„Erkin Koray war glaube ich der größte Türöffner“. Seit 2021 machen ENGIN deutsch-türkischen Indie-Rock, ihre größten Einflüsse sind der Anadolu-Rock der 60er Jahre, deren Vertreter neben Erkin Koray Rock-Größen wie Cem Karaca oder Barış Manço waren. Aber auch die westliche Musikprägung spielt eine Rolle: von Arctic Monkeys über The Smiths oder The Beatles. David (Bass) und Engin (Gesang, Gitarre) lernen sich während ihres Musikstudiums kennen. Während den Aufnahmen ihrer Montags-EP, kommt Jonas (Schlagzeug) dazu, Engins Freund aus Kindheitstagen. Ziemlich schnell wird klar: in dieser Konstellation lässt es sich gut arbeiten.

Wie entstand bei euch dieser eigene Mix und wie lassen sich diese Elemente miteinander vereinen?

Engin: Es kommt aus einer autobiografischen Sache raus: Ich habe deutsche und türkische Wurzeln. Mit dem Switch vom Psychologiestudent zur Musik hat sich für mich die Frage gestellt: „Was möchtest du als Künstler überhaupt machen und aussagen?“ und dann war da eine Erkenntnis: „Diese türkischen Wurzeln habe ich einfach jahrelang so weggedrückt und habe sie nicht in meine Persönlichkeit einfließen lassen“. Ich habe mich gefragt: „Warum eigentlich nicht? Warum sollte das kein Teil von mir sein?“.

Musik war einfach der freiste, schönste und liebevollste Zugang zu den eigenen Wurzeln. Über die Entdeckung von Anadolu-Rock und Cem Karaca – das habe ich als Kind ein bisschen mitgekriegt, aber nicht so intensiv. Als ich das im Rahmen des Musikstudiums wiederentdeckt habe, hat mich das umgehauen, wie cool diese Musik eigentlich ist.

Dann habe ich gesagt: „In Deutschland fehlt einfach so ein bisschen dieser Spirit“. Wir haben viel deutsch-türkischen Rap – und das ist immer Straße. Es gibt viel in diese Richtung, aber dass es eigentlich eine ganze historische Wurzel gibt, also deutsch-türkischen Rock seit den 70ern, das ist eben in Vergessenheit geraten.

Wie habt ihr es bei eurer Formierung geschafft, euch auf deutsch-türkische Songs zu einigen, wenn Engin der Einzige ist, der eine Migrationsgeschichte hat?

Engin: Wir sind alle Fans von Musik und haben auch eine große Offenheit, was Musik anbelangt, und hören verschiedene Stile. Jonas weiß schon seit sehr langer Zeit um meinen türkischen Background. Es ist nicht so, dass es ihm fremd ist.

Bei David ist es so, dass er sich vorher auch mit psychedelischer Musik aus dem südostasiatischen Raum beschäftigt hat, die sich schon immer mit verschiedenen Kulturen auseinandergesetzt hat. Ich würde sagen, dass diese Grundoffenheit da ist. Bei uns ist es Anadolu-Rock. Der Style ist einfach geile Musik. Da muss man die Sprache gar nicht verstehen, um’s gut zu finden.

Jonas: Das Wichtige ist auch: Wenn Engin sagt, Teil meiner Persönlichkeit ist das und ich will das wiederentdecken, dann gibt’s da auch keine Diskussion mehr. Wenn das Musikmachen auf Freundschaft basiert, dann klopfe ich auf meinem Schlagzeug rum und versuche, das irgendwie zu unterstützen.

David: Du, Jonas, sagst auch immer so schön: „Sprache ist auch nur ein Klang“. Genauso, wie man mit einer Gitarre versuchen kann, eine türkische Saz zu imitieren, was dann einen eigenen Sound hat, kann man natürlich auch mit Sprache experimentieren. Das ist eine Reise, die wir jetzt beschreiten.

Fühlt es sich anders an, auf Türkisch zu singen als auf Deutsch?

Engin: Absolut, das ist wirklich verrückt. Es ist auch dieses Phänomen, dass man sofort zwei Dezibel lauter spricht, wenn man Türkisch redet. Es ist eine sehr emotionale Sprache und es ist gefühlt leichter auf Türkisch sein Herz auszuschütten. Die Sprache ist dafür gemacht. Auch mit den Bildern, die sie transportiert und dass die Sprache gesprochen, wie Gesang klingt.

Fällt es dir also leichter, auf Türkisch emotionalere Texte zu vermitteln?

Engin: Für mich war es wirklich die Musik, die mir geholfen hat, die Sprache wieder zurückzuholen, ohne mich für meinen Akzent zu schämen. Das kennen viele, die mit zwei Kulturen aufwachsen und dann im Sommer in das Land gehen, wo ihre Eltern herkommen, und merken: „Wow, die sprechen alle irgendwie anders“. Das einfach abzulegen und zu sagen: „Es ist, wie es ist, und es ist auch gut, wie es ist“. Das zu umarmen, dass es auch etwas Besonderes ist, dass man hier eine eigene Kultur aufgebaut hat und dass man nach außen zeigen darf. Das ist über diese Vermischung letztendlich passiert und man kann auch stolz darauf sein.

Du (Engin) hast Musik und davor Psychologie studiert. Wie kam es dazu, doch nicht den Weg des Psychologen zu bestreiten?

Engin: Es war die einzige Chance, weil wenn man so Mitte/Ende zwanzig ist und merkt: „Ah okay, jetzt kommt noch der Master, und danach geht’s in den Job“. Da ist es irgendwie noch realistisch, das zu seinem Beruf zu machen, weil der Wunsch, was mit Musik zu machen, schon vorher aufgekeimt ist. Aber das war für mich so der letzte Ausstieg, weil wenn ich einmal so wirklich anfange zu arbeiten, dann habe ich nicht mehr gedacht, dass ich die Kurve kriegen werde. Deswegen war das für mich so: „Okay, ich kümmere mich um die Musik und um die Zeit, die es braucht, um das eigene Projekt an den Start zu bringen. Damit die Eltern auch beruhigt sind, verpacke ich das in ein Studium“.

Ihr habt letztes Jahr euer zweites Studioalbum Mesafeler veröffentlicht, auf dem ihr traditionelle türkische Lieder neu interpretiert. Was war für euch die größte Herausforderung bei dieser Interpretation solcher Klassiker?

Engin: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass man keine schlechte Version davon macht.

Jonas: Und die Rechte.

Engin: Die Rechte zu bekommen, war auf jeden Fall ein ganz eigener Prozess. Zum Glück haben wir eine sehr gute Freundin in der Türkei, die Anwältin ist und auch medienmäßig fit ist. Sie hat uns da sehr geholfen, sonst hätten wir das gar nicht geschafft. Es sind natürlich große Songs, die über die Jahrzehnte hinweg auch von anderen großen Künstler*innen in der Türkei neu interpretiert wurden. Man möchte eine Version schaffen, die auch eine Berechtigung hat. Das war uns immer wichtig. Etwas Frisches, etwas Eigenes, etwas von uns beizusteuern. Das hat unserer Meinung nach auch geklappt.

Gibt es Songs aus dem Album, mit denen du (Engin) eine persönliche Verbindung hast? Also Songs, die du schon aus deiner Kindheit gekannt hast?

Engin: „Resimdeki Gözyaşları“ von Cem Karaca war zum Beispiel das erste türkische Lied, das ich gesungen habe. Das ist auch auf diesem Album drauf. Deswegen würde ich sagen, dass ich persönlich zu diesem Song eine ganz besondere Bindung habe. Und es ist auch das Erste, was wir zu dritt gespielt haben. Es ist schön, dass der auf dem Album ist und wir spielen ihn auch auf unseren Konzerten.

Ihr habt dieses Jahr schon zwei Vorab-Singles für euer kommendes Album rausgebracht, das 2026 erscheint. Kirlangiçlar ist euer erstes Lied, das komplett auf Türkisch gesungen wird. Worum geht es da?

Engin: Wenn man den ersten türkischen Song schreibt, dann muss er natürlich von Liebe handeln. Aber letztendlich auch von Verlust und davon, dass eine geliebte Person aus dem Leben verschwindet wie eine Schwalbe, die weiterzieht und weg ist. Man ist praktisch allein mit den Gefühlen.

Was läuft bei euch im Tourbus, wenn ihr unterwegs seid?

Jonas: Willie Nelson „On the Road Again“. Jedes Mal, wenn wir Bus fahren. Danach ist ein bisschen Pause und dann hören wir den Mitschnitt vom Konzert, vom Vortag an. Wir hoffen, dass die Sachen, die uns stören, am gleichen Abend besser zu machen.

Engin: Wir hören nicht so viel Musik, wie man denken würde, weil wir viel Beschallung haben über den Tag mit der eigenen Musik haben. Wenn man relativ fresh ist, dann hören wir schon sehr unterschiedliche Sachen. Heute zum Beispiel lief kurz Bilderbuch Magic Life. Ab und zu wirft jemand etwas anderes ein oder wir hören ein Jazz-Album. Es ist auf jeden Fall sehr, sehr wild gemischt. Es sind dann aber meistens Alben.

David: Ich bin separat gefahren und ein bisschen Townes Van Zandt gehört. Eine schöne neue Wiederentdeckung.

Wenn ihr euch eine Traumkollaboration aussuchen dürftet, wer wäre es?

Jonas: Gaye Su Akyol aktuell am meisten.

Engin: Mit Gaye Su Akyol würden wir auf jeden Fall gerne etwas machen. Sie ist eine tolle türkische Sängerin, die auch gerade in Berlin ist. Wir müssen ihr mal wieder schreiben, wir stehen auf jeden Fall in Kontakt. Es gibt auch eine Band, die heißt AnnenMayKantereit, die finden wir auch cool.

Worauf freut ihr euch persönlich am meisten nach eurer Tour?

Engin: Das eigene Bett.

Jonas: Am Rhein in der Sonne liegen.

David: Ja, Punkt.

Den ganzen Abend über ist die Bühne in warmes Licht getaucht, wodurch sich ENGINS Anadolu-Rock-Sound nach einem lauen Sommerabend anfühlt.

Bassist David
Sänger Engin
Die Indie-Rock Band ENGIN im Jazzhaus Freiburg. Die Szene ist den ganzen Abend über in warmes Licht getaucht.
Drummer Jonas ist Engins Freund seit der Schule
Bassist David und Gitarrist und Sänger Engin
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