Hallo Frau Schmid, Sie beschäftigen sich im Rahmen Ihrer Doktorarbeit mit Hass im Netz. Welche Möglichkeiten existieren, um sich gegen den Hass im Netz zu wehren?

Ursula Kristin Schmid, M. A., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU München und beschäftigt sich mit Hass im Internet.

Zum einen gibt es natürlich das, was der Staat durch das deutsche Gesetz durchsetzen kann. Sei es mithilfe gesetzlicher Regelungen und Restriktionen wie der Erneuerung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Die nächste Ebene wäre dann die Plattformebene, also das Vorhandensein von Community Managern, die professionelle Moderation betreiben.

Dann gibt es noch eine weitere Ebene, welche von jeder Person im Online-Bereich als Nutzer und Nutzerin verwendet werden kann. Zum einen kann man Inhalte melden, was besonders im internationalen Bereich sehr spannend ist, da sich die gemeldeten Inhalte dort sehr unterscheiden. In Deutschland ist viel weniger erlaubt als beispielsweise in den USA.

Wenn man das Gefühl hat, dass der Inhalt eine strafrechtliche Relevanz besitzt, kann man diesen bei der zuständigen Behörde oder der Plattform melden. Dies wird dann angesehen und letzten Endes entschieden, ob es tatsächlich gelöscht werden muss.

Aber was am wirksamsten ist – was man auch mithilfe von Studien herausfinden konnte – die sogenannte Counterspeech, also das Betreiben von Gegenrede. Gegenrede bedeutet, dass man auf Hatespeech oder Hass im Internet intervenierend antwortet – sei es mit einem Meme, einem GIF, einem Bild oder in Texten mithilfe von Fakten. In diesem Bereich gibt es viele unterschiedliche Richtungen, bei denen man ansetzen kann.

Es kommt jedoch in den wenigsten Fällen dazu, dass jemand seine komplette Ansicht und Einstellungen aufgrund der Gegenrede ändert. In diesem Sinne ist dieses Vorgehen also nicht nützlich. Viel wichtiger ist aber, dass es aus unserer

Sicht einen Einfluss auf die von Hatespeech betroffenen Personen hat.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Gegenrede ist, dass diese auch einen Einfluss auf die sogenannten Bystander nimmt, also Personen, die online mitlesen und dann sehen: Es gibt auch andere Meinungen, welche dieser hasserfüllten Meinung widersprechen. Dies hat einen viel höheren gesellschaftlichen Einfluss als nur dem Hater beziehungsweise der Haterin zu widersprechen.

Deshalb ist die Gegenrede somit auch die Königsdisziplin, um zu widersprechen und ein Zeichen gegen Hatespeech zu setzen.

Nicht jeder Mensch ist in der Lage fachlich, fundiert und mit kühlem Kopf in jeder Situation und zu jedem Thema mit dem entsprechenden Sprachstil zu argumentieren. Bedeutet dies im Sinne der Gegenrede, dass es primär wirklich nur darauf ankommt ein Zeichen zu setzen und nicht darauf, wie gut formuliert und sachlich fundiert die Aussagen sind?

Genau. Was schon stimmt – und das zeigen auch aktuelle Studien von mir und meinen Kolleg*innen – ist, dass man selber eher dazu geneigt ist, Gegenrede zu betreiben, wenn man die politische Kompetenz und die Medienkompetenz dazu besitzt. Also aus einer technischen Sicht heraus betrachtet, dass man weiß, wie man einen Kommentar absetzt und die Strukturen eines Online-Diskurses versteht. Sprich, wenn man sich total unsicher fühlt und denkt, dass man keine politische Effizienz hat, dadurch wie man sich ausdrückt, ist man eher gehemmt.

Aber tatsächlich hat das nicht die größte Relevanz, denn was sich auch ziemlich gut zeigen lässt ist, dass da, wo die erste Gegenrede stattgefunden hat auch andere Gegenrede öfters mal anschließt und sich dadurch ein Spiralprozess entwickelt, beziehungsweise ein Trend entstehen kann und sich immer mehr Menschen trauen, sich der Gegenrede anzuschließen.

Im Laufe dieses Prozesses können sich dann auch Menschen mit einer größeren Expertise zu Wort melden, jedoch ist es von sehr großer Bedeutung, dass der erste Kommentar geschrieben wurde und die anderen Teilnehmer zum Diskurs motiviert hat.

Einen Haken hat es jedoch schon: Es muss einem bewusst sein, dass man das Verhalten nicht widerspiegeln sollte, also nicht selbst Beleidigungen oder andere Merkmale der Hatespeech zu verwenden, da sich der Spiralprozess auch in die andere, negative Richtung weiterspinnen kann.

Spielt es eine Rolle, wer den Anstoß zum Diskurs, dem Spiralprozess gibt? Also ob dies eher durch einen Community Manager*in oder von einem Nutzer, einer Nutzerin angestoßen wird?

Ich kann mir vorstellen, dass es je nach Medium und Zielgruppe eine Rolle spielt. So könnte zum Beispiel eine Autorität an Online Community Managern in einem Medium wie beispielsweise Reddit oder Twitch in denen viel Jugendkultur stattfindet, weniger effektiv sein, als eine eigene Peergroup, also eine soziale Gruppe mit großem Einfluss, weil man sich zu ihr zugehörig fühlt. Dies ist jedoch lediglich eine Vermutung.

Ein gutes Beispiel ist die Gruppe #Ichbinhier auf Facebook, die sich selbst organisiert. Dies läuft dann in etwa so ab, dass Personen Hatespeech im Netz sehen und merken, dass ihnen selbst die Kompetenz zum Thema fehlt oder weitere Unterstützung benötigt wird. Daraufhin setzen sie das Hashtag #Ichbinhier ab, worauf dann Personen, die dem Hashtag folgen, dies sehen und merken, dass an dieser Stelle der Bedarf vorliegt, auf Hatespeech zu reagieren. Das funktioniert tatsächlich außerordentlich gut. Es handelt sich bei dieser Gruppe um die Pioniere auf diesem Gebiet.

Wie Sie sagten, gibt es ja verschiedene Möglichkeiten, um gegen den Hass im Netz vorzugehen. Gibt es eine Methode, die besser geeignet ist, als die andere oder muss es einen Mix geben, um gegen Hatespeech vorzugehen?

Das ist gar nicht so leicht einzuschätzen und zu beantworten. Auf jeden Fall muss es eine gute Mischung sein. Ich glaube nicht, dass man komplett ohne Gesetz und Restriktion auskommt, aber es kann auch nicht das einzige Mittel sein. Allerdings sprechen wir bei Hatespeech nicht nur von den strafrechtlich relevanten Inhalten, sondern auch von indirekter Hatespeech. Hatespeech ist ja im Prinzip alles, was eine soziale Gruppe auf irgendeine Art und Weise herabsetzt und diffamiert. Dies ist jedoch nicht immer strafrechtlich relevant, sondern nur in den Extremfällen, wie beispielsweise im Falle von Beleidigungen oder Volksverhetzung und ähnliches.

Was aber auch eine große Problematik darstellt und sogar stärkere Effekte haben kann, sind niederschwellige Diffamierungen, gegen die Gesetze und Regelungen nichts ausrichten können. Dies liegt natürlich unter anderem daran, dass es ein hohes Gut ist, die Freiheit zur Meinungsäußerung zu bewahren.

Ich beschäftige mich im Rahmen meiner Doktorarbeit mit humorvoll dargestellter Hatespeech in Witzen wie beispielsweise dem schwarzen Humor. Dieses Problem ist nicht durch Gesetze, sei es auf nationaler oder internationaler Ebene, abgedeckt. Dementsprechend müssen Methoden immer in Kombination mit einem gesellschaftlichen Bewusstsein und einem Verantwortungsbewusstsein von allen Nutzer*innen zusammenspielen. Es funktioniert also nicht zu sagen, dass wir diese Regelungen haben und wir alles löschen, was uns nicht gefällt. Genauso funktioniert es nicht zu sagen: Alles, was strafrechtlich in Ordnung ist, kann man stehen lassen.

Und genau an diesem Ansatzpunkt wird die Counterspeech benötigt, auch wenn neue Gesetze beschlossen werden. Wenn man nun einen Blick auf die Zukunft wirft, ist es auf jeden Fall wichtig, Präventionsarbeit zu leisten und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was überhaupt beleidigend sein kann oder wie ein Online-Diskurs sinnvoll vonstatten geht, vor allem da sich dieser einfach deutlich vom Alltag unterscheidet.

Beim schwarzen Humor handelt es sich ja auch immer um ein Grenzspiel des Humors, dessen Grenzen von der jeweiligen Gruppe festgelegt werden. Ist es ein Problem, gerade im Online-Raum, dass man viele unterschiedliche Menschen trifft, denen man nicht in den Kopf schauen kann und dadurch Grenzen überschritten werden?

Sie haben es schon ganz gut erfasst und zusammengefasst. Ich habe bereits sehr viele Interviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt, welche es ganz ähnlich formulierten. Es ist ein großer Unterschied für Personen, die sich durch schwarzen Humor angesprochen fühlen und von wo dieser kommt. Wenn es der beste Freund sagt, dann kann man die Intention dahinter vielleicht noch besser verstehen, als wenn es eine anonyme Person im Internet sagt oder wenn der Witz von jemandem aus der eigenen Gruppe kommt. Wenn es zum Beispiel um Dunkelhäutige geht und aus der eigenen Gruppe kommt, dann ist es für die Person noch einmal etwas ganz anderes, als wenn es eine fremde oder eine Person mit weißer Hautfarbe sagt.

Ein zusätzliches Problem im Internet ist auch, dass man oft nicht weiß, wer der Urheber und was die Intention ist. Dann ist es oftmals so, dass dieser Humor immer den Deckmantel hat: “Ist ja nur Spaß“ und somit Legitimation erhält. Dadurch kann diese Form des Humors auch ausgenutzt werden. Humor hat also einen sehr persönlichen Charakter, da wir gelernt haben, dass Humor nicht immer ernst sein muss.

Ideologische Gruppierungen zum Beispiel wissen das sehr gut strategisch auszunutzen und spielen die Intention dahinter herunter, sodass sie es normalisieren, da es ja „nur ein Witz“ ist. Wenn der Witz als Meme verpackt ist, ist es viel einfacher weiter zu klicken, da es in der ersten Situation viel mehr mit Humor, Spaß und unwichtigem Content verbunden wird. Dies treibt jedoch wieder einen Prozess der Desensibilisierung und Normalisierung voran.

Würde eine Aufhebung der Anonymität im Internet den Hass stoppen?

Wenn man sich anschaut, warum Hatespeech entsteht und weshalb dies so einfach ist in der Online-Welt, stellt man fest, dass die Anonymisierung natürlich eine Rolle spielt. Aber es ist nicht nur die Anonymität, sondern auch der Effekt, dass man die Person nicht gegenüber hat und man deshalb keine Reaktion von dieser erhält. Man kann also nicht sehen, ob die Person entsetzt oder traurig ist. Das macht Hatespeech nochmal einfacher. Eine Entanonymisierung würde diese Problematik also nicht vollständig lösen.

Welche Möglichkeiten abseits der Gegenrede gibt es, um sich gegen den Hass im Netz zur Wehr zu setzen?

Die Frage ist, was man als zur Wehr setzen definiert. Denn es gibt tatsächlich einen Trend dazu, dass sich junge Menschen damit einfach gar nicht mehr auseinandersetzen. Die sagen, sie kennen das schon und wissen, dass es nichts bringt sich damit zu beschäftigen oder, dass sie auch mal Sachen gemeldet haben, die dann doch nicht gelöscht wurden. Dieser Zeit-, Energie- und emotionale Aufwand erscheint oft zu hoch.

Das ist natürlich auch eine Strategie, um sich der Hatespeech nicht aussetzen zu müssen. Wenn man eher auf den Punkt abzielt, Hatespeech zu mahnen, dann würde ich sagen, dass Gegenrede der Königsweg ist, oder man meldet Inhalte, sobald man die Vermutung hat, dass diese eine strafrechtliche Relevanz besitzen.

Gibt es etwas, dass Ihnen bei diesem Thema besonders am Herzen liegt?

Was mir bei dieser Diskussion immer ein bisschen zu kurz kommt, ist die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Hatespeech. Es werden also weniger schlimme Inhalte oft einfach vergessen, weil sie auf den ersten Anschein nicht so schlimm wirken oder „nur ein Witz“ sind. Für betroffene Personen oder Gruppen kann es aber genau deswegen sehr schlimm werden, da nichts dagegen unternommen wird. Durch das kontinuierliche Wiederholen dieser Hatespeech kommt es zu deutlich stärkeren Effekten als eine einzige sehr krass formulierte Hatespeech.

Der Beitrag ist Teil der uniCROSS-Serie #gegendenhass