Die ehemalige Freiburger Studentin Miriam Schill wuchs in einer Familie auf, in der praktisch alles wiederverwendet wurde. „Mit 13 Jahren habe ich angefangen, Süßigkeitenverpackungen aufzuheben. Ich wollte mich daran erinnern“, sagt Schill. „Ich hatte viel mehr Zeug, als ich Platz dafür hatte.“ Bald besaß die heute 30-Jährige eine „wahnsinnige Menge“ an Klamotten.

Aus dem Auslandssemester zurück zog sie von einem zwanzig Quadratmeter großen Zimmer in ein acht Quadratmeter kleines Kabuff. Das war der Wendepunkt: „Es stand alles nur voll. Ich bin gar nicht mehr durchgekommen und musste meine Matratze tagsüber zusammenfalten. Dann habe ich mich radikal von Dingen getrennt.“ Auch, weil Schill auffiel, „dass ich so viel Besitz habe, von dem ich vergessen habe, dass ich ihn überhaupt besitze.“

Niko Paech, Volkswirt an der Universität Siegen, beobachtet, dass der Besitz von Gütern mit steigender Kaufkraft wächst. Sobald Personen über ihren Verhältnissen leben, kann das problematisch werden. Ohne Obergrenzen für individuellen Konsum setzen bei einem bestimmten Wohlstandsniveau Reizüberflutung, Flüchtigkeit und Stress ein.

Wie wichtig ist Konsum für die Wirtschaft?

Und sind Erlebnisse wertvoller als Besitz? Darüber spricht Timo Heimerdinger, geschäftsführender Direktor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg, im uniCROSS-Interview.

Miriam Schill verzichtet heute bewusst auf unnötige Dinge und hat radikal aussortiert. Von diesem Minimalismus verspricht sich Schill ein besseres Leben, weil sie dadurch weniger Entscheidungen fassen müsse: „Immer, wenn ich Entscheidungen treffen muss, kostet mich das Energie. Ich habe zum Beispiel nur ein Paar Turnschuhe, das zu allem passt.“

Beim Aussortieren fragt sich Schill, ob mehrere Kleidungsstücke dieselbe Funktion erfüllen. Für einzelne Gegenstände überlegt die Minimalistin, ob diese absehbar gebraucht oder bei Bedarf ausgeliehen werden können. Jeder Kauf werde vorher auf Nutzen und Qualität geprüft.

Bibliothek der Dinge

Die Stadtbibliothek Freiburg verleiht nicht nur Bücher, sondern auch Gegenstände. Gesa Krauß, Gründerin der „Bibliothek der Dinge“, erklärt das Konzept und verrät, welcher Gegenstand am häufigsten geborgt wird.

Beim Entrümpeln hat sich Schill an der Ordnungsberaterin Marie Kondo orientiert: Jeder Gegenstand wird kategorisiert, auf einen Haufen gelegt und geprüft: „Bereitet das Objekt Freude?“ Nur Gegenstände, die dieses Gefühl auslösen, dürfen demnach bleiben.

Zudem habe Schill reflektiert, was sie im Alltag tatsächlich braucht. Dabei half ihr nach eigener Aussage die sogenannte „No-Buy-Challenge“: ein Jahr bewusst auf nicht-essentielle Ausgaben verzichten, um Geld zu sparen, Schulden abzubauen oder einen nachhaltigeren Konsumstil zu üben. „Wir haben so viele Ressourcen auf der Welt, die bei Menschen ungenutzt im Keller stehen und dann schimmlig werden“, betont Schill und plädiert dafür, ungenutzte Gegenstände an Bedürftige weiterzugeben.

Portrait Niko Paech
Prof. Dr. Niko Paech forscht und lehrt zu Nachhaltigkeit und alternativen Wirtschaftsformen.

Auch Volkswirt Paech empfiehlt, das eigene Leben zu entrümpeln: Es helfe, „sich auf die wesentlichen, möglichst ökologisch verantwortbaren Güter und Aktivitäten zu beschränken, die dann umso intensiver und stressfreier ausgeschöpft werden können.“

Heute versucht Schill, bewusster zu leben: „Ich versuche, mein Geld eher für Erfahrungen auszugeben als für Zeug.“ Minimalismus bedeutet für sie auch, die eigene Zeit sinnvoller zu gestalten als mit Shopping. „Ich habe mich verpflichtet, wieder bei meinem alten Theaterverein mitzumachen — das ist sehr zeitintensiv“, erklärt sie.

Bei Langeweile neige Schill nämlich schnell zum Einkaufen. Auch heute fällt es ihr schwer, dem Konsumdruck zu widerstehen: „Ich muss mir sehr regelmäßig sagen, dass ich genug habe.“ Gezwungener Verzicht wäre für sie allerdings keine Lösung. Dinge auszusortieren und danach gar nichts Neues mehr zu kaufen, hält sie für unrealistisch. „Es ist ein fortlaufender Prozess, bei dem ich immer wieder prüfe, ob ich das wirklich alles noch haben will.“

Eine Gemeinschaftsproduktion von Diyora Ubaydullaeva, Lea Lesch, Leonie Baur und Lisa Rudolf im Rahmen des Seminars „Einführung in den crossmedialen Journalismus“ für Studierende der Medienkulturwissenschaft. Seminarleitung, Redaktion: Ada Rhode, Andreas Nagel, Philip Thomas, Ragna Johansson, Alexander Schröder, Max Keefer.