Seit November 2020 bieten Sandra, Nele, Frauke und Sophie mit dem Instagramaccount “catcallsoffr” Einwohner*innen Freiburgs die Möglichkeit, ihre Catcalls, also verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, zu teilen, indem sie diese wortwörtlich auf der Straße “ankreiden” und auf dem Account posten.

Sandra, die zuvor schon bei “Catcalls of München” tätig war, brachte die Idee mit nach Freiburg. Die drei Mitbewohnerinnen Nele, Frauke und Sophie stießen dazu, als Nele selbst Opfer eines Catcalls wurde und nach einer Möglichkeit, diesen zu melden suchte. Sandra und Nele haben uniCROSS von der Entstehung und der Vision ihres Projekts erzählt.

Hallo Sandra und Nele! Das Projekt ChalkBack wurde im März 2016 von Sophie Sandberg ins Leben gerufen, ihre “catcallsofnyc”-Seite hat inzwischen 169.000 Follower. Mittlerweile finden sich ähnliche Accounts für circa 150 andere Städte. Arbeitet ihr mit diesen anderen “Catcalls of” Accounts aktiv zusammen oder teilt ihr lediglich den gleichen Namen und das Konzept?

Sandra: Tatsächlich soll in Deutschland ein “Catcalls Of” Verein gegründet werden. Es gibt auch jetzt schon regelmäßig Versammlungen, bei denen der von uns gewählte Vorstand vorträgt, was beschlossen wurde. Momentan diskutieren wir unter anderem die Finanzierung unseres Projekts, damit wir zum Beispiel Kreide oder Sticker kaufen können.

Der Vorstand setzt sich damit auseinander, woher wir das Geld bekommen. Das geschieht hauptsächlich durch Spenden, es gibt aber auch manchmal Aktionen zum Geldsammeln. Es wurden zum Beispiel schon einmal T-Shirts mit unterschiedlichen Motiven bezüglich Catcalling verkauft. Manchmal haben wir auch Aktionen, die über mehrere Accounts laufen. Wir haben auch eine weltweite WhatsApp Gruppe, auch mit Sophie Sandberg, in der wir uns austauschen und mitunter auch Meetings haben.

Nele: Und manchmal tauschen wir uns mit den anderen Gruppen aus, ob jemand zum Beispiel eine bessere Formulierung wüsste oder schreiben uns, wenn jemand einen total schönen Infopost erstellt hat.

Bekannt ist euer Account dafür, dass ihr die von User*innen eingesendeten Catcalls wortwörtlich “ankreidet”, also am “Tatort” des Geschehens den Catcall mit Kreide auf den Boden schreibt. Wie viele Einsendungen erhaltet ihr durchschnittlich pro Woche?

Nele: Das ist ganz schwer zu sagen, weil es auch davon abhängt, wie aktiv wir gerade selbst sind. Wenn wir aktiver sind, kriegen wir auch mehr zugeschickt. Aber ich denke es sind ungefähr vier pro Woche.

 

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Habt ihr beim Ankreiden schon einmal negative Erfahrungen gemacht? Oder konntet ihr schon einmal direkte Reaktionen von Passant*innen beobachten?

Sandra: In Freiburg haben wir hauptsächlich gute Erfahrungen gemacht, die Leute sind sehr offen. Viele ältere Leute kennen unser Projekt gar nicht, sie fragen dann, was wir da machen. Oft kriegen wir dann auch einfach einen Daumen hoch. Aber auch jüngere Leute kommen immer wieder vorbei und sagen: “Ah, cool, was ihr da macht!” oder erkennen uns wieder, das ist dann total schön.

Was findet man neben den angekreideten Catcalls noch auf eurem Account?

Sandra: Aktuell posten wir immer zwei Fotos von einem angekreideten Catcall und dann einen Infopost zu einem bestimmten Thema. Zum Beispiel war neulich der internationale Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt, da haben wir dann etwas dazu gemacht. Oder auch Infoposts wie etwa “Wie gendere ich richtig?” oder “Was ist Sexismus?”. Wir leisten also Aufklärungsarbeit zu allen Themen, die uns wichtig sind, da wir ja nicht nur ein Projekt gegen sexuelle Belästigung sind, sondern uns auch ganz klar gegen Rassismus und jegliche Form von Diskriminierung positionieren.

Größere Projekte haben wir aktuell nicht. Was wir aber gerade in Angriff nehmen, ist, dass wir uns mit Parteien treffen und dann im nächsten Jahr etwas gemeinsam auf die Beine stellen wollen. Wir hatten gerade ein erstes Treffen mit einer Jugendpartei, um uns auszutauschen und zu schauen, was man gemeinsam verändern kann. Eine Kollegin von Catcalls of Berlin veröffentlicht Anfang diesen Jahres auch ein Buch, in dem Bilder von den Accounts aus ganz Deutschland und auch uns enthalten sind.

Viele sind sich unsicher, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie von Catcalling betroffen sind. Wie sollte man eurer Meinung nach auf Catcalls reagieren?

Nele: Wenn du dich persönlich in der Situation sicher fühlst und dir das zutraust, gib gerne Konter und erklär den Menschen das ganz offen: “Hey, das war gerade sexistisch. Ich fühle mich unwohl dadurch.” Aber wenn du dich unsicher und unwohl fühlst oder es dir nicht zutraust – dann tu es nicht. Dann suche lieber nach einer anderen Lösungsmöglichkeit, wie zum Beispiel unsere Seite oder andere Initiativen oder Projekte. Für viele Menschen ist es schwer nichts zu tun, weil sie sich im Nachhinein so darüber ärgern, dass sie nichts gesagt haben.

Sandra: Wenn es Situationen sind, in denen man sich gar nicht wohl fühlt und nicht mehr allein sein möchte, dann muss man andere Passant*innen wirklich explizit ansprechen. Oft fühlen sich Leute nicht verpflichtet dir zu helfen und dann muss man sagen: „Hey Sie, kann ich mich zu Ihnen stellen? Ich fühle mich gerade unwohl.“ Dann wird einem meistens auch geholfen. Eine Alternative wäre, auch mal zurückzubellen. Das funktioniert ganz gut. Die Person, die einen catcallt, ist dann oft verwirrt und geht einfach.

Nele: Ich glaube, das nimmt den Menschen, die dich belästigen, auch ein bisschen die Macht. Sie wissen dann nicht, wie sie reagieren sollen und fühlen sich unwohl.

Wie kann man euer Projekt und euch noch unterstützen?

Nele: Einfach unser Projekt verbreiten, hilft auf jeden Fall schon mal. Oder Vorschläge machen, worüber wir zum Beispiel noch posten und informieren können.

Sandra: Und auch mit Freund*innen darüber reden. Denn oft haben wir die Erfahrung gemacht, dass viele gar nicht erkennen, dass sie gecatcallt worden sind, weil sie gar nicht wissen, was Catcalling ist.