Sarah Ly Brinkmann (li) und Annabelle Christ schreiben ihre Doktorarbeiten über die Studie „Mindful social networking“. Zusammen leiten sie die Projektkoordination.

Hallo Annabelle, hallo Sarah, ihr seid Doktorandinnen an der Uniklinik Freiburg und forscht am aktuellen Thema der Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung, eine Verhaltenssucht, die sich mit den Sozialen Medien beschäftigt. Was genau steckt dahinter?

Annabelle: Die sozialen Netzwerke werden im Leben so dominant, dass Betroffene darunter leiden. Hobbies, die einem Spaß machen, rücken in den Hintergrund. Die Menschen sind unzufrieden, weil sie so viel Zeit auf den sozialen Medien verbringen obwohl diese keine positive Wirkung mehr zeigen. Viele können sie aber nicht einfach ausschalten, weil es zu einem Zwang geworden ist.

Sarah: Die Soziale-Netzwerk-Nutzungsstörung, kurz SNS, kann man als Verhaltenssucht klassifizieren, aber die Unterscheidung zwischen einem normalen Konsum und einer Sucht ist nicht so einfach oder so schwarz-weiß, wie man denkt.

Es gibt viele Verhalten, die als problematisch eingestuft werden können, durch welche sich die Person selbst auch belastet fühlen kann. Nach den gängigen Kriterien der Verhaltenssüchte gibt es einige Phänomene die wichtig sind, beispielsweise der Kontrollverlust. Dadurch wird das Verwenden der sozialen Netzwerke weniger zum Hobby, welches bei Zeit und Lust durchgeführt wird, sondern zu einem Zwang.

Mit eurer Studie wollt ihr den Teilnehmenden vermitteln, wie sie soziale Netzwerke und Social Media nutzen können, ohne sich darin zu verlieren. Ihr bietet dazu einen Achtsamkeits-Kurs an. Was wollt ihr mit dem Kurs erreichen?

Sarah: Zum einen möchten wir die Achtsamkeit als Werkzeug mitgeben. Dabei geht es um zwei verschiedene Arten, nämlich die Achtsamkeit klassisch gesehen als Meditation und die sogenannte „informelle Achtsamkeit“. Diese findet vielmehr im Alltag statt, man versucht, sich immer wieder mehr im Moment auf seine Gefühle und Empfindungen zu konzentrieren.

Zum anderen besteht der Kurs aus Psychoedukation. Das ist kein Frontalunterricht, sondern findet im Gruppen-Setting statt. Wir hoffen sehr, dass der gemeinsame Austausch zu Lösungsansätzen beitragen kann.

Annabelle: Hauptaspekt der Sucht und vor allem der sozialen Medien ist der Automatismus: Hat man kurz Zeit, geht man ans Handy. Genau hier setzt die Achtsamkeit an: Die Teilnehmenden sollen lernen, Dinge nicht mehr automatisch, sondern bewusst zu machen.

Das Hauptziel des Kurses ist, Muster zu entwickeln, die einem gut tun und diesen Automatismus ausschalten. Unser Ziel ist, den bewussten Umgang mit den sozialen Medien zu fördern und diesen im Alltag zu pflegen.

Könnt ihr ein Beispiel für eine Aktivität geben, die im Achtsamkeits-Kurs durchgeführt werden soll?

Sarah: Ganz klassisch ist zum Beispiel die Sitzmeditation. Man konzentriert sich dabei ganz bewusst auf die Körperwahrnehmung und versucht, sich nicht gedanklich ablenken zu lassen. Oft springt man ja von einem Gedanken zum anderen und genau das versucht man abzustellen.

Annabelle: Dann gibt es auch die „Rosinen-Übung“. Man schaut eine Rosine an, nimmt sie in den Mund und versucht, sie so zu wahrzunehmen, als hätte man noch nie eine Rosine gesehen oder geschmeckt. Man soll die Dinge wirklich wahrnehmen, wie schmeckt und fühlt sich die Rosine an? Das sind also alles Übungen, die das bewusste Wahrnehmen fördern und dafür sorgen, dass man nicht so in seinem Kopf „gefangen“ ist.

Soziale Medien machen genau das Gegenteil von dem, was unsere Übungen bewirken. Sie reduzieren nämlich die Aufmerksamkeitsspanne, indem sie mit möglichst kurzen, intensiven Videos immer was Neues zeigen. Es geht bei der Achtsamkeit sozusagen darum, einen Schritt zurückzugehen.

Auf eurer Informationsseite schreibt ihr, dass der Kurs von einem Psychologen geleitet wird. Könnt ihr mehr zu diesem erzählen?

Sarah: Der Kurs wird vom Psychologen Dr. Fynn-Mathis Trautwein geleitet. Das ist nicht der Doktor, unter welchem wir unsere Doktorarbeiten schreiben, sondern eine Person, die mit der Studie an sich nichts zu tun hat.

Annabelle: Wir versuchen in so vielen Punkten wie möglich, die Durchführung und die Planung der Studie zu „entzerren“. Würden ich oder Sarah den Kurs leiten, könnte es sein, dass die Ergebnisse der Studie verzerrt werden. Auch sind wir dafür gar nicht qualifiziert. Deswegen leitet ein Psychologe den Kurs, der an der Uniklinik angestellt ist und viel Erfahrung mit Achtsamkeit und Meditation hat. Das ist für uns die perfekte Kombination. Wir stellen also nur die Aufgaben und klären die Struktur des Kurses.

Acht Sitzungen mit jeweils zwei Stunden, das ist ein großes Pensum für die Teilnehmer*innen. Was sind die Vorteile der langen Kursdauer und dem einwöchigen Abstand der Sitzungen?

Annabelle: Achtsamkeit ist etwas, was man üben kann, das passiert nicht automatisch. Zuhause sollen Übungen aus dem Kurs durchgeführt werden, die auch in den Alltag eingebaut werden sollen. Achtsamkeit ist im Grunde genommen fast ein Persönlichkeitszug, der entwickelt werden muss. Wir haben lange über die Dauer des Kurses nachgedacht und haben uns auch daran orientiert, was für Kurse es bereits gibt und wie das andere machen.

Wer kann an der Studie teilnehmen?

Sarah: Die Teilnehmer*innen dürfen nicht bereits in Psychotherapie für eine SNS sein, da das Achtsamkeits-Training im Rahmen der Studie stattfindet. Im Idealfall sollte sich nämlich eine Verbesserung der Symptome während der Teilnahme zeigen und dann könnten wir nicht differenzieren, ob diese wegen des Achtsamkeits-Trainings oder der bereits stattfindenden Psychotherapie gelindert worden sind. Die Studie richtet sich also an Personen welche unter einem übermäßigen Konsum der sozialen Medien leiden und Suchtverhalten zeigen.

Annabelle: Wir machen die Studie, um später sagen zu können, dass unser Achtsamkeits-Training eine mögliche Therapie für Betroffene der SNS ist. Dafür ist es wichtig, dass wirklich eine Sucht vorliegt. Wir können das leider nicht für alle anbieten.

Ihr schreibt auf eurer Homepage, dass im Rahmen des Aufnahmeverfahrens ein „Klinisches Interview“ durchgeführt wird. Was bedeutet das genau?

Annabelle: Es geht für uns in den Interviews darum, einen Eindruck von der Person und ihren Bedürfnissen zu bekommen. Wir müssen am Ende entscheiden können, ob die Person für die Studie geeignet ist, ob zum Beispiel eine Sucht vorliegt.

Sarah: Das ist nur ein formaler Begriff, der Teilnehmer*innen auf keinen Fall abschrecken soll. Im Prinzip ist es ein Fragebogen, der neun Kriterien abfragt. Sind diese erfüllt, liegt eine Verhaltenssucht vor. Nach dem Fragebogen stellen wir dann selbst noch ein paar Fragen. Die bisherigen Interviews liefen alle entspannt und locker ab. Wir können die Teilnehmer*innen nicht diagnostizieren, weil wir weder Ärztinnen noch Psychotherapeutinnen sind, aber das Interview dient zu unserer Einschätzung der Situation.

Der Achtsamkeits-Kurs ist also für Menschen gedacht, die soziale Medien übermäßig nutzen. Es gibt auch Menschen, für die das nicht zutrifft, aber trotzdem etwas an ihrem Umgang mit sozialen Medien verbessern wollen. Habt ihr Tipps für sie?

Sarah: Ich glaube, grundsätzlich gibt es sehr viele Achtsamkeits-Angebote. Es gibt auch viele Apps oder Bücher über das Thema. Teilweise ist die Achtsamkeit auch im Yoga ein Element. Wenn man sich dafür interessiert, sollte man es einmal ausprobieren und schauen, ob man dazu einen Zugang findet.

Man sollte auch seinen Konsum der sozialen Medien ernst nehmen. Wenn man davon gestört ist, wie viel man konsumiert, dann sollte man sich vornehmen, es zu verringern. Die Ausrede „Das machen sowieso alle heutzutage“ und der Gedanke, dass der Konsum in Ordnung sei, weil das eben alle machen, sind ein leichter Ausweg. Aber man sollte ihn nicht nehmen.

Annabelle: Auch wenn man nicht an einem Achtsamkeits-Kurs teilnimmt, dieses Bewusstsein für den Medien-Konsum und das Bemerken des Moments, in dem man zum Handy greift, lässt sich gut fördern. Das bringt auch im Alltag viel.