Das Selfie ist in allen Gesellschaftsschichten angekommen – selbst Obama, Angela Merkel und der Papst tun es. Grund genug für die Gegner des Selfie Kults auf die Barrikaden zu gehen. Sie überspitzen, verhöhnen und ironisieren die Bilder, die Tag ein Tag aus die sozialen Netzwerke überschwemmen, um dem Selbstdarstellungstrend ein Ende zu bereiten.

Als eine solche Avantgarde gegen den Selfiehype tritt auch der Anti-Selfie Club, im Auftrag der schweizer Fondation Beyeler, auf den Plan. Die Mitglieder des Clubs nutzen die berühmten geometrischen Figuren des Künstlers Kasimir Malewitsch, die dieser seiner Zeit sinnbildlich vor einer russischen Ikone platzierte, um damit ihre Gesichter auf dem Selfie zu überdecken. Dadurch soll die ungegenständliche Bedeutung seiner Kunst, auf das Zeitalter des gläsernen Menschen übertragen werden, in dem Anonymität zunehmend als das Heiligste unserer Zeit begriffen werden kann.

Ich bin mir aber sicher: Hätten Staatsoberhäupter und Hochadel einen Selfiestick besessen, würden heute Napoleon mit Duckface, Kaiserin Sisi mit Kussmundpose und Bismarck im Badezimmerselfie an den Wänden unseren Museen hängen. Denn letztlich unterscheidet sich der Akt der Selbstdarstellung auf Facebook, Instagram und all den Social Media Plattformen, kaum von den Porträtüberladenen Empfangshallen des nach Prestige und Anerkennung eifernden Hochadels der vergangenen Jahrhunderte.

Auch unsere Großeltern hätten sicherlich die „Mein Haus, mein Auto, mein Pferd-Szenerie“ aus der ausgebeulten Geldbörse auf die social media Plattformen ausgelagert, wenn sie nur die Möglichkeit dazu gehabt hätten.

Und trotzdem bleibt unklar warum gerade unsere Generation offenbar das Verlangen nach einer nie endenden Oneman-/ Onewoman-Show verspürt.

Ist es ein weiterer Auswuchs unserer Generation Y, die neben maßloser Selbstüberschätzung und zu hohen Ansprüchen nun auch noch einer unstillbaren Selbstliebe verfallen ist? Oder ist es das Ergebnis unseres Wirtschaftssystems, das den Ellenbogen subventioniert und die Verträge des Teamgeists auslaufen lässt? Eine pauschale Antwort darauf werden wir sicherlich nicht finden, es beruhigt jedoch einigermaßen, dass der Mensch seit jeher von seinem Abbild fasziniert ist, wie wir aus dem Mythos um Narziss erfahren.

Die Gründe für die Beliebtheit des Selfies liegen spätestens dann klar auf der Hand, wenn wir die Fotoalben vergangener Zeiten betrachten. Sie sind voll von künstlerisch wertvollen Inszenierungen, auf denen die Tante im Hintergrund niest, der pubertierende Sohn ein großes Stück Kuchen in den Mund stopft, und der kleinen Finger im rechten Bildrand ihnen die Show zu stehlen droht. Dass wir uns auf diese Weise weder im Netz noch sonst irgendwo präsentieren wollen, scheint nachvollziehbar. Dennoch sollten wir dringend über die Qualität der Selfies nachdenken. Denn überschminkte Duckfaces, peinliche Überkopfselfies und klischeehafte Kussmundbilder sind die Arschgeweihe unserer Zeit.

Natürlich haben wir die Schwelle an der wir uns in der Gesellschaft für oder gegen Selfies entscheiden konnten längst überschritten, denn jeder tut es irgendwie. Doch ist die Forderung nach mehr Kreativität und Einfallsreichtum zu viel verlangt? Ich bin der Meinung, dass die Kunst der Selfiefotografie darin besteht, dass es nicht auf den ersten Blick als solches zu erkennen ist.

Ob lediglich als Mittel narzisstischer Selbstdarstellung oder als feministischer Akt gegen die Macht der Männer über den Körper der Frau in den Medien, das Selfies ist und bleibt fester Bestandteil unseres Alltags.

Gerade deswegen sollten wir uns vor Augen führen, dass diejenigen, die unseren Selfies folgen, sie liken und kommentieren, doch vor allem unsere Freunde sind, die wir als Groupies missbrauchen, um unser Selbstbewusstsein aufzupolieren. Vielleicht ein Grund dafür, in Zukunft noch einmal über das ein oder andere Selfie nachzudenken, das zeigen soll, wie viel aufregender und schöner unser Leben im Vergleich zu dem der Anderen ist. Wir schüren damit nämlich ausgerechnet bei jenen Personen Neid und Selbstzweifel, die uns sonst Halt geben und auch ohne schönenden Filter akzeptieren.