann sind das unweigerlich politische Dinge, weil ich so denke und so bin und so lebe.
Wie sehr nervt es dich, dass dein Label „Four Music“ zum Sony-Konzern gehört, und dass an deinen Shows teilweise das Ticketing-Unternehmen Eventim mitverdient?
Das stört mich ehrlich gesagt wenig. Don’t hate the player, hate the game. Der Zwang zur Teilnahme ist Teil meiner Systemkritik. Also wenn wir alle nur mit einem Jutesack bekleidet in den Wald gehen und für den Weltfrieden beten müssten, dann wäre das irgendwie mein way, aber das sehe ich nicht. Natürlich gibt es zum Beispiel auch immer eine Kritik an den Streaming-Diensten und so weiter. Aber das ist halt die Dynamik, es ist irgendwie mein Job, es ist mein Beruf, ich muss und will damit meinen Lebensunterhalt bestreiten. Und da muss man Kompromisse machen. Es gibt kein Richtiges im Falschen.
Als Rapper Härte zu zeigen, ist ja ziemlich geläufig. Aber dass auch über eigene Schwächen und Probleme wie Depressionen, durch Armut verursachte Kriminalität und Suchtkrankheit gesprochen wird, kommt bei dir öfter vor, wie z.B. im nachdenklichsten Track deines neuen Albums Gemacht dafür. Warum ist dir wichtig, darüber zu sprechen?
Ich meine, ich bringe was raus in die Welt und dann ist die Welt ja irgendwie eine Membran und auch Spiegel und Echokammer und schmeißt das zurück. Und das habe ich auf die eine oder andere Art und Weise immer so gemacht. Und es hat mich in meiner persönlichen und politischen Auseinandersetzung einfach immer extrem vorangebracht. Ich bin aber nicht so strategisch, also die Frage setzt ja so ein Taktieren voraus. Aber wenn ich ins Studio gehe und Musik mache oder Songs schreibe, dann denke ich gar nicht darüber nach, warum mir das jetzt wichtig ist.
Wenn du dich als erwachsener Mann ins Internet stellst und das Bedürfnis hast, auf Albumlänge zu erzählen, wie toll du bist, dann will ich dich eigentlich in den Arm nehmen
Viele Rapper lassen den „harten Typ“ raushängen und rappen vor allem darüber, wie viel Geld, Drogen und dicke Autos sie haben… Und bei dir ist es anders.
Ja, es ist vielleicht eine andere Seite der gleichen Medaille. Weil wenn man da tiefer reingeht, dann ist da ja, auch wenn die es selber nicht checken und der Großteil der Zuhörer es nicht checkt, extrem viel Verletzung und so drin. Ich mein, wenn du dich als erwachsener Mann ins Internet stellst und das Bedürfnis hast, auf Albumlänge zu erzählen, wie toll du bist, dann will ich dich eigentlich in den Arm nehmen und dir sagen: „Alles ist gut Diggi, du bist gut so wie du bist, mach dir keine Sorgen, wirklich, du wirst deinen Platz in dieser Welt finden. Und es wird auch Leute geben, die dich toll finden für das, was du im tiefsten Innern bist, wenn du dir ein bisschen Mühe gibst und hart an dir arbeitest.“ Es ist halt, wie ich finde, eine stumpfere oder stupidere Art, seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen.
In deinem Song Ambilight machst du dich über „Comedy Rap“ lustig, und deine Texte sind insgesamt sehr ernst und geprägt von Schmerz. Wo bleibt die Leichtigkeit in deinen Texten? Ist Leichtigkeit mit deinen Themen überhaupt vereinbar?
Nee, glaub ich nicht so richtig. Und ich glaub auch nicht, dass ich wirklich den Anspruch habe. Also ich finde, es gibt so viel Kunst, es gibt so viele Medien da draußen, so viele Formate zu allem Möglichen. Und das ist halt meins. Ich weiß, ich verlange meinen Hörern viel ab auch, und mach’s ihnen nicht einfach. Aber das ist meine Art, das ist mein Kunstverständnis. Also ich finde schon, dass sowas wie Ambilight eine gewisse Leichtigkeit hat, gerade in einem Live-Kontext. Ich glaube, dass sich vielen auch meine Musik erst so richtig erschließt, wenn man sie mal live sieht. Weil das, was live auf Konzerten passiert, ja doch was anderes ist, als was vielleicht die Songs manchmal vermuten lassen. Weil das ist ja pure Party, loslassen, ausrasten und eine gute Zeit haben.
Aber ja, man muss sich fragen: Was für ein Künstler will man sein? Und ich will auf jeden Fall kein Künstler sein, der jetzt der Leichtigkeit halber versucht, Leichtigkeit in seine Musik zu bringen. Ich sag immer: Es gibt halt Arte-Dokumentationen über Rojava und es gibt das Dschungelcamp auf RTL. Und da muss man sich halt überlegen, was man sein will. Und du kannst keine leichte, unterhaltsame, witzige Doku über Rojava machen.
Du hast mal angefangen, „Jura zu studieren, nur um zu sagen, dass du Jura studierst“, heute überlegst du, mit welchem Werkstück du deine Tischlerlehre abschließen wirst. Und jetzt bist du auch noch auf Tournee, was kommt als nächstes?
Weiß ich auch noch nicht, aber ich denke drüber nach auf jeden Fall. Für viele ist die Herausforderung, sich zu disziplinieren, Struktur in ihren Tag zu bringen und aus dem Quark zu kommen. Das ist was, das viele in unserer Generation herausfordert. Und ich bin einfach ein Typ – wo ich nicht sag, dass das was Gutes ist; das ist absolut eine Selbstkritik – mir fällt es viel, viel leichter, von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends volles Programm zu haben, als mich mal einen Tag auf die Couch zu legen und mich mit mir selber auseinanderzusetzen.
Ist da überhaupt eine Tischlerlehre so geeignet dafür, um mal runterzukommen?
Ja, doch! Mehr als man denkt. Also nicht immer, aber man hat im Handwerk natürlich ein krasses Selbstwirksamkeitserlebnis. Man produziert etwas mit seinen Händen. Aber natürlich ist Tischlerei keine Raketenwissenschaft. Was nicht heißt, dass das nicht 20 Jahre dauert, darin gut zu werden. Man sagt: Man muss 10.000 mal etwas machen, bis man gut darin ist. Das heißt, nur weil es vielleicht intellektuell nicht so komplex ist, heißt das nicht, dass es weniger komplex ist, darin gut zu werden.
Es tut gut, mit einem krassen Selbstwirksamkeits-Erleben Arbeiten zu machen, bei denen man eigentlich abschalten kann auf die eine oder andere Art. Natürlich auf eine Art auch nicht. Man kann das ja vergleichen: Ich sag immer, Saubermachen ist ja irgendwie auch ein Handwerk. Wenn du deine Wohnung putzt, das hat ja was Entspannendes. Und das ist ein Potential, das hat die Tischlerei nicht immer. Da gibt es natürlich auch Sachen, die einen krass herausfordern, z.B. 60 OSB-Platten in den 5. Stock im Dachgeschoss tragen oder Sachen, wo man überlegen muss, gerade wenn man’s das erste Mal macht und in der Ausbildung ist. Aber dann macht man wieder den ganzen Tag Zwischenschliffe, Lackteile und haut sich Kopfhörer rein. Das ist dann einfach meditatives Abarbeiten. Und das hat schon was mit Zur-Ruhe-kommen zu tun, habe ich das Gefühl.
Am 29. August kommt dein neues Album „Hamburger Aufstand“ raus. Du sprichst darin viel über deine Kindheit, aber ziehst auch eine Analyse der politischen Gegenwart: „Träume scheinen nicht wahr zu werden im Paradies von Nazierben und Gartenzwergen.“ Wie unterscheidet sich dieses neue Album von deinem bisherigen Werk?
Ich glaub es ist noch konkreter, es ist irgendwie noch pointierter. Es geht mehr um Auslassungen als um Stattfindendes. Ich glaube, dass ich irgendwie immer persönliche Themen angeschnitten habe, aber nie so auf den Punkt gebracht habe, wie auf der Platte. Das ist der größte Unterschied. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen: Ich mach das, was ich mache, schon lange. Ich entwickle mich weiter als Mensch und komme zu Erkenntnissen, und meine Musik entwickelt sich dementsprechend weiter. Aber das Album ist auf keinen Fall separat von meinem Werk zu betrachten. Das schließt schon an und das ergibt auch Sinn.



