Ich bin pünktlich. 15 Uhr wie verabredet. Mein Block liegt bereit. Ich drücke die Wahltaste der Skype Browser Version. Ein Mal. Zwei Mal. Niemand hebt ab. Ich ärgere mich ein wenig. Diese Italiener mit ihrer Gemütlichkeit… Halb-Italienerin in diesem Fall, na gut.

Nach 10 Minuten sehe ich endlich ein Bild. Vor mir sitzt vor einer weißen Wand Isabella. Halblange Haare, blaue Augen, Sommersprossen und ein Lächeln mit Grübchen. Mein deutscher Starrsinn verfliegt so schnell, wie er gekommen ist. Selbst über die Distanz hinweg ist ihre warmherzige Ausstrahlung entwaffnend. Wir kennen uns nur flüchtig. Ihre Nummer habe ich von ihrem Bruder. Er hatte mir vor einiger Zeit, bei einem Treffen in München erzählt, dass seine Schwester das unwahrscheinliche Los der Genetik-Lotterie gezogen hat – und Knochenmark-Spenderin geworden ist.

Eigentlich habe ich mir Fragen zurechtgelegt. In den nächsten 39 Minuten werde ich genau vier davon stellen. Und mehr als einmal staunend Neues erfahren. Isabella erzählt. Und sie tut es nicht einfach narrativ. Aus jeder Information spricht Eigenrecherche und Herzblut, jede Erinnerung kommt in Begleitung eines Lächelns. Ganz so, als würden wir hier über einen persönlichen Glücksmoment plaudern, nicht über einen Eingriff unter Vollnarkose, der Schmerzen verursacht und eine einwöchige Krankschreibung nach sich zieht. Doch sie erzählt und lacht. Und ich frage mich: Warum war ich vorhin eigentlich so mürrisch?

Alle 15 Minuten: Diagnose Blutkrebs

Vielleicht liegt es an meiner Recherche zum Thema Knochenmark-Spende. Laut Homepage der DKMS, der “Deutschen Knochenmarkspenderdatei”, erhält in Deutschland alle 15 Minuten ein*e Patient*in die Diagnose Blutkrebs.

Es sind oft Kinder und Jugendliche, deren einzige Chance eine Stammzellspende ist. Doch jede zehnte Person wartet vergebens. Trotz des Minimalaufwandes sich testen zu lassen und Erfolgen der letzten Zeit, gibt es noch immer Lücken in der DKMS.

Die gemeinnützige Organisation wirbt mit Plakaten, auf denen Wattestäbchen abgebildet sind, nebenstehend Appelle wie “Mund auf. Stäbchen rein” oder “Sei auch du ein Held”. Gesehen habe ich die Plakate oft, aber es ist wie bei so vielen Printmedien der heutigen Zeit: Optische Reize und ansprechende Typografie alleine reichen nicht. Es braucht auch einen inneren Anstoß, um die Leute zu motivieren.

Club der roten Bänder

So dachte ich bis jetzt. Isabella überrascht mich mit der Info, anfangs weder ein persönliches Motiv, noch eine besondere Motivation gehabt zu haben. Zur Speichelprobe im Februar 2017 hatte sie eine Freundin überredet. “Ich bin im Nachhinein echt froh, dass ich´s gemacht habe” sagt sie strahlend und nimmt dabei Frage fünf meines Merkzettels vorweg. Vielleicht war es sogar gut, dass zwischen dieser spontanen Tat und dem Anruf der DKMS über ein Jahr verstrich – ungewöhnlich lang, wie auch Isabella anmerkt. In der Zwischenzeit arbeitete etwas in ihr. “Kennst du die Serie ,Club der Roten Bänder’?”, fragt sie.

Ich kenne sie tatsächlich. Die erste Staffel der deutschen Produktion, einer Mischung aus Komödie und Drama, startete vor rund fünf Jahren auf einem privaten Sender. Sie dreht sich um den Alltag mehrerer Jugendlicher im Krankenhaus, die dort aufgrund ihrer Erkrankung längere Zeit leben. Durch die Bändchen an ihren Handgelenken inspiriert, gründen sie den “Club der roten Bänder”. Zwei der sechs Mitglieder sind dabei an Krebs erkrankt. Vor allem Leo, der Anführer und die Hauptfigur der Serie, wächst dem Zuschauer durch seinen Humor und Kampfesgeist ans Herz. Am Ende der dritten Staffel verliert er jedoch den Kampf gegen seine Krankheit. Die Serie habe Isabella inspiriert, sagt sie. Danach fing sie an, sich besser zu informieren und Menschen auf Instagram zu folgen, die an Krebs erkrankt sind.

Blutabnahme, Ultraschall, OP

Als sich die DKMS über ein Jahr später, im April 2018 tatsächlich meldet, zögert Isabella nicht. Sie sagt der Spende zu. Bis zum eigentlichen Eingriff sollten allerdings noch weitere sieben Monate verstreichen. Man schickt ihr als erstes ein Blutabnahmeset und macht einen Termin beim Hausarzt aus (Isabella lachend: “Es wird oft Blut abgenommen!”). Und auch die nachfolgende Zeit regelt und organisiert die DKMS alle nötigen Schritte, stellt Isabella sogar eine persönliche Betreuerin zur Seite. Immer wieder wird sie von ihr gefragt, ob sie an ihrem Entschluss festhalten möchte, oder es sich doch anders überlegt hat. Aber Isabella bleibt dabei: “Wenn du da einmal drin bist, machst du’s einfach”.

Und so fährt sie in Begleitung ihrer Mutter im November nach Nürnberg, wo bereits einen Monat zuvor eine zeitaufwendige Voruntersuchung stattgefunden hatte. Der aufwendige Allround-Check mit Ultraschall der Organe, erneuter Blutabnahme und einem Anästhesiegespräch, stimmen Isabella nicht um. Auch dieses Mal kümmert sich die DKMS um Anreise und Hotel. Und dann folgt ihre erste OP überhaupt.

“Alle sagen, es fühlt sich nach dem Eingriff an, wie ein Muskelkater. Ich finde es fühlt sich eher an, wie ein Druck. Aber nur kurz beim Liegen und Sitzen in bestimmten Positionen. Das war definitiv zum Aushalten.”

Erschöpft ist sie nach der OP aber schon. “Ich hatte zum Glück nach der einen Woche Krankschreibung zwei Wochen Urlaub geplant, um weg zu fahren. Gemacht hab ich da dann aber nichts, außer zu schlafen”, erinnert sie sich.

“Der schönste Brief meines Lebens”

Gerne hätte sie die Person, für die sie gespendet hat, kennengelernt. “Die Person”, das ist in ihrem Fall ein kleiner Junge zwischen null und sechs Jahren, der in Italien lebt. Das sind alle Infos, die sie hat. Laut Regelung Italiens haben darf. “Es kommt aufs Ursprungsland des Empfängers an, ob man ihn kennen lernen kann”, sagt sie. Möglich sei in ihrem Fall nur ein anonymer Briefkontakt, der über die DKMS als zwischengeschaltete Instanz gehe. In Deutschland lebende Empfänger*innen dürfen, wenn die spendende Person einverstanden ist, nach zwei Jahren direkten Kontakt aufnehmen.

Isabella freut sich, dass ihre Spende ausgerechnet in ihr zweites Heimatland ging. Dort sei sie für ihren Empfänger erst einmal zwei Jahre “reserviert”, falls dieser in der kritischen Anfangszeit nochmals ihre Zellen benötigen sollte. Das ist bis heute zum Glück nicht passiert. Und in wenigen Monaten sind die zwei Jahre um.

Isabella erinnert sich genau, wie spätestens ein Brief ein halbes Jahr nach der OP allen Aufwand vergessen gemacht hat. Darin stand, dass es dem kleinen Jungen gut gehe, sein Körper die Spende erfolgreich angenommen habe. “Es war der schönste Brief meines Lebens”.

Als ich wenig später auflege, bin ich nachdenklich. Das Wattestäbchen-Plakat mit seinem Appell “Sei auch du ein Held!” erscheint vor meinem inneren Auge. Er kommt mir auf einmal gar nicht mehr so kitschig vor. Als ich Skype geschlossen habe, befehle ich dem kleinen Maus Cursor weiter über meinen Bildschirm zu fliegen, hin zur Google-Suchleiste. Wie von selbst, tippen meine Finger die Worte Test für Knochenmarkspende Freiburg ein…