“Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor”: das sind zweifellos einige der berühmtesten Anfangsverse eines Dramas in der deutschsprachigen Literatur, die von den meisten Schüler*innen im Laufe ihres Schullebens vermutlich mindestens einmal interpretiert worden. Die Rede ist von Faust I – immer wieder Abilektüre und einer der bekanntesten Texte von Johann Wolfgang von Goethe. Die Werke des Weimarer Dichters sind bis heute aktuell und haben ihre Spuren hinterlassen: nicht nur in der Literatur, sondern auch in kreativen intermedialen Auseinandersetzungen, sei es in Verfilmungen, Theaterstücken oder eben einem Poetry Slam.

Verbindung von literarischer Gesellschaft und Hörsaal

„Die zentrale Idee war, dass wir auch jüngere Leute erreichen wollen“, erzählt Gesa von Essen, wenn sie darüber spricht, wie die Idee des „Poetry Slam mit Goethe“ – eines Poetry Slam, der sich mit Texten von Goethe auseinandersetzt – entstanden ist. Gesa von Essen ist Dozentin im Bereich Neuere Deutsche Literatur der Uni Freiburg und außerdem im Vorstand der Goethe-Gesellschaft Freiburg, die den Slam in Kooperation mit dem @poetryslamfreiburg dieses Jahr zum dritten Mal veranstaltet.

Literarische Gesellschaften wie die Goethe-Gesellschaft seien Institutionen, die durchaus Nachfrage haben, allerdings eher in einem älteren Mitgliedersegment, sagt sie. Deswegen stelle sich immer wieder die Frage, wie auch jüngere Menschen und Studierende angesprochen und mit einbezogen werden könnten. Ein neues Veranstaltungsformat, das dazu beitragen will, ist der „Goethe Slam“. Die Idee dazu hatte in einer Mitgliederversammlung der Goethe-Gesellschaft Gregor Biberacher, der selbst als freiberuflicher Kleinkünstler unterwegs ist und um die lebendige, aktive Poetry-Slam-Szene in Freiburg weiß. Nachdem er beim ersten Goethe Slam noch selbst vorgetragen hat, ist er nun seit dem letzten Jahr für die Moderation der Veranstaltung zuständig.

Ablaufplan des Slams: In der Vorrunde tragen alle Teilnehmenden ihren Goethe-Beitrag vor, eine freie Variation auf eines von mehreren vorgegebenen Goethe-Zitaten. Anschließend wählt das Publikum durch Klatschen drei Leute ins Finale, bei dem die Finalist*innen dann einen selbst gewählten Text aus ihrem Repertoire vortragen. Der Sieger oder die Siegerin wird schlussendlich erneut vom Publikum ausgewählt.

Gemeinsamer Austausch steht im Vordergrund

Beim Goethe Slam darf jede*r mitmachen, man muss dafür nicht an der Uni immatrikuliert sein. Bei den vergangenen Slams war daher die Altersspanne der teilnehmenden Personen groß: Eine Teilnehmerin, die auch dieses Jahr wieder einen Slam-Text performen wird, ist zum Beispiel um die 80 Jahre alt – liebevoll als „unsere Slam-Oma“ bezeichnet.

„Slam ist ja ein sehr offenes Format“, ergänzt Gregor Biberacher, und so individuell sind dann auch die verschiedenen Slam-Beiträge. Ein Text, an den sich beide Veranstaltenden noch gut erinnern können, ist zum Beispiel die „E-Mail an Wilhelm“ aus dem letzten Goethe-Slam, der sich mit Goethes Erstlingsroman Die Leiden des jungen Werthers auseinandergesetzt hat. Die Vortragende hatte die literarische Form des Briefromans in ihrem Text auf das aktuelle Medium der E-Mail übertragen.

Für die Veranstaltenden steht dabei vor allem der gemeinsame Austausch im Vordergrund. Der Goethe Slam bietet Interessierten verschiedener Generationen die Möglichkeit, über Goethe als Schriftsteller und seine Texte miteinander ins Gespräch zu kommen. Auch das Publikum war dementsprechend in den vergangenen Jahren bunt gemischt, von Erstsemesterstudierenden über Gymnasiallehrer*innen bis hin zum emeritierten Hochschulprofessor: in der Goethe-‚Slamily‘ können sich alle aufgehoben fühlen, die sich für Goethes Texte, aber auch ganz allgemein für den kreativen Umgang mit Sprache und Literatur begeistern.

Faust I als diesjähriges zentrales Werk

Das Werk, um das es beim Slam-Abend in diesem Jahr gehen soll, ist Goethes Faust I. Als Inspiration für die Teilnehmenden haben die Veranstaltenden drei Zitate aus dem Drama ausgewählt, die sich auf den Plakaten und Flyern zur Veranstaltung finden lassen. Die Beiträge dürfen sich aber auch auf andere Textstellen oder den Faust generell beziehen. Dabei ist es sowohl für die Veranstaltenden als auch für das Publikum immer wieder spannend zu sehen, in welcher Form sich die Beitragenden mit dem Text auseinandersetzen – sei es auf witzige und satirische oder auch auf kritische Art und Weise. Es geht also nicht darum, Goethe irgendwie zu glorifizieren und auf ein Podest zu heben, sondern sich auf kreative Weise mit seinem Werk auseinanderzusetzen, jüngeres Publikum überhaupt mit Goethe in Kontakt zu bringen, aber natürlich auch literarische Gesellschaften am Leben zu erhalten.

Was Goethe so interessant macht, sind vor allem seine Vielseitigkeit und die enorme Spannweite seines literarischen Werkes, findet Gesa von Essen. „Es gibt, glaube ich, wenige Autoren, die über 65 Jahre lang so produktiv waren und in deren Lebensspanne ungefähr fünf literarische Strömungen stattfanden“, ergänzt Gregor Biberacher. Dabei gebe es viele in Goethes Texten dargestellte Themen, Erfahrungen und Empfindungen, in denen sich auch heutige Leser*innen wiederfinden können. „Ich glaube, Goethe gehört nicht unbedingt zu den Standard-Lieblingsautoren junger Studierender, aber ich habe das Gefühl, wenn sie mal anfangen, sich auf Goethe einzulassen, dann stellen sie fest, dass er irgendwie doch cool ist.“