Herr Krieger, warum liegt russisches Vermögen überhaupt im Ausland, also zum Beispiel in der Schweiz oder in London?

Die Wirtschaft ist inzwischen so globalisiert, dass überall Finanzströme fließen. Man handelt global, man verschifft Güter, man bietet Dienstleistungen an und kann Kapital anlegen.

Die grundsätzliche Frage für vermögende Menschen ist: wo kann ich mein Geld gut anlegen? Länder weisen unterschiedliche politische, wirtschaftliche und andere Risiken wie zum Beispiel die Gefahr von Naturkatastrophen auf. Für russische Anleger geht es darum zu entscheiden, ob sie daheim in Moskau oder eben in London Kapital anlegen wollen.

Aus ökonomischer Sicht gelten westliche Länder als sicherer und stabiler als Russland selbst. London ist eine Metropole mit großem Finanzsektor. Die Stadt war vor dem Brexit die wichtigste Clearingstelle für alle möglichen Arten von Geschäftsverkehren für ganz Europa. Das ist sehr praktisch für Menschen mit viel Geld und Geschäftsbeziehungen. Außerdem gibt es in London ein tolles Angebot an Kultur, Kunst und Fußballklubs. Also haben sich reiche Russen dort eingekauft.

Die meisten finanziellen Transaktionen und Konten im Ausland befinden sich im legalen Bereich. Es gibt aber auch Vermögen, das auf fragwürdige Weise erworben worden ist. Da wird häufig versucht, es im sicheren Ausland zu verstecken. Die Schweiz hat als kleine Oase für Vermögensanleger auch deshalb eine gewisse Tradition, weil man dort auch mal die Augen zudrückt und nicht fragt, wo das angelegte Geld eigentlich herkommt.

Zuletzt haben wir viel über sogenannte „goldene Pässe“ gehört. Mehrere EU-Länder stellen diese Pässe gegen hohe Geldsummen aus. Man ist dann EU-Bürger und kann problemlos in die EU reisen, sich dort niederlassen und sein Geld ohne Einschränkungen transferieren. Wer Geld aus fragwürdigen Quellen in der EU anlegen will, profitiert davon.

Tim Krieger ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Freiburg.

Wie kann es dann sein, dass ein Land wie die Schweiz trotzdem Zugriff auf dieses Kapital hat und die Konten einfrieren kann?

Das ist eine rechtliche Frage. Der Schweizer Gesetzgeber kann beschließen: Wir verhängen jetzt eine Sanktion gegenüber einer bestimmten Geldbewegung oder dem Halten von Geldbeständen. In diesem rechtlichen Rahmen kann die Entscheidung getroffen werden, dass eine Bank ein bestimmtes Konto sperren soll. Das beschreibt dieses Einfrieren. Es kann dann kein Geld mehr auf dieses Konto überwiesen oder von ihm abgehoben werden.

Inwieweit ist das eine symbolpolitische Maßnahme?

Es gibt eine große symbolische Komponente bei der Sache. Um Konten von Präsident Putin einfrieren zu können, muss man erst einmal ausländische Konten von Putin finden. Er hat aber wahrscheinlich gar keine Konten im Ausland, deswegen ist ihm diese Maßnahme vermutlich ziemlich egal. Dieser Teil der Sanktionen ist definitiv Symbolpolitik.

Mit der Sanktionierung anderer Oligarchen möchte man ihnen das Leben im Westen schwermachen. Die Hoffnung ist, dass sich diese Oligarchen dann bei Putin beschweren, damit er den Grund für die Sanktionen, also den Krieg in der Ukraine, beendet. Ein großes Problem dabei ist allerdings, dass Besitztümer häufig nicht auf eine einzelne Person zurückzuführen sind. Man kann also auch die Oligarchen mit einer Beschlagnahme ihres Besitzes nicht so leicht treffen.

Wichtiger sind deshalb die weiteren Maßnahmen, die beschlossen wurden. Der Ausschluss Russlands aus dem Swift-System oder das Einfrieren der Konten der russischen Notenbank. Diese Sachen tun schon richtig weh. Ob diese Sanktionen längerfristig effektiv sind, müssen wir noch abwarten. Die Sanktionen sind ja erst seit wenigen Wochen in Kraft.

Gibt es nicht auch die Möglichkeit für die russische Regierung, einigen der Sanktionen auszuweichen, beispielsweise über Belarus oder China?

Belarus liegt teilweise auch schon unter Sanktionen und ist damit kein Ausweg. Hinzu kommt, dass der Ausschluss aus dem Swift-System für Russland tatsächlich tückisch ist, weil es eine Art Ankündigungssystem für Geldtransfers ist. Wenn da keiner mehr ankündigt, dann kann man zwar noch irgendwie Geld überweisen, aber nicht mehr in diesem großen Stil. Ein Ausweichen über andere Länder ist also viel komplizierter, weil Russland nur schwerlich bezahlen kann.

Es gibt trotzdem immer Ausweichmöglichkeiten. Über ehemalige Sowjetrepubliken, die nicht vom Zahlungsverkehr abgeschnitten sind, ist wirtschaftliches Handeln weiterhin möglich. Dieser Weg ist allerdings komplex und für Russland teuer, beispielsweise, weil die Transportrouten komplizierter werden.

China wiederum hat zwar gemeinsame politische Interessen mit Russland, möchte sich aber wirtschaftlich nicht von Russland schwächen lassen. Ein Großteil des chinesischen Einkommens wird durch Außenhandel generiert, deshalb möchte China nicht selbst mit Sanktionen wegen einer zu großen Nähe zu Russland belegt werden. Ein schwächeres globales Wirtschaftswachstum wäre für China ungünstig. Daher wird das Land Russland zwar stützen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. China ist in einer deutlich stärkeren Position als Russland und wird Russland selbst einen Preis für diese halbherzige Unterstützung zahlen lassen.

Schließlich müssen wir davon ausgehen, dass sich Russland auf die Sanktionen auch vorbereitet hat. Russland war immer ein Land, das nicht viel an Militärgütern importiert hat. Ein klassisches Embargo für Militärgüter spielt also keine Rolle. Im Bereich der Dual-Use-Güter, also Gegenstände, die man für zivile Zwecke kauft, die aber auch für militärische Zwecke genutzt werden können, wird man sich vorher eingedeckt haben. Aber auch hier werden die Sanktionen auf das Militär erst einmal nicht sehr stark wirken.

Nun wurden ja die Sanktionen teilweise relativ früh verhängt. Der Krieg dauert trotzdem an. Sind Wirtschaftssanktionen überhaupt ein erfolgreiches Mittel im militärischen Konflikt?

In der akademischen Debatte hat man herausgefunden, dass der Erfolg bei diesen Sanktionen in den letzten Jahrzehnten ungefähr bei 40-50% gelegen hat, wenn es um die Verhinderung oder die Beendigung eines Krieges geht. Die Erfolgsquote in der Vergangenheit war also nicht sonderlich hoch. Allerdings waren es meistens kleinere Länder, denen Sanktionen auferlegt worden sind. Da Russland so groß ist, ist es wahnsinnig schwer vorherzusagen, ob die Effekte ähnlich oder doch ganz anders sind.

Was man auch beobachten kann, ist, dass klassische Wirtschaftssanktionen wie ein Güterembargo zuletzt ersetzt worden sind durch sogenannte Smarte Sanktionen. Das sind Sanktionen, die sich auf eine kleine Gruppe von Personen konzentrieren, die politisch und militärisch einflussreich ist. So will man eine politische Reaktion erreichen, ohne die breite Bevölkerung allzu sehr zu treffen. Die westlichen Staaten haben im ersten Schritt diese Sanktion gegen die Oligarchen und bestimmte politische und militärische Führungsfiguren erhoben.

Danach wurden die Sanktionen sehr schnell auf klassische Handelsgüter und Dienstleistungen erweitert. Das waren beispielsweise Reparaturdienstleistungen bei Flugzeugen oder Güter, die hier als Ersatzteile dienen. Mit diesen Sanktionen sind wir schon weit gegangen. In solch einem Umfang haben wir das bisher wirklich nur sehr selten gesehen.

Außerdem sind wir noch nicht am Ende des Sanktionsregimes angekommen. Die nächste Stufe wäre tatsächlich zu sagen, wir verzichten komplett auf den Import von Öl und Gas aus Russland. Das würde Russland sehr stark zusetzen, weil damit der Zufluss von ausländischen Devisen einbrechen würde. Das ist allerdings auch als Gegensanktion im Gespräch und würde die Europäer selbst stark treffen.

Wie schätzen Sie denn die Bereitschaft von Staaten ein, noch schärfere Sanktionen gegen Russland zu verhängen?

Sanktionen sind dann erfolgreich, wenn es eine geschlossene Front von Ländern gibt, die das auch durchsetzt und für längere Zeit durchhält. Momentan gibt es eine relativ geschlossene Front.

Wenn der Krieg länger dauert und man keine Lösung findet, wird die Frage der Energieversorgung in Europa von zentraler Bedeutung sein. Einige Länder würden die Energielieferungen aus Russland weiterlaufen lassen wollen.

Wenn jetzt das Wetter besser wird, sodass wir mehr Wind- und Sonnenenergie produzieren können und weniger Gas brauchen, dann wird sich die Lage bis zum nächsten Herbst vermutlich erst einmal beruhigen. Wir bereiten uns über den Sommer sozusagen schon auf eine eventuelle Erdgas- und Ölknappheit im Winter vor.

Sollte die Energieversorgung im Herbst gesichert sein, könnte man tatsächlich diesen nächsten Schritt gehen und sich aus der Gas- und Ölabhängigkeit von Russland befreien. Momentan, denke ich, wird Deutschland dazu nicht bereit sein. Wenn das Flüssiggasterminal in Brunsbüttel schnell gebaut wird und im Herbst vielleicht schon betriebsbereit ist, wenn wir ausreichende Flüssiggaszulieferungen organisieren können, dann könnte man sich trauen, auch Nord Stream 1 oder eine andere Pipeline dichtzumachen. Andersherum, wenn wir das alles nicht schaffen, dann wird wahrscheinlich die geschlossene Front bröckeln. Hohe Preise und eine schlechte wirtschaftliche Lage werden die Politik unter Druck setzen.