Hallo Frau Haas, als Kuratorin für das Uniseum kennen Sie sich mit der Geschichte der Universität Freiburg gut aus. Vor 125 Jahren begann die erste Frau mit ihrem Studium an der Uni Freiburg. Wie war das möglich, wie kam es dazu? Was hat sie studiert?
Möglich wurde es durch ein Mädchengymnasium, das in Karlsruhe eingerichtet wurde. Ein großes Argument gegen das Frauenstudium in Deutschland war immer, dass Frauen kein Abitur hätten. Für Mädchen gab es kein Gymnasium, sondern nur für Jungs. Mädchen war es nur möglich die höhere Töchterschule zu besuchen. Dort bekamen sie eine Ausbildung für Haushaltsführung, Familie und Kindererziehung. Mit dem Gymnasium für Mädchen gab es die ersten Frauen mit Abitur. Diese Frauen gingen dann als Gasthöherinnen an Universitäten in Deutschland.
In anderen europäischen Ländern durften Frauen schon früher studieren, schon ab den 1860er Jahren, in Deutschland war es als Frau erstmal nur möglich als Gasthörerin teilzunehmen.
Gasthörerstatus war auch immer vom Wohlwollen des Professors abhängig, diesen musste man um Erlaubnis bitten, um in die Vorlesung gehen zu dürfen. Als Gasthörerinnen durften sie keine Klausuren mitschreiben und somit auch keinen offiziellen Universitätsabschluss erhalten.
Der Verein „Frauen Bildung – Frauen Studium“ unterstützte die Frauen dabei und ermutigte diese auch, für ein Frauenstudium einzustehen. Eine dieser Gasthörerinnen war Johanna Kappes, die eine Petition an den Rektor schrieb und verlangte, mit ihrem Abitur auch einen Universitätsabschluss machen zu dürfen.
Der damalige Rektor wollte diese Entscheidung nicht allein treffen. Die Universität hatte Angst, sie würde sich lächerlich machen, indem sie Frauen an der Universität zuließ. Der damalige Prorektor Steinmann leitete die Petition an das badische Kultusministerium im Großherzogtum Baden weiter. Dort war man liberaler eingestellt, da man auch vorher schon das Mädchengymnasium zugelassen hatte. So wurden Frauen probeweise als offizielle Studentinnen zugelassen. Den Gasthörerinnen in Freiburg wurde ermöglicht, sich als Studentinnen umzuschreiben, wenn sie ein deutsches Abitur vorweisen konnten. Insgesamt konnten das in Freiburg damals fünf Frauen machen. Alle fünf Frauen studierten Medizin.
Kann man daraus schließen, dass sich etwas politisch geändert hatte, damit Frauen zum Studium zugelassen werden konnten?
Ich denke, das war eine wichtige Grundlage. Es gab auch schon vor der Petition von Johanna Kappes Umfragen an deutschen Universitäten zum Thema Frauenstudium. Die meisten Universitäten stimmten damals noch für nein ab. An der Universität Freiburg war der Prorektor Steinmann liberaler eingestellt. Seine Frau hatte sich im Verein „Frauen Bildung – Frauen Studium“ engagiert. Viele Professoren wollten auch ihren Töchtern ermöglichen zu studieren.
Lange Zeit gab es negative Stimmen zum Frauenstudium. Das Mainstreamdenken war, dass Frauen rein körperlich nicht studieren könnten. Frauen, die im Medizinstudium Leichen aufschneiden sollten, galten als unschicklich. Auch ging man davon aus, dass Frauen aufgrund ihres kleineren Kopfes und Gehirnes und des daraus folgenden geringeren Denkvermögens nicht studieren könnten.
Als das Großherzogtum Baden dann aber das Frauenstudium zuließ, haben auch alle anderen Fürstentümer nachgezogen. In Bayern war es dann 1903, als letztes Preußen und Mecklenburg 1909.
Hat sich der Universitätsalltag der Studentinnen von dem der Studenten unterschieden?
Interessant ist, dass die Frauen versucht haben, den studentischen Alltag der Männer nachzuahmen. Die meisten Studenten waren in einer Verbindung. Auch Frauen haben dann Frauenverbindungen gegründet. Später gab es dann auch gemischte Verbindungen.
Was den Alltag betrifft stießen Frauen auf große Probleme, die uns heute etwas seltsam vorkommen. Es gab zum Beispiel keine Mensa, wie wir sie heute kennen. Die Mensa wurde erst 1921 gegründet, aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage damals. Bis dahin mussten Studenten sich um einen Mittagstisch kümmern, man aß in einer Pension oder eben dort, wo man ein Zimmer hatte. Manchmal aber auch in Gasthäusern, dort gab es Mittagstische für Studenten.
Für ärmere Studenten gab es auch sogenannte Freitische. Gasthäuser oder Bürger konnten für ärmere Studenten ein Semester lang ein Mittagessen spendieren. Für die ersten Studentinnen war es schwierig, allein in ein Gasthaus zu gehen, weil es damals unschicklich war, als Frau ohne männliche Begleitung in ein Gasthaus zu gehen.
Auch die Zimmervermietungen waren anfangs schwierig. Männliche Kommilitonen hatten sich oftmals auch über ihre weiblichen Mitstudenten lustig gemacht. Und auch Professoren hatten bis weit ins 20. Jahrhundert Vorurteile gegenüber Frauen und prüften diese strenger.
War der Alltag in den weiblichen Verbindungen denn ähnlich wie der in den männlichen? Wurde dort auch gefeiert und getrunken oder lief das eher gesittet ab?
Es gab auf jeden Fall keine schlagende Verbindung bei den Frauen. Was man auch weiß ist, dass Studenten in ihrer Universitätszeit gerne im Unikarzer einsitzen wollten. Dort saß bis 1920, solange gab es die Karzer, aber keine Frau ein. Meistens saß man im Katzer ein wegen zu viel Alkoholeinfluss. Das war für die Studentinnen aber undenkbar, sie konnten nicht in Bars gehen und randalieren.
Meine Theorie ist, dass den Frauen bewusst war, dass sie sich benehmen und anpassen mussten. Bei einem möglichen Vorfall wäre ihr Studium wieder in Frage gestellt worden. Wie es genau in den Verbindungen ablief, kann man heute aber nicht mehr sagen.
Im Nationalsozialismus propagierte man eher ein Bild von Frauen am Herd und bei den Kindern. Konnten Studentinnen denn während der Zeit des Nationalsozialismus weiter studieren?
Im Nationalsozialismus propagierte man, dass Frauen zu Hause bleiben sollten. Die Ideologie des Nationalsozialismus sah Frauen zuhause am Herd und bei der Familie. Es gab aber kein Gesetz, das es ihnen verbat zu studieren. Es war aber nicht gewollt, dass Frauen in großen Massen an der Universität studierten.
Man hat dann die Zulassung von Neuimmatrikulation von Frauen eingeschränkt, indem eine Quote eingeführt wurde. Je Land durften ab 1933 max. 10 Prozent Frauen sich neu einschreiben. Anderseits war die Universität froh, dass als der Krieg ausbrach und Männer an der Front kämpften, es aufgrund von Frauen an der Universität noch Studierende gab. Nach dem Krieg konnten Männer dann schnell in den Universitätsalltag zurückkehren.
Frauen erfuhren hier wieder eine Zurücksetzung, wenn es um die Vergabe der wenigen Studienplätze ging.
Und wie war es während der NS-Zeit für jüdische Studentinnen?
Bei jüdischen Studierenden gab es eine Quote, die war geschlechterunabhängig. Man feindete jüdische Studierende im Uni-Alltag an. Insbesondere der NS-Studentenbund war sehr radikal. Jüdische Studierende erhielten dann auch einen gelben Studentenausweis, den diese immer mitführen mussten. Der Zutritt zur Unibibliothek und zur Mensa war ihnen nicht gewährt. Auch das Staatsexamen war für sie nicht möglich.
Infolge der Reichspogromnacht 1938 war es Juden dann auch nicht mehr möglich zu studieren. Bereits 1934 durften jüdische Studierende in Baden auch nicht mehr promovieren. Jüdische Lehrende und Verwaltungsmitarbeiter*innen mussten aufgrund eines Reichgesetztes bereits im Frühjahr 1933 die Uni verlassen.
Dazu gehörte zum Beispiel Berta Ottenstein. Sie war die erste Frau, die an der Universität Freiburg ihre Habilitation geschrieben hatte. Einige der jüdischen Professoren emigrierten. Gerade bei den Frauen weiß man aber, dass sie ihre akademische Laufbahn nicht weiterverfolgten, da sie oftmals eher ihre Ehemänner dabei unterstützten, im Ausland ihre Karriere weiterzuverfolgen.
Wann gab es die ersten Doktorandinnen und Professorinnen an der Universität Freiburg?
Die erste Promotion einer Frau gab es schon in den 1890er Jahren. Die Frauen benötigten jedoch eine Sondergenehmigung, um überhaupt promovieren zu können. Meist haben sie im Ausland studiert und waren als Gasthörerinnen an deutschen Universitäten eingeschrieben.
Erst nach der Zulassung des Frauenstudiums war es für Frauen offiziell möglich zu promovieren. Die Erste, die dies an der Universität Freiburg konnte, war Natalie Wipplinger im August 1900. Als Doktorandin konnte man dann auch als Assistentin arbeiten. Da gibt es zum Beispiel Edith Stein, die bei dem Philosophen Edmund Husserl gearbeitet hat.
Bekannt ist aber auch, dass Frauen dann oftmals lästige Lehrarbeiten abnahmen und zum Beispiel Einführungskurse gaben oder Akten sortierten. Edith Stein wollte ihre Habilitation schreiben, Husserl lehnte dies aber ab. Stein versuchte es weiter in Göttingen, wurde dort aber auch abgelehnt. In den 20er Jahren versuchte sie es dann nochmal in Freiburg, aber auch da wurde sie wieder abgelehnt.
Eine andere Assistentin war Hilde Mangold, diese hatte Anfang der 20er Jahre als Assistentin von Hans Spemann gearbeitet. Sie betrieb unter anderem die Hauptforschung für die Spemann dann 1935 einen Nobelpreis bekam. Mangold verstarb jedoch elf Jahre zuvor durch einen Unfall.
Man konnte als Frau also studieren und auch promovieren, aber eine Habilitation war an der Universität Freiburg erst ab 1931 möglich. Die erste Professorin wurde erst in den 50er Jahren an die Universität Freiburg berufen. Das war Elfride Husemann in der Chemie.
Man hat zuerst eine außerplanmäßige Professur eingerichtet, die dann erst nach ein paar Jahren eine ordentliche Professur wurde. Es war eine Hausberufung. Meistens bekamen Frauen erst eine Professur, wenn sie schon langjährig in der Universität gearbeitet hatten. Die erste „Außerhausberufung“ fand erst Ende der 70er Jahre in Freiburg statt. Das war Sabine von Kleist, sie wurde auf einen neuen Lehrstuhl berufen. Traditionelle Lehrstühle wurden von Frauen lange Zeit nicht besetzt.
Es war für Frauen nicht selbstverständlich eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen. Also kann man sagen, dass Frauen lange nicht akzeptiert waren und unterqualifiziert arbeiten mussten?
Frauen war auch gar nicht so bewusst, dass sie eine wissenschaftliche Karriere machen konnten, da ihnen die Vorbilder fehlten. Heute ist es für Frauen ganz selbstverständlich, dass es auch Professorinnen gibt. Früher blieben Frauen eher im Mittelbau hängen und waren akademische Assistentin oder Rätin, aber auf die Idee zu kommen, um eine Professur zu konkurrieren, war Frauen lange Zeit nicht präsent. Es wurde auch einfach nicht als Möglichkeit in Betracht gezogen. Frauen verkauften sich so lange Zeit vielleicht auch unter Wert.
Gab es Frauen, die vor der ersten Studentin in der Universitätsgeschichte eine Rolle spielten? Also zum Beispiel die Frauen der Rektoren?
Frauen gibt es nicht erst seit 1900 an der Universität. Von Beginn an waren Frauen Teil der Universitäten. So zum Beispiel die Ehefrauen und Töchter von Professoren.
Aber auch Landesherrinnen und Stifterinnen. Gerade an der Universität Freiburg haben Professoren reiche Bürgerinnen geheiratet, die aus wohlhabenden Familien stammten oder wohlhabend verwitwet waren.
Auch gab es bis in das 19. Jahrhundert an deutschen Universitäten die Familientradition, den Lehrstuhl zu vererben, an den Sohn, aber auch an die Schwiegersöhne.
Eine Frau, die massiv in die Universitätsstruktur eingegriffen hat, war die Landesherrin Maria Theresia im 18. Jahrhundert. Sie hat Hochschulreformen durchgeführt an habsburgerischen Universitäten, wozu auch die Universität Freiburg zählte. Sie wandelte die Universitäten von einer eigenständigen autonomen Einrichtung zu einer Staatsanstalt um. Noch heute ist auf der offiziellen Amtskette der Rektorin Maria Theresia zu sehen. Auch die Alte Universität, in dem heute das Uniseum ist, hat sie in den 1770er Jahren der Universität Freiburg geschenkt.
Ist die Geschichte der Frauen an der Universität Freiburg denn gut aufgearbeitet oder gibt es noch Forschungsbedarf?
Es gibt Studien, gerade zur Einführung des Frauenstudiums. Aber es gibt vor allem noch Forschungsbedarf zur Geschichte der Frauen an Universitäten, bevor sie studieren durften. Natürlich könnte man auch Themen vertiefen, gerade zu den Assistentinnen der Professoren, dort fehlt aber oft auch das Quellenmaterial. Interessant wäre auch zu wissen, wie Frauen und Studentinnen sich in Unigremien oder auch beim Asta eingebracht haben. Auch die Wahrnehmung der Frauen in der Verwaltungsstruktur der Universität wäre interessant. Zu welchen Themen durften sie sich äußern? Wie wurden sie wahrgenommen?