„Ich will eine Seebestattung.“ Meine Schwester, Mitte 20, schaut mich ernst an. Wir sitzen mit meiner Mutter am Esstisch, die Teller sind inzwischen geleert, und reden darüber, wo es mit uns hingehen soll, wenn es dann mal so weit ist. Dass sich eine junge Frau mit ihrem Tod befasst, wirkt auf mich befremdlich. Es kommt mir so absurd vor, dass ich kichern muss. Unpassend, aber auch irgendwie normal.

Wann reden wir schon über den Tod? Eigentlich nur, wenn es uns betrifft. Das ist auch bei uns der Fall: Nach langer Krankheit ist mein Vater gestorben. Ich habe es immer noch nicht ganz begriffen. Eine geliebte Person, die dich dein ganzes Leben begleitet hat, die schon immer da war und es eigentlich noch lange sein sollte, ist plötzlich weg. Für immer. Dennoch fühlt es sich an, als würde Papa gleich aus seinem Arbeitszimmer kommen, um sich ein Brot zu machen und meiner Mutter kurz ein Küsschen zu geben. Nur kommt da niemand. Wie man so einen Verlust begreifen soll, ist mir ein Rätsel.

Wir beschäftigen uns innerhalb der Familie schon seit einiger Zeit mit dem Tod, dem Sterben und allem, was dazu gehört. Schließlich war mit der Diagnose klar, dass mein Vater nicht mehr lange zu leben haben wird. Davor habe ich mich kaum damit befasst. Warum auch, es ist nicht gerade ein schöner Gedanke. Das Sterben würden wir alle gerne auslassen. Es ist bedrückend und traurig, da reden wir nicht drüber, es ist in gewisser Weise tabu. Warum?

Nicht immer haben wir die Zeit, uns mit dem Ende des Lebens zu beschäftigen

Manchmal kommt der Tod plötzlich, es ist ein Verkehrsunfall, ein Sturz oder irgendwas anderes und ein Mensch ist ganz plötzlich nicht mehr da. Dann erleben wir nicht nur den Kummer und den Schock, sondern müssen auch jede Menge planen: Urne oder Sarg und welches Modell, welcher Friedhof, welche Kirche oder Trauerhalle, welche Blumen für die Gestecke, wer soll zur Beerdigung kommen, wer soll die Rede halten, Traueranzeige – ja oder nein? Dann ist es eine Stütze, zu wissen, was sich die verstorbene Person vorgestellt hat.

Denn der Tod ist in gewisser Weise so kommerzialisiert wie der Rest des Lebens. Du schaust Kataloge voller Urnen durch, hältst ab und zu inne und sagst: „Die wäre doch gut“, als ginge es um ein Kleidungsstück. Das Sterben wird strukturiert wie das Leben, denn dazu gehört es ja auch: Zur Geburt gehört der Tod. Das gilt nicht nur für die Person, die aus dem Leben tritt, sondern auch für die Hinterbliebenen. Auch sie begegnen dem Tod, auch für sie wird der Tod Teil ihres Lebens.

Trotzdem finde ich nicht, dass jede Person schon die eigene Beerdigung angehen muss. Ich kann zwar verstehen, dass es – vor allem älteren – Leuten die Angst vorm Sterben nimmt, wenn sie sich mit ihrem Ableben auseinandersetzen, und alles geregelt wissen, wenn es so weit ist. Aber das ist sicher kein Weg für alle. Nur: Warum kann Trauer, Abschied, Tod, nicht Teil von unserem Leben sein? Warum ist da so wenig Diskurs, so wenig Aufmerksamkeit? Weil es nicht schön ist?

Zum Tod zählt der Abschied und mit dem will man sich nicht beschäftigen, bis man es muss

Dadurch, dass wir das Gespräch vermeiden, werden die Betroffenen mit ihrer Trauer unsichtbar. Ein Abschied fällt schwer und das Thema wird die Hinterbliebenen lange beschäftigen, länger als die Wochen, in denen die Trauerkarten eintrudeln. Nach den Beileidsbekundungen, der Beerdigung und der formalen Verabschiedung geht die emotionale Verarbeitung weiter – vielleicht beginnt sie da auch gerade erst.

Ich persönlich glaube: Man kann den Tod mit all seinen Folgen nicht begreifen, wenn man es nicht muss. Dass nicht jeder Mensch weiß, wie er auf schwere Krankheit, Tod oder Trauer reagieren soll, ist absolut verständlich und normal. Schließlich reagieren die Betroffenen auch individuell und brauchen unterschiedliche Arten der Unterstützung. Es wäre selbstbezogen und egoistisch zu fordern, dass alle Verständnis aufbringen müssen, auf eine bestimmte individuell geforderte Weise reagieren oder sich überhaupt mit der Tatsache auseinandersetzen.

Was ich mir aber wünsche: Mehr Diskurs. Mehr Sichtbarkeit.

Der Tod betrifft uns alle irgendwann, trotzdem gibt es viele, die jemanden verloren haben, und sich in ihrer Situation allein fühlen. Ich persönlich habe erst begriffen, wie viele betroffen sind, als ich selbst dazu gehörte.

Was ich damit sagen will: es gibt keinen Grund, am Esstisch zu kichern. Es ist dennoch auch nicht schlimm, es zu tun. Der Umgang mit Sterben und Tod ist ungewohnt und geht einher mit Emotionen, die jeder Mensch anders erlebt. Trauer ist berechtigt, Angst vielleicht auch. Aber all das ist normal, sowohl das Geschehnis wie auch die Gefühle.

Es kann helfen, darüber zu reden: Der Tod verliert nicht an seiner Schwärze, an seiner Trauer, wenn man sich mit ihm beschäftigt. Aber vielleicht verliert er an seiner Abstraktheit, an seiner Unbegreiflichkeit und an dem Gefühl, allein damit zu sein. Brecht die Beklemmung auf! Vom Reden stirbt noch keiner.