Thomas Hardy: Tess (1891)

Der Klassiker “Tess” von Thomas Hardy beschreibt das Leben einer jungen Frau Ende des 19 Jahrhunderts. Dabei lassen Bilder von Volksfesten und monströsen Maschinen die*den Leser*in in ein Miteinander der damaligen Zeit eintauchen. Besonders der Moralkodex der Zeit fällt unangenehm auf, erinnert möglicherweise an den noch heute spürbaren männlichen Egozentrismus oder daran, wie sehr Vorstellungen von Sitte und Anstand einengen. Im Gegensatz zu Protagonist*innen anderer Klassiker aus Hardys Zeit ist Tess eine authentische Hauptfigur, die eine Entwicklung durchlebt und scheitert.

Hannah Müller

Antonio Tabucchi: Erklärt Pereira (1994)

„Pereira“ heißt auf Portugiesisch „Birnenbaum“. Allerdings handelt Tabucchis Roman nicht von Obstbäumen. Der Lissabonner Kulturredakteur Dr. Pereira berichtet von seinen Erfahrungen in der portugiesischen Hauptstadt des Sommers 1938.

Man reist mit Pereira über die sieben Hügel der Stadt, durch ihre Cafés, vorbei an pastellfarbenen Häusern und Keramikkacheln. Fort vom Freiburger Herbst entführt das Buch in die Sonne. Nur das Salazar-Regime wirft einen Schatten auf das sommerliche Lissabon.

Nils Bentlage

Milena Agus: Die Frau im Mond (2006)

Momentan lese ich den Roman „Die Frau im Mond“, geschrieben von der italienischen Autorin Milena Agus und 2006 unter dem Originaltitel ‘Mal di pietri’ bei edizioni nottetempo in Rom erschienen.

In ihrem Werk erzählt sie die Geschichte ihrer Großmutter, die sich gegen Ende des zweiten Weltkriegs zuträgt. Die sardische Bauerntochter ist jung und schön, doch findet sie trotz oder gerade wegen ihrer Sehnsucht nach der wahren Liebe keinen passenden Partner. Ihre heimliche Leidenschaft ist das Schreiben von leidenschaftlichen Briefen, die von ihren Empfängern wiederum als anzüglich interpretiert werden. Nachdem sie schließlich aus sozialem Druck einen Witwer heiratet, lernt sie während eines Kuraufenthalts einen heimgekehrten Veteran kennen und verliebt sich in ihn.

Auf das Buch bin ich zufällig gestoßen, als ich es in einem öffentlichen Bücherschrank in der Wiehre stehen gesehen habe. Ich hatte zuvor weder von dem Titel noch der Autorin etwas gehört.

Die Lektüre ist ein guter Ausgleich zu den Texten, die ich für die Uni lese. Der Roman ist außerdem nur gute 130 Seiten lang und aufgrund vieler Seitenumbrüche schnell gelesen.

Man kann einerseits Parallelen zwischen der Handlung und unserer aktuellen Situation ziehen, indem man den Fokus auf den allgemeinen Umgang mit Ausnahmezuständen lenkt (wobei ich einen Weltkrieg und eine Pandemie keineswegs gleichsetzen möchte). Man erkennt: Wir sind nicht die einzigen beziehungsweise ersten Menschen, die Einschränkungen unterliegen und denen dadurch Chancen verwehrt bleiben. Unter diesem Gesichtpunkt kann man sich vielleicht auch besser in eine Zeit versetzen, die unsere Großeltern und Urgroßeltern erlebten.

Andererseits kann man diesen Aspekt aber auch getrost ausblenden, in eine ganz andere Zeit und Thematik abtauchen und der momentanen Realität für kurze Zeit entfliehen.

Das Schicksal einer jungen Frau, die in ihrem Denken und ihren Ansprüchen an das Leben vielen ihrer Zeitgenoss*innen in den 50er Jahren um einiges voraus war, berührt auf einer höchst emotionalen Ebene. Die Handlung ist ruhig und dennoch mitreißend. Eine subtile Melancholie, die gut in den späten Herbst passt, schwingt beim Lesen mit. Doch die Geschichte vermittelt auch ein Gefühl des Vertrauens darin, dass alles gut werden wird und somit vielleicht einen Funken Hoffnung in dem diesem Jahr besonders schweren Winter.

Maleen Pogoda

Wolf-Dieter Storl: Wir sind Geschöpfe des Waldes. Warum wir untrennbar mit den Bäumen verbunden sind (2019)

Was verbindest du mit dem Herbst? Bunte Blätter, Pilzgeruch und Waldspaziergänge? Dann ist das Buch „Wir sind Geschöpfe des Waldes: Warum wir untrennbar mit den Bäumen verbunden sind“ vom Bestseller-Autor und Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl genau die richtige Herbstlektüre für dich.

Diese „Biographie“ zwischen Wald und Mensch beginnt ganz von vorne in der Geschichte unserer Vorfahren und hangelt sich entlang der Weiterentwicklung des Menschen, seiner Gesellschaftsformen, Lebensweisen und Glaubensideen weiter zu der unvermeidbaren Erkenntnis, dass wir auch heute noch sehr viel mehr Bezug zum Wald haben, als wir auf den ersten Blick meinen würden. Wusstest du zum Beispiel, dass das deutsche Wort “Buchstabe” nicht vom Wort “Buch” sondern vom “Stab einer Buche” kommt? Auf diesen beständigen Hölzern ritzten die alten Germanen vor Hunderten von Jahren nämlich ihre Runen.

Sophie Weimann

Robert Seethaler: Das Feld (2018)

Was passiert nach dem Tod? Womit sich die Menschen nach ihrem Ableben auseinandersetzen, darüber schreibt Robert Seethaler in seinem Roman „Das Feld“.

Mit Ehrlichkeit, Empathie und viel Liebe zum Detail lädt uns Seethaler in die Welt der Verstorbenen des kleinen Städtchens Paulstädt ein. Wir lauschen den Stimmen, die vom Friedhof aufsteigen. Sie gewähren uns einen flüchtigen, dafür umso intimeren und tieferen Einblick in ihr vergangenes Leben.

Trotz aller Unterschiede verbindet die Bewohner*innen von Paulstädt etwas. Gedanken und Sorgen über das alltäglich Banale, Krankheiten, Religion, Familie, Freundschaften und Partnerschaften. Die Geschichten erfassen die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen: Liebe, Wehmut, Reue, Glück, Eifersucht, Wut, aber auch Einsamkeit, Mut und das Gefühl von Freiheit. Wie ein Puzzle verbinden sich die einzelnen Erzählungen zu einem großen Ganzen und gewähren damit nicht nur Einblick in die Dynamiken Paulstädts, sondern lassen sich auch auf das eigene Leben übertragen.

Arlette Weiland

Vladimir Vertlib: Zwischenstationen (1999)

Kann Heimat in der Heimatlosigkeit entstehen? Das ist die Frage von Vladimir Vertlibs Kindheit. Wer denkt, die jüdische Diaspora habe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geendet, der irrt. Rührend und voller Hoffnungen, teils zum Lachen komisch, teils zur Verzweiflung treibend, verarbeitet der russisch-jüdische Vertlib den Immigrationsversuch seiner entwurzelten Kleinfamilie. Mit dem Bewusstsein eines Jungen stürzt er uns in eine schier endlose Kette an Irrfahren voller Skurrilitäten: Russland, Wien, Israel, Holland, Italien, die USA, dann wieder zurück nach Wien – alles nur Zwischenstationen. Und doch bleibt die Geschichte durch den familiären Zusammenhalt zutiefst positiv. Ein wohliges Gefühl, genau richtig für die oft so kalte Herbstzeit.

Leon Waldmann

 

Eine Gemeinschaftsproduktion von uniONLINE. Fotos & Texte:
Leon Waldmann, Arlette Weiland, Sophie Weimannn, Maleen Pogoda,
Nils Bentlage, Hannah Müller, Teaserfoto: Sophie Weimannn